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Generalmusikdirektor Dirk Kaftan im Interview

Halbzeit für Dirk Kaftan, und das gleich in doppelter Weise: Die Saison 2022/23 feiert Bergfest und die Laufzeit seines Vertrags als Generalmusikdirektor der Stadt Bonn ist zur Hälfte um. Eine gute Gelegenheit, Bilanz zu ziehen und gleichzeitig nach vorne zu schauen. Mit uns sprach der Chef des Beethoven Orchesters über Höhepunkte der aktuellen Spielzeit, Nomadentum und das Fehlen einer festen Spielstätte, Privatinitiativen wie den Aire-Tower und seine Pläne für die Zukunft in der Bundesstadt.


 

Top: Die Spielzeit 22/23 liegt jetzt zur Hälfte hinter Euch. Was waren für Dich bislang die Höhepunkte im Programm der letzten Monate?


Dirk Kaftan:
Zu Beginn der Spielzeit stand für uns das Beethovenfest unter der Leitung von Steven Walter, gepaart mit einer aktuell aufgeladenen Premiere der Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“. Das war für uns alle ein künstlerischer Boost mit einem breiten Spektrum und wahnsinnig tollen, verrückten, unterschiedlichen Projekten. Es gab unter anderem ein Konzert mit einer Rapperin, eine Uraufführung von Moritz Eggert und nicht zuletzt unser lang ersehntes „Beethoven Moves!“-Projekt mit Jugendlichen aus Kolumbien und dem Rhein-Sieg-Kreis. Das war ein Riesenereignis für uns, auf das wir drei Jahre warten mussten und endlich wahrmachen konnten. Im Herbst haben wir dann zusammen mit Sunnyi Melles und Matthias Brandt „Peer Gynt“ auf die Bühne gebracht. Auch ein sehr, sehr tolles und ungewöhnliches Erlebnis. Diese Linie wollen wir auch in der zweiten Hälfte der Spielzeit verfolgen: extrem vielseitig, extrem abenteuerlustig und immer wieder grenzüberschreitend. Dabei sind wir aber weiterhin noch in einer Phase des Neu-Laufen-Lernens und Wieder-Neu-Denkens nach diesen Corona-Jahren und müssen uns überlegen, wie wir aufs Publikum zugehen.

 

Top: Mit Matthias Brandt habt Ihr schon zum wiederholten Mal ein Projekt realisiert. Wie kommen solche Künstlerbeziehungen zustande?

 

Dirk Kaftan: Am Anfang steht immer eine vielversprechende Idee, die wir versuchen umzusetzen. Im Fall von Matthias Brandt hat das gleich beim ersten Mal funktioniert. Die Projekte mit ihm sind gute Beispiele, wie aus einem Funken eine nachhaltige Beziehung entsteht. Wir haben damals gemeinsam den „Egmont“ aufgeführt und als CD aufgenommen, und daraus ist eine Art Freundschaft entstanden. Er interessiert sich sehr dafür, Musik mit Text, mit Schauspielerei, mit Bühne zu verbinden, und dafür bringt er eine Kraft mit, die gut zu uns passt.

 


„Ein Boykott russischer Kultur kommt für mich nicht in Frage.“

 


Top: Ihr macht das ja öfter, dass Ihr mit prominenten Figuren aus unterschiedlichen Lebensbereichen zusammenarbeitet, kürzlich erst mit Reinhold Messner und Renan Demirkan. In der zweiten Hälfte der Spielzeit sind es Auma Obama und Wladimir Kaminer. In der einen Veranstaltung geht es dem Titel nach um Diversität, in der anderen spielt Ihr Schostakowitsch und habt einen gebürtigen Russen zu Gast. Da stellt sich zwangsweise die Frage: Wie politisch ist so ein Orchester?

 

Dirk Kaftan: Das ist eine sehr gute Frage. Zunächst ist Musik immer ins Leben einmischend. Dann aber sind wir das Beethoven Orchester. Und Beethoven war jemand, der es ernst damit gemeint hat, Musik als Kraft einzusetzen, die im Idealfall die Welt ein bisschen besser macht. Das prägt uns. In unserem Bemühen, Beet­hoven ins Heute zu übersetzen und aktuell aufzuladen, sind wir zum Beispiel eine Partnerschaft mit der UN eingegangen und fungieren als Botschafter für Nachhaltigkeitsziele wie Bildung, Geschlechtergerechtigkeit, Menschenrechte, Diversität. Es ist unsere Aufgabe, all diese Themen in unserer Arbeit zu berücksichtigen und so eine Art von Zeitenwende mitzugestalten. Wenn man also „politisch“ als Begriff versteht, der sagt, dass man sich mit den Themen der Gegenwart auseinandersetzt und diese auf die Bühne bringt, dann sind wir sogar sehr politisch. Insbesondere als öffentliche Institution sollte man sich gewissen gesellschaftlichen Diskursen stellen, und nichts anderes tun wir mit den beiden angesprochenen Programmen. Dabei geht es weder um Parteipolitik noch um das Vertreten bestimmter Meinungen, sondern um das Führen von Debatten. Jemand wie Auma Obama steht mitten im Leben, was die Fragen um Diversität angeht. Wir haben ihren Besuch gekoppelt mit einem Programm verschiedenster Komponistinnen und Komponisten, in dem es darum geht, wie weit ein solches Thema Einfluss auf die Kultur nimmt. Aber auch, wo es zu einer Art von Greenwashing oder Fassadenmalerei wird, wenn man sich mit bestimmten Begriffen schmückt, sie aber nicht ernst meint. Und wo bestimmte Debatten die Kultur einengen. Ich habe frühzeitig ganz bewusst gesagt, dass ein Boykott russischer Kultur für mich nicht in Frage kommt. Die russische Kultur ist eine wunderbare Kultur. Wenn irgendetwas in der Zukunft Hoffnung verbreitet, dann ist es der unvoreingenommene Dialog mit russischen Persönlichkeiten, die ihre Sicht der Dinge vertreten, wie es zum Beispiel Wladimir Kaminer tut. Wir haben russische Musikerinnen und Musiker im Orchester, wir haben ukrainische Musikerinnen und Musiker im Orchester. Sie in irgendeine Schublade zu stecken, kommt für uns nicht in Frage.

 

 

Top: Dialog ist für Euch ein wichtiges Thema, wie Du sagst, und dazu habt Ihr ja schon vor einer Weile ein eigenes Talkformat eingeführt, das auch jetzt in der neuen Spielzeit wieder stattfindet. Was ist da Eure Agenda, was wollt Ihr damit erreichen?

 

Dirk Kaftan: Ursprünglich war die Beet­hoven-Lounge im Pantheon als musikalische Talkshow gedacht, die einmal im Monat über den aktuellen Stand des Beet­hovenjahrs informieren sollte. Dazu ist es dann pandemiebedingt nicht wirklich gekommen. Nun steht in meinem Vertrag der schöne Satz: Der Generalmusikdirektor leitet und kommuniziert das Musikleben der Stadt. Das ist ein bisschen absurd, denn das Musikleben der Stadt ist so groß und vielfältig, dass das überhaupt nicht geht. Dieses Musikleben zu leiten und lenken, kann ich nicht und will ich auch gar nicht. Das Talkformat und diese Aufgabenstellung habe ich dann aber zum Anlass genommen, die Kulturschaffenden der Stadt, der Institutionen und der freien Szene in regelmäßigen Abständen einmal einzuladen und nachzuhören, was sie so tun. Wir versuchen da eine Art Plattform zu bieten und letztendlich Netzwerke zu stricken, aus denen die Kultur nur stärker herausgehen kann.

 


Top: Das Pantheon ist eine der zahlreichen Locations, die Ihr als Spielfläche nutzt. Du sagtest einmal, um die Menschen anzusprechen, sei es ein wesentliches Element, die klassische Musik aus den Konzertsälen herauszuholen. Wie gut sind dafür die Voraussetzungen in Bonn?

 

Dirk Kaftan: Die Musik aus den Konzertsälen rauszuholen, ist in Bonn nicht so schwer, weil es keinen Konzertsaal gibt. Wir haben da quasi aus der Not eine Tugend gemacht und auf unserer Reise durch die Spielstätten wunderbare Entdeckungen gemacht. Das BaseCamp etwa ist sicher eine Location, die wir immer wieder an erster Stelle nennen und die wir auch weiter pflegen wollen. Der schönste Konzertsaal in Bonn bleibt aber die Wiese in den Rheinauen, wo wir das Klassik-Picknick veranstalten. Dieser Ort bringt Menschen einfach zusammen und lässt die verbindende Kraft von Musik spüren. Ich glaube, dass der Raum immer entscheidend ist für den Kontext, aber auch, um Berührungsängste abzubauen und – wenn man so will – die Herzen zu öffnen.

 


Top: Das musikalische Nomadentum, das Ihr zwangsweise und in kreativer Form betreibt, bringt es mit sich, dass Ihr noch öfter in reduzierter Form auftreten müsst. Wie wichtig ist es für Euch, dass Ihr ab und zu trotz allem auch immer wieder in Vollbesetzung spielen könnt?


Dirk Kaftan:
Das ist extrem wichtig, nur sind die Möglichkeiten in Bonn da enorm eingeschränkt. Die Oper ist zum Glück nach wie vor bespielbar und klingt auch ganz okay. Aber wir versuchen jetzt wieder vermehrt, Gastspiele in Europa aufzunehmen. Das Orchester braucht das ab und zu, und die Situation vor Ort kann ich nicht schönreden. In meinem ersten Vertrag stand, dass ich anderthalb Jahre ohne Beet­­hovenhalle planen muss, und das ist nun eine ganze Weile her. Bei aller Öffnung und aller Offenheit verrückten Räumen gegenüber fehlt die Heimstatt. Wir benötigen dringend einen eigenen Probenraum. Das Brückenforum ist so eine Art von Zwischenlösung, aber auch da ist es ein Raum, der anders genutzt wird. Wir müssen uns jedes Mal einmieten, wir müssen immer wieder den Rollrasen auslegen, um zu spielen. Dazu kommen jetzt explodierende Technikkosten. Da ist im Moment nicht absehbar, wo die Reise hingeht.

 

„Initiativen wie Uni-Aula und Aire

verdienen die allergrößte Offenheit“

 


Top: Nun gibt es ja mit dem Aire-Tower die Initiative, einen Konzertsaal auf eigene Kosten zu bauen, mit dem sich eine mögliche feste Spielstätte ergeben würde. Wie stehst Du der Idee von Privatinitiativen per se gegenüber, die der Auffassung sind, eine Menge bewegen zu können, wenn die Wege einfacher und die Türen offener wären?

 

Dirk Kaftan: Privatinitiativen, die kreativ und dann noch bis zu einem bestimmten Teil selbstfinanziert für die Stadt Bonn etwas Gutes tun wollen, sind das Beste, was uns passieren kann. Die Pläne der Uni Bonn etwa, eine komplett fremdfinanzierte Interimsaula umzusetzen, haben wir in der jetzigen Situation von Anfang an unterstützt. Aber die Berührungsängste sind groß, was diese Dinge angeht, und ich glaube, Initiativen wie Uni-Aula und Aire verdienen die allergrößte Aufmerksamkeit und Offenheit der Stadt Bonn und ihrer Bürgerinnen und Bürger, weil dort Menschen sind, die etwas Gutes wollen. Wie wir. Wir wollen Freude in die Stadt bringen. Und es gibt andere Menschen, die das ebenfalls wollen. Das muss man sich anschauen, dem muss man offen gegenübertreten. Mir rollen sich die Fußnägel auf, wenn ich höre, dass bereits ablehnende Haltungen eingenommen werden, bevor man weiß, was genau passieren soll. Denn alles, was diese wirklich traurige und unwürdige Raumsituation der Kultur- und Sportstadt Bonn aufbessert, ist Gold wert.

 

 

Top: Einer Eurer wichtigen privatwirtschaftlichen Partner und Förderer ist die Telekom, mit der Ihr gerade in den beiden schwierigen Pandemiejahren viel gemacht habt. Wie sehen da die Pläne für weitere Kooperationen in der Zukunft aus?

 

Dirk Kaftan: Wir planen, weiter im Telekom-Forum zu spielen. Das ist sehr gut geeignet für größere Sachen wie das Benefizkonzert für die Ukraine oder auch andere sogenannte Crossover-Projekte. Wir haben der Telekom außerordentlich viel zu verdanken, weil sie uns über diese schwere Coronazeit eine Plattform geboten hat, nämlich via Magenta-TV Kultur zu produzieren und weiter überhaupt an Menschen ranzukommen. Für die Telekom-Zentrale haben wir das Format „Pur“ entwickelt, bei dem wir uns kompakt in maximal anderthalb Stunden einem klassischen Werk widmen. Ich hoffe sehr, dass das weitergeht und arbeite daran, dass wir auch zukünftig an einem Strang ziehen.

 

 

Top: Unabhängig von den bereits angesprochenen Veranstaltungen im nächsten halben Jahr, worauf freust Du dich besonders?

 

Dirk Kaftan: Die besonderen Formate „Im Spiegel“ mit Obama und Kaminer sind aus meiner Sicht tatsächlich die Türöffner. Außergewöhnlich ist das Format in der Redoute, wo wir dem Ur-Orchester Beethovens auf der Spur sind und „seine“ Hofkapelle nachstellen. Musik, die seit Beethovens Zeit nicht mehr aufgeführt wurde, haben wir zusammen mit der Uni Wien wieder spielbar gemacht. Aber das ist nur ein Beispiel für die Welt der Orchestermusik, durch die man mit dem Beethoven Orchester Bonn die Stadt entdecken kann.

 

„Dass ich die Rückkehr in die eigene Heimstatt

noch miterleben werde,wünsche ich mir sehr“

 

 

Top: Über die Saison hinaus in die Zukunft geschaut, was ist Deine Perspektive für die nächsten Jahre Deiner Arbeit in Bonn, was würdest du dir wünschen, wo erhoffst Du Dir mehr Unterstützung, was willst du noch erreichen?

 

Dirk Kaftan: Ich habe jetzt die Hälfte meiner Vertragslaufzeit hinter mir. Vieles ist komplett anders gekommen, als wir uns das alle vorgestellt haben. Das heißt, die Perspektiven bauen sich im Moment wieder auf. Ursprünglich haben wir mal auf dieses Beethovenjahr als eine Art von Kraftzentrum hingearbeitet, und jetzt sind wir dabei, unser Publikum wiederzugewinnen und aus seinen vier Wänden herauszulocken. Ich glaube, das wird uns noch ein bisschen begleiten. Mir wäre es sehr wichtig, die Arbeit des Orchesters mit einer hoffentlich sich bald wiedereinstellenden Heimstatt zu stabilisieren. Das würde es ermöglichen, anders zu planen, auch was internationale Gäste angeht. Im Moment sind wir durch die Raumsituation automatisch kurzfristiger in der Planung und darauf angewiesen, dass sich irgendwo Lücken bieten, und dann oftmals zu spät, um bestimmte, richtig große Künstler nach Bonn zu holen. Dass ich die Rückkehr in die eigene Heimstatt noch miterleben werde, wünsche ich mir sehr. Künstlerisch glaube ich, dass Bonn mit diesem Orchester einen unglaublichen Schatz hat, nicht nur, weil es gut spielt und mit Musikern und Musikerinnen aus vielen verschiedenen Nationen besetzt ist, sondern auch weil es das Herz am rechten Fleck hat. Ich wünsche mir, dass wir dieses Markenprofil des Orchesters, das in der deutschen Orchesterlandschaft wirklich einzigartig ist, noch sichtbarer machen und noch mehr Wege finden, um diese wunderbaren Menschen als echte Lebensqualitätsvermehrer zu präsentieren. Bestimmte Inhalte sind dabei wichtig, denke ich. Für mich ist das Thema Orient eins, was ich vertiefen möchte. Wir haben in der Vergangenheit bereits Konzerte mit türkischstämmigen Musikern durchgeführt, und ich glaube, dass der Dialog mit dem Orient eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre sein wird. Wir müssen das Thema der Integration ernst nehmen und darauf gute Antworten finden. Daran möchte ich arbeiten.

 

 

 


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Artikel von www.top-magazin.de/bonn