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Das Deutsche Gesundheitswesen: abgehängt in der Corona-Krise

Plädoyer für eine schnellere Digitalisierung im Medizinbetrieb von Dietrich Grönemeyer


Corona hat uns kalt erwischt.

Auf weitere Pandemien sollten wir vorbereitet sein: technisch, medizinisch, kommunikativ, politisch. Diesmal waren wir es nicht. Auf keiner Ebene. Für mich eines der größten Probleme: die veraltete und kaputtgesparte Infrastruktur unseres Gesundheitswesens. Wir sind – übertrieben formuliert – bei Fax und Telefon stehengeblieben. Ein digitales Impfregister, die elektronische Patientenakte sowie eine Vernetzung der Krankenhäuser, Gesundheitsämter und der medizinischen Fachbereiche könnten in der Pandemiebekämpfung manches vereinfachen. Datenschutzbedenken – so wichtig sie sein mögen – werden hier zum lebensgefährlichen Hemmschuh.

 

Digitalisierung kann Leben retten

Aus meiner eigenen ärztlichen Praxis weiß ich, dass Schema F in der Medizin keine nachhaltigen Erfolge erzielt. Stets bedarf es einer individuellen Therapie, die das Immunsystem und die psychosoziale Situation des Patienten berücksichtigt. Das aber verlangt in einer Krisensituation, wie wir sie eben erleben, einer fortgeschrittenen Digitalisierung. Ohne diese werden wir Corona und zukünftige Pandemien nicht in den Griff bekommen. Der Arzt müsste Zugriff auf eine personengeschützte Datenbank haben, in der er sich über die jeweils besondere Situation des Patienten informieren kann. Bei ersten Infektionsanzeichen wüsste er, was zu tun ist, könnte den Diabetiker anders als den Asthmatiker behandeln.

Den COVID-19-Krankheitsverlauf eines Patienten und seine individuelle Ausgangssituation zu kennen, ist eminent wichtig, bevor man als Arzt die Spritze zückt. Symptome wie Fieber, Kopfschmerzen oder Unverträglichkeiten müssten sauber dokumentiert werden. So könnten Problemfälle, Nebenwirkungen und Komplikationen nachvollzogen und wissenschaftlich ausgewertet werden.

 

Im Notfall zählt jede Minute

Wird ein Mensch mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht, beginnt der Notarzt während der Fahrt mit ersten Untersuchungen. Wäre das Gesundheitsprofil auf einer Datenbank verzeichnet, müsste der Notarzt den Patienten nicht fragen, ob neben der akuten Lage auf Vorerkrankungen zu achten ist. Das Krankenhaus könnte vorab unterrichtet werden und gezielt Vorbereitungen treffen. Eine Datenbank könnte außerdem freie Betten erfassen und den Krankenwagen dorthin leiten, wo Kapazitäten frei sind.

 

Populistische Rosstäuscherei?

Denken wir an den Beginn der Corona- Epidemie: Wir haben die Lage im Griff, wurde gesagt. Als aber Länder wie Israel oder Schweden begannen, aus dem Tal der Tränen aufzusteigen, traf es uns umso härter. Deutscher Hochmut sollte nicht dazu führen, fremde Länder zu belehren, um über eigene Versäumnisse hinwegzutäuschen. Schlechte Verhältnisse anderswo sind kein Ausweis eigener Exzellenz. Für unser Gesundheitswesen ist das Internet nach wie vor eine Terra incognita, auf der wir noch viel zu oft herumtappen. Das ist heute nicht anders als vor Corona. Digitalisierung ist Voraussetzung für ein System, in dem alle Räder zum Wohl der Patienten ineinandergreifen können.

Mit dem Thema wurde Wahlkampf gemacht, gehandelt wurde nicht. Vom markigen „Mehr Fortschritt wagen“ sind wir weit entfernt. Wie sich Prof. Karl Lauterbach, Ökonom und „Gesundheitsexperte der SPD“, schlägt, bleibt abzuwarten. Als Gesundheitsminister hat er jetzt die Chance, unser Gesundheitswesen zukunftstauglich zu machen und die Digitalisierung voranzutreiben. Dafür seien ihm eine glückliche Hand und uneitler Sachverstand gewünscht. Die Zeit ist reif.

Artikel von www.top-magazin.de/ruhr