EIN MANN WIE EIN KUNSTWERK
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EIN MANN WIE EIN KUNSTWERK

EIN MANN WIE EIN KUNSTWERK

Im Rahmen der KI-Biennale verziert Thomas Wirth (52) aus Essen das Global Gate auf dem Kulturerbe Zollverein mit seiner Kunst.

Dafür hat der Künstler das Thema KI mit Einsatz von KI visualisiert: Wie ein Mosaik ist aus 13.000 virtuellen Affenköpfen Michelangelos „Die Erschaffung Adams“ entstanden. Mit einem Smartphone kann man es interaktiv zum Leben erwecken. Auf der Rückseite wird „Demokratie“ thematisiert. Mit Schiffscontainern wurde das Brandenburger Tor nachgebaut und hat auf Zollverein seinen vierten Auftritt nach Frankfurt, Hamburg und Dubai. Ich treffe den – im wahrsten Sinne des Wortes – bunten Künstler in seiner Galerie im Düsseldorfer Medienhafen zu einem Gespräch über ihn und seine Kunst.

Thomas Wirth ist mit seinen unzähligen Tattoos selber so bunt wie ein Kunstwerk

Du sagst von dir, dass du erst seit anderthalb Jahren Künstler bist. Aber eigentlich steckt die Kunst doch schon lange in dir, oder?
Ich habe 30 Jahre in der Modebranche gearbeitet. Hier war und ist auch Kreativität gefragt. Ideen für zukünftige Trends und Farben muss man einbringen. Davon mal abgesehen betrachte ich mich auch als „Lebens-Künstler“. Zur Entspannung habe ich angefangen, meine ersten Ansätze der Malerei wieder aufzunehmen und meine künstlerische Ader weiterzuentwickeln.
Deine bunte Kunst ist teilweise sehr provokativ. Was inspiriert dich?
Ich bin seit vielen Jahren Kunstsammler. Inspiriert wurde ich von Jörg Immendorff. Insbesondere hat mich sein Bild „Café de Flore“ begeistert. Ich finde in diesem Bild immer wieder neue Eindrücke und Aspekte, die man nicht bei einer einzelnen Betrachtung mitnehmen kann, sondern in verschiedenen Stimmungen anders und neu aufnimmt und interpretiert. Ich möchte, dass die Betrachter meiner Werke immer wieder etwas Neues in meinen Arbeiten entdecken. Außerdem ist die Welt um mich herum meine Leinwand – die Kontraste zwischen Technologie und Menschlichkeit, Chaos und Ordnung, Fortschritt und Tradition. Inspiration finde ich auch in den Fragen, die uns als Gesellschaft bewegen und in den unbequemen Antworten, denen wir uns oft nicht stellen wollen.
Gibt es bestimmte Anliegen, die du mit deinen Bildern ausdrücken möchtest?
Jedes meiner Bilder hat eine Message. Es gab eine Ausstellung, die hieß „We can be heroes“, nach einem Song von David Bowie. Diese Aussage ist wichtiger denn je, denn die Demokratie ist umstrittener geworden. Der Neo-Expressionismus als mein Malstil erlaubt mir, die Emotionen roh und ungefiltert darzustellen. Er ist keine Einladung zur Betrachtung, sondern eine Konfrontation – genau das, was diese Themen verdienen.
Wie wurde aus deinem Hobby dein Beruf?
Nach einer notwendigen beruflichen Auszeit hat mein Arzt geraten, mich auf Dinge zu fokussieren, die mich beruhigen und inspirieren. So wurde es zum Hobby. Dann haben mich vor anderthalb Jahren Freunde überredet, an einer Messe teilzunehmen. Ich war überrascht, dass meine Bilder sofort ausverkauft waren. Auch danach habe ich immer wieder sehr positive Resonanz erhalten.  
Du bist weltweit unterwegs mit deinen Ausstellungen. Was macht das mit deiner Familie?
Meine Familie hat mich immer unterstützt. Sie wissen, wie wichtig die Kunst für mich ist. Meine Kinder haben mir eine Box mit Kosmetikartikeln und Zahnpasta geschenkt, weil ich so oft im Atelier auch übernachtet habe. Vor der Eröffnung des Global Gates gab es fünf harte Monate, in denen ich jeden Tag 18 bis 20 Stunden gearbeitet habe, um 1.000 Quadratmeter Kunst nur für die Demokratieseite des Gates zu erstellen. Ohne die Unterstützung meiner Familie hätte ich die Kraft nicht aufbringen können.

Wie kam dir die Idee, das Global Gate zu erschaffen?
Ich wollte etwas Monumentales schaffen, dass die Brücke zwischen der analogen und der digitalen Welt schlägt. Genauso episch wie die Themen, die es repräsentiert: Demokratie und künstliche Intelligenz.
Wie wurde das Projekt finanziert?
Ich trage nicht umsonst „run the risk“ als Tattoo auf meiner Hand. Ich es habe mit 200.000 Euro vorfinanziert, weil dieses Projekt eine monumentale Darstellung von zwei der wichtigsten Themen unserer Zeit ist. Einerseits die unter Druck stehende Demokratie, anderseits die KI. Beides prägt und beschäftigt global die Menschen.
Wie bist du auf die Idee gekommen, das Bild von Michelangelo nachzuahmen, um das Thema KI zu thematisieren?
Das Bild „Die Erschaffung Adams“ behandelt die Entstehung des Menschen. Daraus abgeleitet die Frage, wie die KI, die sich schon sehr bald ohne menschliches Zutun selbst weiterentwickelt, vom Menschen erschaffen wurde. Zu dieser Evolutionsstufe konnte es kein besseres Kunstwerk als das von Michelangelo geben. Der Affe ist dabei das Verbindungsglied der Evolution bis zum heutigen Menschen. Mit der KI-gestützten Technik ist dieses Global Gate das erste Interaktive. Die Betrachter können in verschiedene digitale Räume eintauchen und sich mit den Themen auseinandersetzen. Die Rückseite thematisiert die Demokratie.
Warum prangt als oberste Überschrift „don’t think“ auf der Spitze des Gemäldes?
Die Manipulation der Menschen durch Medien ist ein wichtiges Thema heute. Alles, was man präsentiert bekommt, sollte kritisch hinterfragt werden. Die Deutschen sind meiner Meinung nach viel zu schweigsam und müssen öfter ihre Stimmen erheben. Die kritische Betrachtung und Hinterfragung möchte ich damit anregen.

Daniel Boden interviewt Super*me inmitten seiner Wirkungsstätte

 

Gibt es weitere Vorhaben dieser Größenordnung?
Ich habe einen großen Traum: Ich möchte ein Kunstwerk, das ein wichtiges Wahrzeichen ist, wie das Brandenburger Tor für Deutschland, im Central Park in New York ausstellen. Außerdem ist zur Art Basel Hong Kong eine große Skulptur-Installation von mir in Arbeit. Derweil reise ich um die ganze Welt, um meine Kunst auszustellen.
Welche Art Menschen sind es, die 2.000 bis 100.000 Euro für deine Bilder ausgeben?
Klar ist, dass meine Kundschaft so bunt ist, wie ich selbst . Ein Teil sind Kunstsammler, denen nicht nur die Kunst gefällt, sondern sie auch als Wertanlage kaufen. Andere wiederum, die meine neoexpressionistische Ausdrucksform inspiriert. Das Schöne daran ist, dass ich mit Menschen aus unterschiedlichen Bereichen und Kulturen in Kontakt komme, die mich wiederum für meine Kunst inspirieren.
Auf vielen deiner Bilder ist zu lesen: „Don’t let idiots rule your day“. Warum?
Das ist ein Leitspruch, der mich als Mensch und Künstler charakterisiert. Ich möchte mich nicht mehr in die Abhängigkeit anderer begeben müssen. Ich möchte mich umdrehen und weggehen können, wenn die Chemie nicht passt. Zeit ist ein hohes Gut, mit dem man nicht verschwenderisch umgehen sollte.
Früher war Malen die Entspannung deines Berufsalltags. Heute ist Kunst dein Beruf. Wie entspannst du jetzt?
Ich bin super entspannt, dabei kunstsüchtig geworden und habe nie das Gefühl, dass mich meine Arbeit als Künstler negativem Stress aussetzt. Ganz im Gegenteil, ich freue mich auf jeden Tag und jede Gelegenheit, meine Kunst auf Leinwände zu bringen.

top magazin Ruhr Winter 2024
Redakteur: Daniel Boden
Fotograf: Ralf Schultheiß