Es ist ein stiller Nachmittag bei bestem Wetter im Jagdhaus Schellenberg mit malerischem Blick auf den Baldeneysee. Der Wind rauscht durch die Bäume. Vergangenheit trifft auf Gegenwart. Henning Baum, einer der bekanntesten deutschen Schauspieler, ist zurück an einem Ort, der nicht nur eine traumhafte Kulisse bietet, sondern auch ein Stück unserer gemeinsamen Jugendzeit ist. Hier, wo wir als Teenager mit unserer Clique unvergessliche Tage und Nächte verbrachten, sitzen wir heute, ca. 35 Jahre später, bei einem Interview, das gleichzeitig ein Gespräch unter alten Freunden ist – persönlich, offen und mit einem Blick auf alles, was war, ist und noch kommt. Während der Wartezeit auf Ralf Schultheiß genießen wir die Sonne mit Blick auf den Baldeneysee. Zwischen Anekdoten aus der Jugend und dem rauen Polizeialltag von „Der letzte Bulle“ entsteht ein Gespräch über Schauspielkunst, Lebensentscheidungen und Zukunftsträume.
Henning, wir sitzen heute hier im Jagdhaus Schellenberg – ein Ort, der für uns beide viele Erinnerungen birgt. Was geht dir durch den Kopf, wenn du hier sitzt?
Ich freue mich vor allem, dass wir beide hier sitzen. Es ist tatsächlich etwa 40 Jahre her, dass wir zum ersten Mal hier waren. Dieser Ort ist Teil unserer Jugend, die wir hier verbracht haben – im Sommer 1986 wurde es plötzlich für viele Jugendliche interessant herzukommen und diesen herrlichen Ort zu entdecken. Ich habe sehr gute Erinnerungen daran und freue mich immer, wenn ich diesen Platz wiedersehe.
Wenn du an unsere Jugendzeit denkst – was war für dich prägend? Gibt es etwas, das du aus dieser Zeit bis heute mit dir trägst?
Ich denke, wir hatten eine gute Jugendzeit, mit viel Freiraum – den wir uns teils auch einfach genommen haben. Wir haben viel unternommen, und das Leben war voller Geheimnisse. Diese konnte man nicht durch einen Klick am Telefon entschlüsseln, wir mussten uns das Leben selbst erschließen. Manchmal auch erkämpfen – mit blauen Flecken, aber das gehörte dazu. Ich erinnere mich an eine Zeit, in der wir viel gelacht haben und einen starken Zusammenhalt hatten. Es war fast wie ein Jugendfilm – manchmal überschwänglich, natürlich haben wir auch Dummheiten gemacht. Aber insgesamt war alles ziemlich locker und lustig.
Gab es damals schon Anzeichen, dass du einmal Schauspieler werden würdest?
Es mag vielleicht erste Anzeichen gegeben haben. Ich habe gerne Geschichten erzählt und mich für Sprachen begeistert. Die erste konkrete Idee hatte ich mit etwa 16, nachdem ich in der Schule mal wieder etwas gespielt hatte. In mir habe ich es zum ersten Mal in Erwägung gezogen, es aber noch für mich behalten. Man machte sich zu dieser Zeit Gedanken darüber, was könnte man beruflich später machen, was würde einem auch Freude bereiten.
Wann war der Moment, in dem du wusstest: Ich werde Schauspieler?
Nach der ersten Idee mit 16 kam es dazu, dass ich mit 18 dann Faust spielte, was eine bedeutende und geheimnisvolle Rolle ist, die man in dem Alter noch nicht wirklich erfassen kann. Aber irgendwie hat es funktioniert. Als Schauspieler sagt man manchmal: „Es spielt einen.“ Das deutet darauf hin, dass es nicht mein alleiniger Verdienst ist, wenn etwas gelingt – sondern dass manchmal auch etwas Höheres in einen hineinfließt. Und das wird ungefähr mit 18 so gewesen sein.
Gab es eine bestimmte Rolle oder ein Erlebnis, das dir gezeigt hat, dass du auf dem richtigen Weg bist? Was waren zu Beginn deiner Karriere die größten Hürden – und wie bist du damit umgegangen?
Die größten Hürden sind am Anfang, dass einen noch niemand kennt. Man muss den Leuten klarmachen, dass man etwas kann – aber um das zu zeigen, braucht man eine Gelegenheit. Wenn man noch nichts gemacht hat, hat man aber auch nichts zum Vorzeigen. Ich hatte das Glück, dass Menschen an mich geglaubt und mich besetzt haben – konkret zum Beispiel die Casterin Anja Dierberg. Ihr verdanke ich, dass ich meine ersten großen Rollen im Fernsehen spielen konnte.
Viele kennen dich vor allem als „Mick Brisgau“. Was macht diese Rolle für dich so besonders?
Die Rolle des Mick Brisgau liebe ich sehr – ich habe sie auch mitgestaltet. Ich habe damals, vor etwa elf Jahren, aufgehört, weil ich nicht wollte, dass die Figur verschlissen wird. Ich finde diesen Typ großartig – er hat klare innere Werte, weiß, was richtig und falsch ist. Sein Interesse gilt dem Menschen vor ihm – nicht den Vorschriften im Polizeihandbuch. Er erkennt sehr schnell, wenn jemand sich, aus welchen Gründen auch immer, besser oder edler darstellt, als er ist. Und manchmal hat er sogar Freude daran, diese aufgeblasenen Typen zu entlarven – besonders, wenn sie sehr von sich überzeugt sind. Das ist es, was ich an der Rolle besonders mag.
Wie hat dich die Rolle in „Der letzte Bulle“ persönlich geprägt – vielleicht sogar verändert?
Man weiß nie genau, ob und wie einen eine Rolle verändert. Ich habe diese Rolle mit vielem aus mir selbst angereichert. Vielleicht entsteht beim Drehen auch eine Wechselwirkung, wenn man sich ganz in die Figur versenkt. Ich glaube aber nicht, dass mich diese Rolle verändert hat – zumindest nicht dauerhaft. Was einen wirklich verändert, sind die Umstände des Lebens und der Umgang damit – und wie man sie reflektiert.
Gibt es eine deiner Rollen, die dir besonders am Herzen liegt – vielleicht auch eine, die zu wenig Aufmerksamkeit bekommen hat?
Die Rolle von Mick Brisgau liegt mir sehr am Herzen. Natürlich gab es auch viele andere tolle Rollen – ich kann sie nicht alle aufzählen, es waren zu viele, sehr unterschiedliche. Eine besondere war Lukas, der Lokomotivführer, an der Seite von Jim Knopf. Damit hätte ich früher nie gerechnet – Lukas ist ganz anders als ich und sieht auch in den Zeichnungen ganz anders aus. Aber innerlich habe ich die Figur gespürt und wusste, dass es richtig ist, sie zu spielen.
Du warst gerade wieder für „Der letzte Bulle“ am Hauptbahnhof in Essen im Einsatz – wie war das für dich, wieder in der Rolle und gleichzeitig in deiner alten Heimat zu sein?
Dass Mick Brisgau auch aus Essen kommt, ist ein lustiger Zufall – oder vielleicht gibt es keine Zufälle. Es freut mich, dass meine eigene Heimat auch der Hintergrund dieser Geschichte ist. Wenn ich ihn in der Rolle durch den Hauptbahnhof spazieren lasse, gehen dabei tatsächlich auch ein Stück meiner eigenen Erinnerungen, wie diese Stadt vor 40 Jahren aussah.
Natürlich fällt mir auch auf, was sich nicht so gut entwickelt hat – das sind Eindrücke und Erinnerungen, die ich beim Dreh tatsächlich empfunden habe.
Gibt es eine Anekdote vom Set, die du mit uns teilen magst?
Da die Dreharbeiten noch nicht abgeschlossen sind, kann ich das noch nicht abschließend beurteilen, was mich besonders berührt oder gefordert hat.
Aber emotionale Szenen sind definitiv immer herausfordernd und brauchen eine große Wahrhaftigkeit, gerade wenn ein starkes Gefühl im Vordergrund steht. Natürlich kann man solche Szenen spielen, aber ich finde, man sollte sie nicht spielen – man sollte sie entstehen lassen. Im besten Fall stellt sich das Gefühl von selbst ein. Dann ist es echt – nicht gespielt.
Das ist ein Stück weit die wahre Kunst des Schauspiels. Was reizt dich heute noch an der Schauspielerei – und was vielleicht weniger?
Die Schauspielerei ist ja reizvoll, ich wollte das noch wie vor 40 Jahren. Das hört nie auf. Es ist immer wieder aufregend – neue Situationen, neue Texte, neue Kollegen. Es gibt keine Routine. Man muss stets gut vorbereitet sein, aufmerksam bleiben. Ich vergleiche es ein wenig mit einem Boxer, der in den Ring steigt. Ob er zuvor einen Titel gewonnen hat, spielt keine Rolle. In dem Moment muss er fit, präsent sein, seinen Gegner wahrnehmen und auf ihn reagieren. So ist es auch mit der Schauspielerei. Sie bleibt spannend.
Gibt es ein Genre oder eine Art von Rolle, die du unbedingt noch spielen willst?
Das Genre, das mich interessieren würde – und die Rollen, die ich gern spielen würde – sind vielleicht eher im amerikanischen Kino angesiedelt. Gute Geschichten, die nicht nur über Text erzählt werden, sondern über Bilder. Charaktere, die vielschichtig und komplex sind, und trotzdem mit Action aufgeladen. Das wird in Deutschland noch häufig als Widerspruch gesehen. Ich merke, dass ich mit dem Alter bestimmte Rollen gerne spielen würde – weil etwas in mir danach verlangt oder weil es da einen inneren Widerhall gibt. Aber das wird sich zeigen. Man kann es nicht voraussehen. Man muss an sich arbeiten, hoffen, weitermachen – und jede Rolle, egal ob groß oder klein, so gut wie möglich spielen.
Denkst du manchmal darüber nach, dich auch hinter der Kamera auszuprobieren – Regie, Drehbuch?
Die Arbeit hinter der Kamera ist mir nicht fremd. Schon während der Dreharbeiten zu „Der letzte Bulle“ habe ich als Produzent mitgewirkt, viele Szenen geschrieben oder neu geschrieben – nicht nur überarbeitet. Diese Arbeit am Drehbuch ist mir vertraut, und ich mache sie gerne. Es ist eine schwierige Arbeit – ich habe großen Respekt vor Autoren – aber ich arbeite gern mit ihnen zusammen, um zu schauen ...
Was kann man noch verbessern? Wie kann man die Geschichte spannender machen? Wie lassen sich Figuren besser definieren?
Das ist auch jetzt wieder so. Ich habe vor fast fünf Jahren mit meinem Kollegen Phillipp Steffens begonnen zu überlegen, ob wir den Bullen zurückkommen lassen. Solche Entwicklungen brauchen Zeit, bis etwas entsteht.
Was wünschst du dir für deine berufliche und persönliche Zukunft? Wenn du heute auf deine Reise zurückblickst – was würdest du deinem 18-jährigen Ich sagen?
Was würde ich meinem 18-jährigen Ich sagen? Vielleicht gar nichts. Vieles war schon irgendwie in mir angelegt. Natürlich habe ich Fehler gemacht – jede Menge Fehler und Irrtümer. Man könnte sagen: „Das hätte man vermeiden können.“ Aber gerade aus Fehlern und Irrtümern lernt man – auch wenn es manchmal schmerzhaft ist. Was wirklich wichtig ist, ist der Glaube. Nicht nur der profane Glaube an sich selbst, sondern der darüber hinaus weisende Glaube, dass man geführt ist. Gottvertrauen ist wohl die richtige Bezeichnung.
Henning Baum ist bodenständig, zielstrebig und hat klare Wertvorstellungen. Ohne Starallüren und außerhalb seines Schauspielberufes ohne Drang zur Öffentlichkeit.