Kultur

Musik Tipps – Sommer 2019

Marcus Endres legte früher unter dem Pseudonym „DJ Incognito“ in angesagten Clubs im In- und Ausland sowie für Partyreihen wie Les Halles ,La Nuit‘, den „NOH Club“ oder den „Muschiclub“ auf. Lange war er zuvor auch als Schlagzeuger diverser Rockbands unterwegs. Aktuell legt er für das IBIZA LIVE RADIO (www.ibizaliveradio.com) regelmäßig mittwochs 14-tägig elektronische Musik auf. Für das Top Magazin ist Marcus als Redakteur seit Herbst 2014 aktiv und siebt seitdem aus der Masse der Neuerscheinungen – genreübergreifend und meist auch abseits des Mainstream – relevante neue Platten heraus, deren Stellenwert nicht nur am kommerziellen Erfolg gemessen werden.


COMPILATION & MIX

 

Peggy Gou – DJ-Kicks
Label: !K7

Die DJ-Kicks-Serie von !K7, die 1995 mit C.J.Bolland startete, ist die wohl bislang erfolgreichste Compilation-Reihe im elektronischen Musikgenre. Seither gaben sich unzählige Ikonen der Szene mit ihren variantenreichen Styles die Ehre. Das Erfolgsrezept ist, neben der stets exzellenten Trackauswahl mit teils exzlusiven Produktionen vor allem, dass die Werke nicht nur dancefloortauglich, sondern auch zu Hause hörbar sind. Für das neueste Werk zeichnet die in Berlin ansässige Koreanerin Peggy Gou verantwortlich, deren Karriere zuletzt durch den Erfolg ihrer Single ,It Makes You Forget‘ und einen aufregenden Auftritt in der Boiler-Room-Event-Serie an Fahrt aufnahm. Mit diesem groovigen, genreübergreifenden Showcase von Disco über Electro zu House und Techno, in einem Temporahmen von von 90 bis 150 bpm, überzeugt Peggy Gous DJ Kicks Einsatz vollends.

 

Tiburón Beach Club Formentera 5
Label: Royal Plastic

Der an der Playa de des Illetes, im Norden von Formentera – dem ,letzten Paradies des Mittelmeers‘, wie die Baleareninsel gern von Protagonisten gelobt wird – gelegene Beachclub präsentiert auch in diesem Jahr wieder die Fortsetzung seiner, seit Jahren erfolgreichen Compilation-Reihe. Für die exzellente Trackauswahl der fünften Ausgabe mit brandaktuellen Tracks von intenational angesagten Stars, wie Booka Shade, Whitesquare, Western, Djuma Soundsystem, Dirty Doering oder Gab Rhome, sind erneut Resident DJ Lorenzo al Dino und Beachclubpatron Arnold verantwortlich. Phattes Ding, muss man sagen. Der Compilation sollte auch in 2019 wieder breite Anerkennung gewiss sein. Die 2016er Ausgabe der Serie war ja schon mit dem ,Lust & Life Magazin Award‘ für die beste Ibiza-Compilation gekürt worden.

 

Hostal La Torre Vol. 3
Label: Hostal la Torre Recordings

Das Hostal La Torre, mit seiner spektakulären Lage inmitten mediterraner Vegetation am Kliff von Cap Negret bei San Antonio, ist ein beliebter Spot für magische Sonnenuntergänge. In dieser Wohlfühloase sorgen die von Resident DJ Pete Gooding gehosteten DJ Line-up‘s für Klangkino auf Champions-League-Niveau. Spätestens nach Erscheinen der erste La Torre Compilation im Jahr 2015 hat sich die Location dann auch eine besondere musikalische Note über Ibizas Grenzen hinaus verdient. ,La Torre Ibiza Volumen Tres‘ – kuratiert von Pete Gooding und Mark Barrott – überzeugt auch, wie schon die beiden Vorgänger, mit wenig dem Massengeschmack folgenden, aber großartigen Vibes für den Musikliebhaber. Direkt der Opener Track von Bill Laswell & Jah Wobble zaubert dem geneigten Hörer ein erwartungsvolles Lächeln ins Gesicht. Es folgt dann eine wunderbare Tracksammlung aus Ambient, Downbeat, 80er-Feeling, panglobalen Sounds und orchestralen Flows. Ein Follow-up zu einer zeitlosen Serie, welches die Protagonisten bitte genau so fortsetzen mögen.

 

Top of the Clubss – Electric 80s
Label: Kontor

Kontor hat mit der neuen ,Top of the Clubs Electric 80s‘ zweifellos einen Volltreffer gelandet. Das 3-CD-Package liefert, dank einer gelungenen Trackauswahl, eine Zeitreise zurück in die Kult-Tanztempel der Region. Die nostalgische Note dieses Albums weckt zweifelsohne auch das Interesse älterer Clubber, die sich gerne noch einmal die Songperlen und Hymnen einer bunten Epoche in gebündelter Form nach Hause holen wollen. Neben den Einzeltracks von Pop- und House-Ikonen, wie Bronski Beat, Talk Talk, New Order, Colonel Abrams, Joe Smooth oder den Jungle Brothers, gibt es dann noch einen gelungenen DJ-Mastermix, der direkt auf die Tanzfläche lockt. In der abwechlungsreichen Zusammenstellung entdeckt vermutlich jeder seine ganz persönlichen Favoriten und Momente aus vergangenen Tagen.

 

 


 

 

ELECTRONIC PEARLS

 

Folamour – Ordinary Drugs
Label: FHUO Records

Das zweite Album des französischen DJ,s Produzenten und Labelchefs ,Folamour‘ besticht durch die perfekte Fusion deeper Basics mit Discohouse-, spacigen Jazz- und Lo-Fi-Grooves. Folamours ausgereifte musikalische Ausbildung – der Mann lernte Schlagzeug, Gitarre und Bass und arbeitete u. a. mit dem Lyoner National Orchester zusammen – ist in den 11 wunderbaren, exzellent arrangierten Tracks des Albums unüberhörbar. Eine zeitloses Werk, stilistisch irgendwo zwischen Glitterbox und Compost angesiedelt. Mein Tipp: Die auf 200 Exemplare limtierte Vinyl-Edition kaufen.

 

Chemical Brothers – No Geography
Label: Virgin (Universal Music)

Mit dem 9. Studio-Album bringt das Duo aus Manchester auch im 30. Jubiläumsjahr ihren Soundkosmos auf Kurs. Die Briten, die u. a. bereits vier GRAMMY Awards gewannen, präsentieren mit No Geography wenig Konzept, aber viele krasse und gute Tracks, die stark an die Rockin’ Beats der Anfangstage erinnen. Im Vergleich zum Vorgänger „Born in the echoes“ oder den Klassikern „Dig your own hole“ und „Surrender“ ist die Liste der Gäste ordentlich geschrumpft. Dennoch performen mit der talentierten Norwegerin ,Aurora‘ und dem japanischen Rapper ,Nene‘ hoffnungsvolle Nachwuchskräfte auf dem Album. Tom Rowlands und Ed Simons setzen im Wesentlichen auf ekstatische Momente aus der Samplekiste, protzige Beats und dann aber auch Tracks mit Hitpotenzial, wie die Single ,You got to keep on‘. Sound mit etwas Patina, aber geil.

 

Smallpeople – Afterglow
Label: SMALLVILLE

Julius Steinhoff & Just von Ahlefeld sind Smallpeople, gleichzeitig Betreiber von Smallville Records, einem angesagten Plattenladen & Label in St. Pauli und Residents im Hamburger Kultclub Pudel. Auf „Afterglow“, ihrem 2. Longplayer, präsentieren die Protagonisten acht großartige und zeitlose Dancefloor Tools, die die Sounds des frühen Detroits mit klassischem Deephouse und Minimal-Techno der 2000er-Jahre in vielfältigen Nuancen verbinden. Der typische Smallville Sound ist stets eine gute Kombination aus Drive und Atmosphäre, wie z. B. beim überragenden ,All States Of Dawn‘ oder ,Camera Obscura‘ dem leibhaftigen Groovemonster auf der Platte. Das Label und seine Macher stehen seit 10 Jahren für Quality Sound und fallen zudem durch eine einzigartige cartoonesque Typografy der Cover Artworks auf. Schickes Release!

 


 

POP & SOUL

 

Madonna – Madame X
Label: Universal Music

War Madonnas Auftritt beim ESC ein inszenierter Marketingtrick oder ein Faux-pas? Bei der verwandlungsfähigen Pop- Diva, die sich in jeder Rolle immer perfekt verkauft, weiß man es nie so genau. Auf ihrem 14. Studioalbum mit dem mysteriösen Titel ,Madame X‘, lebt die 60-jährige jedenfalls ihre Liebe zur lateinamerikanischen Musik, gepaart mit weiteren globalen Einflüssen, aus und singt auf Englisch, Spanisch und Portugiesisch. Gastsupports südamerikanischer Künstler, wie u. a. der brasilianischen Sängerin „Anitta“ deuten an, wo die musikalische Reise diesmal hingeht.

 

Marvin Gaye – You’re the man
Label: Motown (Universal Music)

Dieses, zu Lebzeiten nie veröffentlichte Album mit 17 Songs – einige von ihnen geremixt vom Amy-Winehouse-Produzent Salaam Remi – zeigt Marvin Gaye in einer Phase der Neuorientierung, ein Jahr nach seinem Erfolgsalbum „What‘s Going On, und zu einer Zeit, wo die Sechzigerjahre auch in Detroit zu Ende gingen und der Sänger täglich in Drogenkonsum und Pornografie versank. Ein Wunder, dass er zu dieser Zeit noch so fantastisch zu singen vermochte. Dies war auch die Phase, wo Gaye den stilistischen Wandel vom sozialkritischen Soul zur sexuell leistungsbetonten hedonistischen Black Music vollzog und dies bis zu seinem Tod am 1. April 1984, als er von seinem Vater erschossen wurde, fortsetzte. ,You’re The Man‘ ist ein Marvin Gaye auf höchstem Niveau und zeigt aber auch, was aus dem begnadeten Künstler noch hätte werden können. Echtes Highlight!

 

Mark Ronson – Late Night Feelings
Label: Sony

Mark Ronson springt von Erfolg zu Erfolg, jüngst der Oscar als Songwiter für den Lady Gaga/Bradley Cooper-Hit „Shallow“, dann ein Grammy als Produzent für den Silk City-Song “Electricity” und zuletzt liefert er und Miley Cyrus mit dem Country-Disco-Hybriden ,Nothing Breaks Like A Heart‘ einen der größten Hits seiner Karriere ab. Als kleinen Vorgeschmack auf sein neues (fünftes) Album, auf dem u. a. auch Alicia Keys und Camila Cabello mitmischen, gibt es vorab den Titelsong des Longplayers ,Late Night Feeling‘ mit der schwedischen Sängerin ,Lykke Li‘. In samtweichen Retro-Discosound gebettet, funktioniert die erste Album-Auskopplung auch direkt gut im Clubmodus und erweckt Hoffnung, dass das neue Werk dem erfolgreichen 2015er-Vorgänger ,Uptown Special‘ paroli bietet kann.

 


 

ROCKIGE TÖNE

 

WHITESNAKE – “Flesh & Blood”
Label: via Frontiers Music

Der ehemalige Deep-Purple-Sänger feiert mit seiner aktuellen Whitesnake-Formation mit dem großartigen Gitarrenduo Reb Beach und Joel Hoeksta sowie Drummer Legende Tommy Aldridge das 40-Jährige. Studio-Album No. 13 hält das, was die Fans sich wünschen, eingängigen und anspruchsvollen Hardrock im Vollgasmodus. David Coverdale glänzt bei hohen Stimmlagen nicht mehr ganz so wie in den 80ern; dennoch überzeugt der Maestro auch in etwas tieferen Tönen und liefert 13 Songs, die vor bei Up-Tempo-Stücken wie der Single „Shut Up & Kiss Me“ ordentlich Spaß machen und zum Ende der Platte mit dem mitreißenden und harmoniegetränkten „Sands Of Time“ begeistern.

 

Jesse Mac Cormack: Now
Label: Secret City Records

Der Multiinstrumentalist aus Montreal präsentiert auf seinem Debüt-Album ‘Now’ einen deutlich poplastigeren Sound als auf den 3 bisherigen, eher folk/roots-rocklastigen EPs. Kritiker unterstellen dem Kanadier, sich für die Erweiterung seines Sound-Portfolios so einiges beim kürzlich verstorbenen Mark Hollis und dessen Kultband ,Talk Talk‘ abgeschaut zu haben. Das Soundgewand auf ,NOW‘ ist zwar geprägt von melodischen Sythies, phrasiertem Gesang und einem rhythmisch perkussiv tickenden Unterbau, wie es für die Kultband aus den 80ern nicht untypisch war, allerdings hat Mc Cormack hier schon sein eigenes Ding durchgezogen. Mit dem tollen “No love go” hat die Platte dann sogar, wie ich finde, noch einen Track mit Hit-Potenzial. Toller Musiker, tolle Entwicklung, Checken!

 

Jade Bird – Jade Bird
Label: Glassnote (Rough Trade)

Die britische Sängerin und Songwriterin Jade Bird überrascht mit ihrem selbstbetitelten Debüt-Album. Die 12 selbstgeschriebenen Tracks variieren in einem Spannungs- bogen von Country-Folk bis Indie-Rock, von gefühlvollen Pianoballaden über Pop-Hymnen bis zu vorwärtstreibenden Rocksongs. Diverse Drei-Minuten-Tracks, wie das wunderbare ,Side Effect‘ bewerben sich dann gleich auch für die Hitlisten. Über den tollen Arrangements, die Sturm und Drang zugleich vereinen, thront Jade mit ihrer, für eine gerade mal 21-Jährige bemerkenswert reifen, kristallkaren und vor grenzenlos positiver Energie strotzenden Stimme. Vergleiche zu Sängerinnen wie Alanis Morissette, Stevie Nicks oder Sheryl Crow können gern gezogen werden, dennoch ist Jades gelungenes Debüt eigenständig, großartig und völlig zeitlos.

 


 

SPECIAL PICKS

 

Ratso – Stubborn Heart
Label: Lucky Number / Rough Trade

Der New Yorker Autor, Schriftsteller und Schauspieler Larry ‘Ratso‘ Sloman (schrieb u. a. die Memoiren von Mike Tyson) blickt auf eine bemerkenswerte Karriere zurück. Er schrieb Texte u. a. für Bob Dylan, John Cale oder Rick Derringer und liefert jetzt mit 68 Lenzen sein musikalisches Debüt. Das kann sich allerdings sehen bzw. hören lassen. Die Musik zu Slomans Texten komponierte u. a. Vinnie Cacchione von Caged Animals, 8 der 9 Tracks singt ,Ratso‘ selbst, die gemeinsame Performance mit Nick Cave ist genial und Support gibt es von den Sängerinnen Yasmine Hamdan und Sharon Robinson sowie Caves Pianisten Warren Ellis. Ein ganz feines und besonderes Release.

 

MIRIAM AÏDA – Loving The Alien
Label: Connective Records

Die schwedische Jazzsängerin MIRIAM AÏDA ist ein großer Fan des 2016 verstorbenen David Bowie und präsentiert auf ihrem neuen Album Bowie-Klassiker aus den Jahren von 1969 bis 2016, wie ,Space Oddity‘, ,Let’s Dance‘ oder ,This is not America‘. Die Kompositionen einer der größten Pop-Ikonen der Neuzeit treffen hier auf eine Kammerbesetzung mit Akustikgitarre, zwei Percussionisten, dem weltbekannten Posaunist Nils Landgren als Gast und die charmante Stimme der schwedischen Künstlerin. Großartig die Arrangements der Songs mit ihren subtilen afrobrasilianischen, Reggae- und Jazz-Grooves, gepaart mit AÏDAS gefühlvoller Stimme und dem Hauch nordischer Melancholie. Für einige Songs wurden sogar portugiesische Bowie-Texte verwendet.

 

Manu Katché – The Scope
Label: Anteprima (Broken Silence)

Manu Katché ist den meisten Rockfans ein Begriff durch seine Zusammenarbeit mit Peter Gabriel, bei dem er seit 1985 ständiges Mitglied seiner Studio- und Livebands ist. Sein filigran groovendes Schlagzeugspiel prägte bislang Hunderte von Studioproduktionen und Livetourneen, u. a. auch mit Sting, den Dire Straits, Tears for Fears oder Jan Garbarek. Mit ,The Scope‘ geht der französische Drummer neue Wege, lässt moderne Maschinensounds zu und baut – unterstützt durch sein exzellentes Quartett – die Songs um den Rhythmus herum. Eine Abkehr von seinen, mehr im Jazz beheimateten Alben aus 2007 und 2010 und modernes Klangerlebnis pur!

Artikel von www.top-magazin.de/ruhr