Kultur

Ein Himmel voller Geigen

Seit über 100 Jahren pflegt die Familie Bartsch in Essen das Geigenbau-Handwerk


Echtes Meisterhandwerk braucht Erfahrung: Seit 1960 arbeitet Johann Bartsch in der 3. Generation als Geigenbauer. Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen schaut fasziniert zu.

 

Sie baumeln an einem Draht von der Decke: Große und kleine, jüngere und alte, denn woanders ist in der vollgepackten Werkstatt hinter dem nicht minder gut bestückten Geschäft kein Platz für noch mehr Geigen. Oder Bratschen. Oder Celli. Und so hängt im Reich von Florian Bartsch an der Zweigerstraße in Essen auch buchstäblich der Himmel voller Geigen. Seit vier Generationen hat sich die Familie seit 1903 dem Geigenbau verschrieben. Eine Geschichte, die ihre klingenden Spuren hinterlassen hat. Spuren in den Regalen, hinter den Glastüren der Schränke und eben am Werkstatthimmel. Hier reihen sich die kleinen und größeren Streichinstrumente wie auf einer Tonleiter artig aneinander. Manche von ihnen sind edle Diven, fein gestimmt und kostspielig für den anspruchsvollen Liebhaber. Andere haben ein tristes vergessenes Dasein im Keller oder auf dem Dachboden gefristet, bis sie entdeckt und beim Geigenbauer abgegeben wurden. Florian Bartsch nimmt sie alle, poliert sie wieder auf, gibt ihnen die Stimme zurück. „Das ist toll, wir sind eine der wenigen Zünfte, bei denen man wirklich alles reparieren kann“, lächelt er, und sein Blick schweift fast liebevoll über die überbordende Sammlung.

Und er weiß sie alle zu würdigen, jede einzelne nach ihrer individuellen Fasson: Die eine macht noch einem Straßenmusiker bestimmt viel Freude, die andere dient zum Lernen und die hochwertige Meistergeige freut sich auf ihren Einsatz bei Menschen, die sich dieses Hobby gönnen. Das gilt nicht nur für die betagten und frisch aufgearbeiteten Streichinstrumente vom fast riesengroßen Kontrabass bis zur wirklich winzigen Zehntelgeige für ganz kleine Kinderärmchen, auch die neuen Instrumente aus der eigenen Meister-Werkstatt harren hier ihrer Liebhaber. Über 100 exklusive Stücke hat Vater Johann in der 3. Generation seit 1960 noch selber gebaut. Die Decke aus Fichtenholz, Ahorn für die Zargen und den Boden – so hat sich der Materialeinsatz seit Jahren bewährt und tradiert. Daraus entsteht der Korpus mit den F-Löchern, daran kommt der Hals, dann wird das Gesamtkunstwerk lackiert. Hauchdünn, bis zu 15 Schichten, dazwischen wird geschliffen und poliert. Bis zu 200 Stunden kunstvoller und geduldiger Handarbeit stecken in so einer Meistergeige. Dazu kommen dann noch die Stege, über die die Saiten laufen, die von den Wirbeln gespannt werden. Stege und Wirbel sind eine ganz eigene Kunst und Profession, sie werden meisterlich geschaffen und zugeliefert, erzählt Geigenbauer Florian Bartsch über den Weg von der Holzplatte zur handgefertigten Meistergeige.

Er selber kann den Output seines Vaters nur bewundern. Längst fehlt in dem Betrieb die Ruhe, sich mit einem einzelnen Stück so intensiv zu beschäftigen. Nahezu ununterbrochen geht im Laden an der Zweigerstraße die Türglocke, holt die Bartschs und ihre Geigenbau-Meisterin Eva Herweg von der Werkbank nach vorne. Da ist beim Cello der ganze Hals herausgebrochen und muss wieder millimetergenau eingepasst und eingestimmt werden. Bei einer Geige hat die Schachtel schwer gelitten, andere bringen den Bogen für eine fachgerechte neue Bespannung. Aber auch Leihinstrumente sind gefragt oder individuelle Beratung bei der Anschaffung eines neuen Instrumentes. Da ist es schon wunderbar, freut sich Florian Bartsch, dass er den Menschen eine breite Auswahl vorlegen kann. In praktisch jeder Preisklasse. Den Unterschied, der sich schnell in Tausendern rechnet, macht die Qualität von Material und Verarbeitung. Der Experte weiß, worauf es ankommt – zum Beispiel die Zahl der ganz feinen Jahresringe, die beweist, dass das Holz langsam gereift und damit widerstandsfähiger ist. Und wenn es um den Bogen geht, der den Saiten erst den Ton entlockt, dann sind Schweifhaare von Pferden aus kargen kalten Regionen ideal. Dort, zum Beispiel in Sibirien, wachsen sie gleichmäßiger und dicker und eignen sich damit perfekt für den neuen klangvollen Einsatz. Aber es müssen eben nicht immer Reichtümer sein, wenn man selber zum Streichinstrument greifen will. Für die Kleinsten ohnehin noch nicht, von der Zehntel- über die Viertel- bis zur Dreiviertel-Geige reichen die Schritte bis zum „normalen“ Instrument. Bei Bartsch gibt es dies alles auch geliehen für überschaubaren Einsatz, und alles vom Koffer über die Noten bis zum Notenständer noch dazu. Und der Werkstatt-Himmel hängt auch nicht nur voller Geigen, auch wer eine Bratsche oder ein Cello sucht, wird hier fündig. Oder Zubehör, wie Kolophonium, jenes Mittel zum Einreiben der Bogenhaare. Florian Bartsch hat für einen Bratschisten der Neuen Philharmonie Westfalen eine ganz besondere Sorte besorgt: Leatherwood aus Australien. Jetzt macht der Geigenbauer aus Essen dafür den gesamten Europavertrieb.

Aus der Ruhe bringen lassen sich Florian Bartsch und Eva Herweg von all dem Ansturm nicht so einfach. Auch wenn es mal schnell gehen muss mit einer Reparatur, weil ein Profi vor dem dringenden Konzerteinsatz steht. In der Werkstatt duftet es nach Holz, Lack und Leim. Kaum einmal zerren Maschinengeräusche an den Nerven. Gearbeitet wird von Hand, mit angestammten Instrumenten. Manche vom Opa an den Enkel vererbt. Wie das Wissen um die Qualitäten einer guten Geige. Meisterlich seit über 100 Jahren.

 

Geige, Bratsche, Kontrabass: Florian und Johann Bartsch können in ihrem Laden an der Zweigerstraße in Essen alle Instrumente und ihre Unterschiede bis ins Detail erklären. Da kann auch OB Thomas Kufen spannende Erkenntnisse mitnehmen.
Artikel von www.top-magazin.de/ruhr