Wirtschaft

Zu Gast bei Herrn Steinmeier

Seit März hat die Villa Hammerschmidt einen neuen „Mieter“. Mit seiner Wahl zum Bundespräsidenten übernahm Frank-Walter Steinmeier die Rolle des Hausherrn. Top Bonn durfte einen Blick hinter die Kulissen des „Weißen Hauses am Rhein“ werfen… nur wenige Stunden, bevor das deutsche Staatsoberhaupt höchstpersönlich seinem Bonner Amtssitz einen ersten Besuch abstattete.


 

Stellen Sie sich vor, der Bundespräsident gibt einen Empfang und seine kleine Tochter stapft im Pyjama die Treppe herunter, um sich über den Lärm zu beschweren. So geschehen in der Villa Hammerschmidt, zur Amtszeit von Walter Scheel in den 1970er Jahren. Damals, als Bonn noch Bundeshauptstadt war, ging hier das „Who‘s who“ der internationalen Polit-Szene ein und aus: John, F. Kennedy, Indira Gandhi, François Mitterrand. Aber auch die Queen oder der Papst waren bereits zu Gast. Kurzum: In den 45 Jahren bis zum Umzug des Bundespräsidenten nach Berlin wurden hier fast alle gekrönten und ungekrönten Staatsoberhäupter und Regierungschefs der Welt empfangen. Sie alle sind über die geschwungene Einfahrt auf die Villa zugefahren, haben sich ins Gästebuch eingetragen und auf den nachtblauen Polstermöbeln im Kaminzimmer Platz genommen – zu einem der berühmten Vier-Augen-Gespräche.

 

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Immer in Schuss

Wir betreten das Gelände nicht über das repräsentative Hauptportal an der Adenauerallee, sondern über einen unscheinbaren Seiteneingang. Hier hat die Bundespolizei einen strengen Blick darauf, wer das Grundstück betritt. „Wir befinden uns hier in einem besonderen Sicherheitsbereich“, erklärt Hausdame Marion Scholl, die uns am Tor begrüßt. Sie ist eine von fünf Angestellten, die sich auch in Abwesenheit des Bundespräsidenten um das Anwesen kümmern. Bei sechs bis sieben Besuchen im Jahr eher der Normalzustand. Ein Fahrer mitsamt Panzerfahrzeug steht für eventuelle Fahrdienste bereit. Drei Gärtner pflegen den fünf Hektar großen Park.

 

In guter Nachbarschaft

Wir spazieren rüber zum sogenannten Maifeld. Von hier haben wir einen hervorragenden Blick auf die gesamte Pracht der Villa, die aufgrund ihrer Ähnlichkeit zum Weißen Haus in Washington D.C. im Volksmund auch „Weißes Haus am Rhein“ genannt wird. Zur rechten Seite, gleich hinter den alten Buchen, befindet sich der Park des Palais Schaumburg, dem Bonner Amtssitz der Bundeskanzlerin. Beide Grundstücke sind über eine Zufahrt verbunden. Etwas versteckt hinter üppigen Büschen verbirgt sich zusätzlich ein altes Gartentor, das Bundeskanzler Konrad Adenauer gerne genutzt haben soll. Der Altkanzler, so heißt es, fand die besondere Atmosphäre des Anwesens so anziehend, dass er häufig auf einen Sprung herüberkam.

 

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Frische Blumen für den Hausherrn

In der Eingangshalle treffen wir auf Dieter Kalthoff. Der Referatsleiter ist für die Verwaltung der Villa zuständig und gerade aus Berlin angereist, um am Abend Frank-Walter Steinmeier in Empfang zu nehmen. Es ist der erste Besuch des neuen Bundespräsidenten an seinem Bonner Amtssitz. Dennoch scheint hier alles seinen gewohnten Gang zu nehmen. Von Aufregung keine Spur. „Wir sind eigentlich immer bereit“, sagt Marion Scholl. „Der Bundespräsident könnte auch unangemeldet vor der Tür stehen.“ Wenn sie vorgewarnt wird, wie heute, sorgt sie gerne für frische Blumen. Manchmal nutzt der Bundespräsident die Villa nur als Zwischenstopp für eine Nacht oder um sich auf der Durchreise kurz frisch zu machen. Ob sich das deutsche Staatsoberhaupt auf dem Gelände aufhält, erkennen Passanten an der gehissten Standarte auf dem Dach des Gebäudes. Aber auch in seiner Abwesenheit verfällt die Villa Hammerschmidt nicht in einen Dornröschenschlaf. Mittlerweile werden fast täglich Führungen durch das Anwesen und den Park angeboten. Außerdem steht das herrschaftliche Gebäude für standesamtliche Trauungen zur Verfügung. Allerdings unter verschärften Sicherheitsauflagen. Einfach auf das Gelände spazieren, darf hier niemand. Auch wir wurden vorab vom Bundeskriminalamt überprüft.

 

Deutsche Bescheidenheit

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Doch zurück zu unserem Rundgang: Dieter Kalthoff führt uns zunächst durch das Erdgeschoss des Anwesens. Hier befinden sich die Repräsentationsräume: Eingangshalle, Empfangs- und Speisesaal, Kamin-, Terrassen- und Arbeitszimmer. In letzterem hat zum Beispiel Richard von Weizsäcker seine berühmten Reden geschrieben. „Für den Amtssitz eines Staatsoberhauptes ist die Villa Hammerschmidt eher klein und wenig pompös“, erklärt der Referatsleiter. „Das war damals nach dem Zweiten Weltkrieg so gewünscht.“ Als Theodor Heuss 1950 als erster Bundespräsident einzog, ließ er kurzerhand zwei Turmbauten entfernen, damit die Villa weniger einem „Zuckerschloss“ gleicht.

 

Rheinische Kunsttop-magazin-bonn_zu-gast-bei-herr-steinmeier-2

Die Wände des Amtssitzes schmücken Werke der Maler Karl Otto Götz und Bernard Schultze, bekannte Vertreter der informellen Kunst und mit dem Rheinland eng verbunden. Im Kaminzimmer sowie in der Galerie hängen markante Porträts großer deutscher Persönlichkeiten, fotografiert von Hugo Erfurth – darunter auch ein junger Konrad Adenauer. Sie werden ergänzt durch Fotografien aus der Serie „Menschen des 20. Jahrhunderts“ des Künstlers August Sander. Das Mobiliar in der Villa – im Stile des französischen Empires von 1830 – stammt aus Schloss Wilhelmshöhe bei Kassel. Ursprünglich war es Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der den Austausch von Gemälden und Möbeln mit deutschen Museen initiierte, um den zahlreichen Besuchern moderne deutsche Kunst zu präsentieren.

 

Eine Frage der Sicherheit

Im Obergeschoss befinden sich die Privaträume des Bundespräsidenten, die auch Frank-Walter Steinmeier bei seinen Besuchen in Bonn nutzen wird. Vom säulengestützten Balkon hat er einen grandiosen Blick auf den hinteren Park sowie den Rhein. Bei schönem Wetter lässt es sich hier wunderbar frühstücken. Direkt unter dem Balkon befindet sich eine Rheinterrasse mit großzügiger Treppe, die in der Vergangenheit schon häufig zum Fotomotiv wurde. Dieter Kalthoff erinnert sich an einen Zwischenfall, zu dem es bei einem solchen Fototermin kam: „Bei einem Besuch der Queen konnte eine Dame die Sicherheitsabsperrungen überwinden und sich der britischen Monarchin nähern. Sie machte einen Knicks und überreichte einen Strauß Blumen.“ Das Ergebnis: aufmerksamkeitsstarke Bilder, aber auch jede Menge Aufregung beim Sicherheitspersonal. „Heute sind die Sicherheitsauflagen deutlich strenger als damals“, ergänzt der Referatsleiter. „Bei hohem Besuch wird mittlerweile selbst das andere Rheinufer überwacht.“

 

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Schwärmerische Rheinromantik

Wer auf besagter Rheinterrasse steht und in Richtung Siebengebirge schaut, wundert es nicht, dass die Gegend in der Mitte des 19. Jahrhunderts als „Rheinische Riviera“ galt. Attraktive Bauplätze mit Rheinblick hatten damals Konjunktur. Zu jener Zeit entstand auch die Villa Hammerschmidt. Sie wurde um 1860 im Auftrag des Kaufmanns Albrecht Troost sowie nach dem Entwurf des Bonner Architekten und Universitätsbauinspektors August Dieckhoff erbaut. Keine 20 Jahre später erwarb Unternehmer Leopold Koenig – Vater von Alexander Koenig, dem späteren Gründer des gegenüberliegenden Museums Koenig – das Anwesen. Es kam zu maßgeblichen Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen, die das Erscheinungsbild des klassizistischen Baus bis heute prägen. Dass der „Zuckerkönig“ keine Kosten scheute, zeigt auch die Gestaltung des malerischen Landschaftsparks – inklusive Palmenhaus und Nibelungengrotte. Letztere ist Zeugnis der schwärmerischen Rheinromantik des 19. Jahrhunderts, als Reaktion auf die beginnende Industrialisierung. Anders als häufig angenommen, sind Teile der Grotte bis heute erhalten und können unter anderem im Rahmen der regelmäßigen Tage der offenen Tür besichtigt werden.

 

Bild 01 // Die Queen zu Gast in Bonn (Mai 1965): Bundespräsident Heinrich Lübke (Mitte) mit seiner Frau Wilhelmine (l.) sowie Königin Elisabeth II. von Großbritannien und Prinz Philip auf der Rheinterrasse der Villa Hammerschmidt

Bild 02 // Hoher Besuch aus Indien (November 1971): Bundespräsident Gustav Heinemann empfängt Indira Gandhi, Ministerpräsidentin von Indien

Bild 03 // Staatsmänner unter sich (Juni 1963): John F. Kennedy (Präsident der USA), Bundespräsident Heinrich Lübke, Bundeskanzler Konrad Adenauer, Dean Rusk (Außenminister der USA) und Bundesaußenminister Gerhard Schröder (v. l.)

 

Familie Hammerschmidt

Der heutige Name der Villa stammt allerdings vom nächsten Besitzer: dem Geheimen Kommerzienrat und Fabrikant Rudolf Hammerschmidt, der in St. Petersburg in der Baumwollindustrie zu einem Vermögen gekommen war und das Haus samt Grundstück 1899 erwarb. Er machte das Anwesen zum gesellschaftlichen Mittelpunkt von Kultur und Wirtschaft. Nach seinem Tod wurde die Anlage in zwölf Wohnungen aufgeteilt und vermietet, das Mobiliar und die Kunstsammlung wurden versteigert. Den Zweiten Weltkrieg überstand die Villa unbeschadet. Nach Kriegsende beschlagnahmten alliierte Besatzungsmächte das Anwesen. Am 5. April 1950 erwarb die Bundesrepublik Deutschland den Grundbesitz von den Erben Rudolf Hammerschmidts – für 750.000 Deutsche Mark.

Bonn/Berlin

Theodor Heuss, Heinrich Lübke, Gustav Heinemann, Walter Scheel, Karl Carstens, Richard von Weizsäcker und Roman Herzog nutzten die Villa Hammerschmidt als Arbeitsplatz und zum Teil auch als Wohn-haus. Dann kam der Regierungsumzug in die neue Hauptstadt. 1994 wurde auch der erste Amtssitz des Bundespräsidenten nach Berlin verlegt – ins Schloss Bellevue. Seither dient die Villa am Rhein als Bonner Amtssitz. Damit bleibt sie ein Ort für Begegnungen, Veranstaltungen und Gespräche des Bundespräsidenten mit Gästen aus dem In- und Ausland.

Artikel von www.top-magazin.de/bonn