Kultur

Der fliegende Holländer auf der Halde Haniel

Ganz oben sieht es wirklich beinahe unwirtlich aus – fast wie eine Mondlandschaft mutet die Halde Haniel an. Und doch: mittendrin ist ein Amphitheater. Nun tritt ein Mann an, diese Mondlandschaft mit Leben zu füllen, Thomas Grandoch. Schon einmal hat er eine gigantische Open-Air-Oper hier auf die Beine gestellt. Die Aida. Nun wagt er sich am gleichen Ort an Richard Wagners „Der fliegende Holländer“.


Open Air auf der Halde Haniel

Er ist ein echtes Kind dieser Stadt Bottrop, in Fuhlenbrock aufgewachsen, Abitur am Heinrich-Heine-Gymnasium. Und in Thomas Grandoch wohnt eine ganz besondere Leidenschaft: Das Theater. Die macht den heute 32-Jährigen in Bottrop stadtbekannt. Als Mann, der die „Aida“ als Open-Air-Oper auf der Halde Haniel erklingen ließ. Das wird im Kulturhauptstadtjahr 2010 ein Sensationserfolg. Nun greift Thomas Grandoch noch einmal nach diesen Sternen: „Der fliegende Holländer“ geht im Frühsommer 2016 im Amphitheater oben auf der Halde an Land.

Den Grundstein für solche außergewöhnlichen Acts legt er ganz früh. Wo bei anderen Mathe oder Deutsch als Abiturfach steht, da hat Thomas Grandoch als „besondere Lernleistung“ ein ganzes Theaterstück inszeniert. Als Abiturient bringt er prüfungsrelevant die „Geschlossene Gesellschaft“ von Sartre auf die Bühne. Als eigene Inszenierung mit anderen theaterbegeisterten Schülern, schon da an einem ungewöhnlichen Ort: dem stillgelegten Schalthaus auf dem Gelände der immer noch aktiven Zeche Prosper II. Das ist eine alte Industriekulisse und sie legt den Grundstein einer ganz besonderen Beziehung zum Bergbau, die Grandoch seither bei allen Aktionen im Revier pflegt. Denn dem Pennäler-Auftakt folgt ganz schnell ein zweiter Aufschlag: Nur ein Jahr später, 2004, entwirft Grandoch als Projekt die Aufführung des Schauspiels „Die Zofen“ als Open-Air-Event auf der Bergbau-Halde am Alpencenter. Er klopft damit beim Kulturamt der Stadt an und findet Gehör und die Unterstützung, die für die Umsetzung notwendig ist. Grandoch, gerade 21 Jahre jung, macht die Inszenierung, entwirft das Bühnenbild, castet die Schauspieler. Vor der Ruhrgebiets-Kulisse mit der spektakulären Aussicht auf die Dampfwolken der letzten aktiven Kokerei wird das Stück ein echter Erfolg.

Seine Leidenschaft gehören dem Theater und der Oper. Deshalb kommt der gebürtige Bottroper Thomas Grandoch immer wieder aus Berlin für ganz besondere Inszenierungen auf der Halde Haniel in seine Heimatstadt.

Seine Leidenschaft gehören dem Theater und der
Oper. Deshalb kommt der gebürtige Bottroper
Thomas Grandoch immer wieder aus Berlin für ganz
besondere Inszenierungen auf der Halde Daniel in seine Heimatstadt.

Der wird ihn gleich in mehrfacher Hinsicht fortan durch sein Leben begleiten. Denn einer der Zofen-Darsteller ist Berliner, und als der junge Regisseur ihn nach dem gemeinsamen Projekt in der Hauptstadt besucht, reift der Entschluss: Hier will ich studieren. Theater- und Filmwissenschaften an der Freien Universität markieren die erste Station, parallel dazu macht der Bottroper mit praktischen Inszenierungen am Hansa-Theater in Moabit mit, und stellt fest: „Dieses Studium ist mir zu theoretisch.“

Da holt ihn von anderer Seite sein Erfolg mit den Zofen ein: Bottrop will zum Kulturhauptstadtjahr im Amphitheater auf der Halde Haniel eine Open-Air-Produktion realisieren. Verdis Aida soll es sein, und Thomas Grandoch wird als Regisseur gerufen. Das ist 2008 und der da 25-Jährige sieht die Super-Chance und zögert nicht einen Augenblick, einzuschlagen. „Ich habe schon viel Selbstvertrauen“, bekennt er sich zum scheinbar tollkühnen Meisterstück, das ihn von da an zwei Jahre zwischen Berlin und Bottrop in Atem hält. Zwei Jahre pendeln zwischen alter und neuer Heimat, neuer Aufgabe mit alten Freunden und gleichzeitig neuem Studium in Berlin, weil das alte eben nicht so wirklich die Träume erfüllte. Träume wahr macht Grandoch dafür in Bottrop: Den Traum der Stadt, etwas ganz Besonderes im außergewöhnlichen Ambiente auf Haniel zu präsentieren, und den eigenen Traum, aus der Super-Chance auch einen großen Erfolg zu machen.

Die Aida wird der Überraschungs-Coup der Kulturhauptstadt, keiner rechnet im Vorfeld mit diesem Projekt und dem phänomenalen Echo. 6000 Menschen sehen die sechs Aufführungen, jede einzelne ist restlos ausverkauft.

Thomas Grandoch hat die letzten sechs Wochen davor jeden einzelnen Tag auf der kargen Halde verbracht, manchmal bis in die Nacht. Er gestaltet auch das Bühnenbild, übernimmt die Verantwortung für jedes Detail. Am Ende steht die Aida als Meilenstein im Lebenslauf eines erst 27Jährigen.

Der ruht sich nicht aus, sondern legt nach, wenn auch ganz anders. Im kleinen, aber auch ganz besonderen Malakowturm, inszeniert er 2011 „The Lighthouse“, eine moderne Kammeroper, ein fast mystischer Krimi, der im alten Industriegemäuer den richtigen Rahmen findet. Auch da bleibt der Erfolg Grandochs Begleiter, sodass der Sohn der Stadt 2012 mit dem Bottroper Kulturförderpreis ausgezeichnet wird. Inzwischen hat Thomas Grandoch in Berlin an der Universität der Künste das Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftkommunikation abgeschlossen, entwickelt Showformate fürs Fernsehen RTL (Wild Wedding) und Kommunikationskonzepte und macht sich als Start-up-Unternehmen mit der „storyfeed GmbH“ selbstständig. Gleich zweimal wird er vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ausgezeichnet: Als Kultur- und Kreativpilot 2012 und mit dem IKT-Innovationspreis 2013.

Trotz alledem lässt seine eigentliche Leidenschaft auch dem preisgekrönten Start-up-Unternehmer keine Ruhe. „Ich wollte unbedingt wieder etwas mit Theater und Oper machen“, bekennt Grandoch und legt bei seiner Heimatstadt 2014 ein neues kühnes Konzept vor: Wagners Oper „Der fliegende Holländer“, 2016 Open Air auf der Halde Haniel inszeniert. Ein neues Highlight mitten im völlig toten schwarzen Gestein – kein Blick zum Horizont, darüber nur der Himmel.

Die Stadt schlägt ein – der Chor jubelt. Wörtlich gemeint: Es ist der Bottroper Projektchor, einst für die Aida-Aufführung eigens ins Leben gerufen, der einen nächsten Einsatz förmlich herbeigesehnt hat. So nimmt das neue Projekt Formen an. Sechs Solisten, ein 70-stimmiger Chor, ein ebenfalls 70-köpfiges Orchester, das Opernorchester der Neuen Philharmonie Westfalen. Dazu Tänzerinnen einer Bottroper Balletschule und 25 Statisten. Und wieder schließt sich ein Kreis: Denn die stellt der Literaturkursus des Heinrich-Heine-Gymnasiums. Auch sie echte Kinder dieser Stadt.

Artikel von www.top-magazin.de/ruhr