Am 26.04.24 startet das Klavier-Festival Ruhr, das kulturelle Leitprojekt des Initiativkreis Ruhr unter der Schirmherrschaft von Leonhard Birnbaum, Vorstandsvorsitzender der E.ON (Hauptsponsor).
Katrin Zagrosek, die neue Intendantin des Klavier-Festival Ruhr ist eine Zäsur für die Veranstaltung. Sie leitet und organisiert das weltweit größte Festival seiner Art und geht dabei neue Wege. Wir hatten das Vergnügen und die Ehre, so kurz vor Beginn des Festivals ein Interview mit ihr führen zu können.
Dass es dieses Mal unsere besondere Aufmerksamkeit erfahren hat, liegt daran, dass nach fast 30 Jahren das Festival von Katrin Zagrosek als Intendantin geleitet wird, die Franz-Xaver Ohnesorg nach dessen Tode ablöste.
Sie setzte sich gegen über 60 weitere Bewerber durch.
Eine besondere Frau, ein besonderes Interview. Kommend aus Mönchengladbach, Grundschulzeit in Wien und Frankfurt/Main bis zum Abitur in Frankfurt, Auslandssemester, Studium in Lüneburg und Berlin. Berufsjahre ebenso aufregend. 3 Jahre Freiburg/Breisgau, dann für immerhin 7 Jahre in Hannover, dann 5 Jahre in Stuttgart.
Frau Zagrosek: Sie sind sehr viel rumgekommen und wohnen seit ca. 9 Monaten im Essener Süden. Haben Sie nicht irgendwann einmal den Wunsch sich niederzulassen?
Ja, dass könnte ich mir vorstellen. Zum Beispiel im Ruhrgebiet, vielleicht sogar hier in Essen.
Warum gerade hier?
Nach 100 Tagen im Amt als Intendantin bin ich viel im Ruhrgebiet gereist. Hier ist es entspannt und schön grün. Im Moment wohne ich in der Nähe vom Baldeneysee. Ich erlebe die Menschen hier als herzlich und offen.
Sie haben bereits sehr viel Erfahrung in der klassischen Musikszene in unterschiedlichen Funktionen an den unterschiedlichsten Orten gesammelt. Wie ordnen Sie ihre neue Aufgabe als Intendantin des Klavier-Festivals Ruhr in Ihren Werdegang ein und was macht die Aufgabe so interessant für Sie?
Die Aufgaben sind eigentlich mit jedem Positionswechsel organisch gewachsen. Meine erste Intendanz war vor etwa 15 Jahren bei den Niedersächsischem Musiktagen, einem großen Flächenfestival in Niedersachen, getragen von der dortigen Sparkasse. Mit der nächsten Aufgabe in Stuttgart kam kaufmännische und geschäftsführende Verantwort dazu. Ich sehe in meiner jetzigen Aufgabe wiederum eine Weiterentwicklung, da ich für ein komplett privat finanziertes Festival – und zwar künstlerisch wie geschäftsführend – zuständig bin.
Tatsächlich, zu 100% privat finanziert?
Ja, kein Cent aus der öffentlichen Hand. Ein freiheitlicher Geist prägt das Festival. Das Festival ist entstanden aus dem Wirtschaftsverband Initiativkreis Ruhr heraus und ist bis heute der Stolz des Initiativkreises.
Der Aufwand für die fast 70 Konzerte zwischen Rhein und Ruhr ist immens. Ist das überhaupt kostendeckend darstellbar?
Über die Jahre hinweg konnte man schon eine gewisse Rücklage erwirtschaften. Man muss aber weiterhin gut haushalten.
Stehen Einnahmen und Ausgaben zu 100% vor Festivalbeginn fest?
100% ist es nie klar, man hat Erfahrungen und weiß, auf welche Partner man sich in welchen Größenordnungen verlassen kann und damit wird geplant.
Ich habe gehört, dass das Klavier-Festival Ruhr das erfolgreichste Klavierfestival der Welt ist, stimmt das?
Vor allem ist es das größte Pianistentreffen weltweit mit 66 Konzerten über fast 12 Wochen.
…und es überschneidet sich ca. 4 Wochen mit der Europameisterschaft hier in Deutschland. Gibt es daraus Effekte, die Sie für das Festival erwarten, obwohl die Zielgruppen sich naturgemäß nicht sehr groß überschneiden dürften?
Während einer EM interessieren sich auch solche Menschen für Fußball, die ihm sonst keine Beachtung schenken. Um die Überschneidungen möglichst zu umschiffen, haben wir bei der Programmplanung genau erfasst, wann und wo die Fußballspiele stattfinden und so darauf hingearbeitet, dass niemand Verzicht in einer Richtung üben muss.
Ihr Vorgänger Herr Ohnesorg, der fast 30 Jahre lang vorher Ihre Position innehatte, hatte einen anderen Hintergrund, eine andere Historie und naturgemäß dadurch auch ein anderes Mindset. Wie verändert sich das Festival unter Ihrer neuen Leitung?
Erstens ist es mir wichtig, die Vielfalt des Festivals noch stärker herauszustellen. Ich nehme wahr, dass das Festival sehr verbunden wird mit den großen Namen von Pianisten, die sicherlich auch viel vertreten sind, wie bspw. Igor Levit, Lang Lang, oder Khatia Buniatishvili.
Das Festival ist aber viel mehr. Es ist zum Beispiel viel Nachwuchs, es ist Bildungsarbeit in den sozial herausfordernden Stadtteilen im Ruhrgebiet. Das Festival ist auch Jazz, das in diesem Jahr viel stärker mit Musikern vertreten sein wird, die hier noch nie zu hören waren. Klavier und Elektronik ist eine neue Reihe, die wir in Gelsenkirchen Ückendorf aufziehen. Dabei sind Pianisten zu hören, die das Klavier mit elektronischen Klängen erforschen. Eine klassische zeitgenössische eigene Art, die damit die Vielfalt des Festivals unterstreicht.
Vielfalt wäre ein Schlüsselbegriff. Stilistische Vielfalt, Vielfalt der Menschen, die zu uns kommen, um die 66 Konzerte des Festivals mitzuerleben. Es ist auch ein Traum, dass hier Menschen aus über 30 Nationen zu uns in die Metropole Ruhr kommen und mit ihren vielen unterschiedlichen kulturellen Hintergründen für uns spielen.
Wie kommunizieren und bewerben Sie die neue Strukturierung und Vielfalt des Festivals?
Im Bereich der digitalen Kommunikation haben wir in kürzester Zeit schon große Schritte unternommen. So haben wir einen deutlich veränderten Newsletter, der auch mehr als 10 Prozent neue Abonnenten und hohe Abrufzahlen in den letzten drei bis vier Monaten verzeichnen konnte. Bei unserem „intro to go“, einem Podcast, den wir für jedes einzelne Konzert erstellen, sprechen wir nicht auf abgehobene Weise über musikalische Sachverhalte. Vielmehr lassen wir die Künstler zu Wort kommen und stellen sie dem Hörer auf ganz persönliche Weise vor. Diese Podcasts finden tollen Absatz, denn die Menschen sind daran interessiert, O-Töne vom Künstler zu hören, im lebendigen Austausch mit einem Redakteur. Wir haben Bewegtbild-Content erstellt, der uns für Instagram, YouTube und Facebook zur Wahrnehmung verhilft. Perspektivisch soll eine Mediathek entstehen.
Des Weiteren profitieren wir beim Festival davon, dass wir eben nicht an das eine feststehende Haus gebunden sind. Räume mit alternativen Atmosphären können ständig neu ausgesucht werden, andere Uhrzeiten werden ausprobiert. Diese Freiheit und Flexibilität machen das Festival aus.
Sie erwähnten, dass Sie auch in die sozial herausfordernden Gebiete mit Ihren Konzerten gehen. Die Menschen dort sind zumindest nicht bekannt für ihre Leidenschaft zur klassischen Musik. Nehmen die Menschen, die Sie dort ansprechen wollen, auch zu einem vernünftigen Anteil das Angebot an und gefällt dieser Angang auch den Sponsoren des Festivals?
Das Festival finanziert sich durch Sponsoring und mäzenatisches Engagement und für beide Finanzierungsquellen kann ich versichern, dass unsere Education-Arbeit hohe Anerkennung findet. Im Rahmen ihrer Corporate Social Governance ist es ja heute auch den Unternehmen ein Anliegen, etwas für die Gesellschaft zu tun.
Die Kinder und Jugendlichen begegnen der Musik mit großer Offenheit und Neugier, und wenn wir dann über lange Zeit hinweg gemeinsam mit ihnen Musik hören und dazu Tanz entwickeln, ist es beeindruckend, zu erleben, wie ernsthaft sie dabeisind.
Wie können Sie Ihre sicherlich sehr in Anspruch nehmende Aufgabe als Intendantin mit den Privatleben vereinbaren. Gibt es eine gute Balance?
Ja, ich glaube, das eine nährt das andere. Und ich folge diesem einfachen, aber sehr sinnvollen Spruch: „In der Ruhe liegt die Kraft.“ Viel spazieren gehen und viel Schlaf halten mich fit, entspannt und geben mir die Kraft für die Aufgabe.
Spielen Sie selbst ein Instrument und wenn ja, wie aktiv?
Ja, Klarinette für mich zu Hause.
Welche Musik hören Sie persönlich gerne, wenn es mal keine rein klassische Musik sein soll?
Jazz.
Frau Zagrosek: Herzlichen Dank für das Interview.