Ruhrrevier

Urbanes Wandern

Es ist schon beinahe eine göttliche Idee, dabei von Menschen erdacht: Die „Dreifaltigkeit der Steige“ erschließt den Wanderern ganz neue Perspektiven auf ihre alte Heimat. Hier treffen sich Wasser und Höhen, Erinnerungen an die Schwerindustrie und Kultur.


Ein wunderbarer Blick auf den See und seine grünen Hänge wartet als Belohnung auf all die, die den BaldeneySteig mit seinen knapp 27 Kilometern erwandern

 

Originelle Wegstrecken sorgen für Abwechslung auf der Tour. Wer die gesamte Strecke schaffen möchte, braucht ein bisschen Übung und Kondition.

 

Die Heimat ganz neu zu entdecken, das ist für Ralph Kindel das eigentliche Ziel der Wanderwege im Revier. Mit den Füßen auf Essener Boden schweifen die Blicke bis nach Duisburg. Bei gutem Wetter zum Industriepark Nord. Oder über die Städteregion hinweg bis nach Gelsenkirchen, zur Zeche Nordstern oder dem Herkules aus dem Atelier von Künstler Markus Lüpertz. Kindel, einst 2010 Geschäftsführer der Kulturhauptstadt, ist darum auch Vater und kreativer Kopf der „Dreifaltigkeit der Steige“. Jene Wege in und um Essen, die nicht einfach nur zum Spazierengehen einladen, sondern wirklich dem Anspruch des Wanderns gerecht werden. Dabei steht für Kindel fest: „Der Weg ist das Ziel. Überall lassen sich die Kontraste entdecken, die das Revier ausmachen. Es zeigt, dass hier eine Region des Wandels ist. Wir erfinden uns immer weiter neu.“

Die imposante Villa Hügel inmitten ihrer Parklandschaft liegt ebenfalls an der Strecke

 

Selbst seit vielen Jahren passionierter Wanderer, ist Kindel überzeugt: Für dieses Hobby muss niemand ein Auto anlassen und ins Sauerland oder noch weiter fahren. So hat er die passenden Routen, echte Steige, entworfen und schickt die Menschen nun seit fünf Jahren damit auf eine ungewohnte urbane Wanderschaft. Eine Tour durch eine Metropolregion, bei der schließlich die Grenzen der Städte echt verschwimmen, mit viel Grün und Freiraum und wirklich ungewohnten Blickwinkeln. Der Charme dabei: Alles, was eine Stadt zu bieten hat, lässt sich dabei wunderbar einbauen und mitnehmen. Und Wandern sollte möglichst autofrei sein: Alle Ein- und Ausstiege sind ganz einfach mit dem ÖPNV zu erreichen.

Wenn Ralph Kindel der Vater, so ist der BaldeneySteig die Mutter aller Steige im Revier. Ihn ziert ein eigenes Wanderzeichen – das blaue Band der Ruhr oder des Sees, gekoppelt mit dem grünen zackigen Wegesymbol. Kindel hat es erfunden und eigens bei der Bezirksregierung offiziell zugelassen. Nicht über die viel besungenen sieben, aber über zwei Brücken muss man gehen, um diesen Steig zu bezwingen: Über die Eisenbahnbrücke zwischen Kupferdreh und Heisingen und das Wehr. Genau dort, auf Werdener Seite, ist auch der Startpunkt, von dort geht es gegen den Uhrzeigersinn weiter über die Fischlaker Höhen. Für die meisten der erste Perspektiv-Wechsel: Der Blick geht zum Nordufer des Baldeneysees mit der Zeche Carl Funke und die Korte Klippe mit dem Jagdhaus Schellenberg.

Auf dem BaldeneySteig begegnet man auch der Weißen Flotte. Wer nicht die gesamte Strecke laufen möchte, kann auch in eines der schönen Schiffe umsteigen.

 

Und die Wanderer stehen praktisch auf Augenhöhe mit der Villa Hügel und können die Anlage mit dem imposanten Bau ganz anders ermessen. Die Hälfte des Weges ist in Kupferdreh geschafft – und hier gibt es auch die Möglichkeit zum Ausstieg. Wer sich dafür entscheidet, kommt entweder mit der S-Bahn zurück oder wählt die Fahrt mit der Weißen Flotte bis zum Werdener Wehr.


Der BaldeneySteig ist 27 Kilometer lang und überwindet auf dem Rundweg um den Baldeneysee 600 Höhenmeter. 2017 im Rahmen des Projekts Grüne Hauptstadt Europas eröffnet, ist die erste Auflage der Wanderkarten heute bereits vergriffen. Rund 3.000 der eigens entworfenen Wanderzeichen wurden auf der Strecke zum sicheren Geleit angebracht.


 

Vor allem im südlichen Abschnitt führt der Kettwiger PanoramaSteig durch Wald und Feld

 

Fast etwas ungläubig und ein klein wenig stolz ist Ralph Kindel schon – der BaldeneySteig war schnell so beliebt, dass echte Staus auf den Wegen entstanden. Also setzte er sich hin, um eine neue Route zu entwerfen, auf denen sich besondere Einblicke in die Metropole gewinnen lassen. Und gerade, als der Wunsch nach Bewegung im Freien am größten war, 2020 mitten im ersten Jahr der Corona-Pandemie, präsentierte die Essen Marketing GmbH, die den Steig realisiert hatte, die von Kindel entworfene neue Strecke: Den Kettwiger PanoramaSteig. Sie ziert nun das blaue Band der Ruhr mit einem roten Wegesymbol. Los geht es am S-Bahnhof Werden, die Unterführung hindurch, den Hügel hinauf führt der Weg parallel zur Bahnlinie, quert den Baldeneysee und hat dann als erste mögliche Station das Wildgehege Heissiwald. Rund anderthalb Kilometer lang ist die Strecke dorthin, ein Wegstück, das sich auch gut als kleine Tour für Familien eignet.

Auf der gesamten Strecke aber macht der Steig seinem Namen alle Ehre – es geht nicht ohne eine gute Grundkondition. Wer die ganze Strecke absolvieren will, kann getrost eine Tagestour einplanen. Zwischen sieben und neun Stunden, schätzt Kindel, sind nötig für die 35 Kilometer mit genau 761 Höhenmetern, die es zu überwinden gilt.

Auf diesem Weg, dem nördlichen Teilstück, ergibt sich ein besonderes, typisch urbanes Panorama: Der Steig quert die Autobahn, die Wanderer gehen über eine Fußgängerbrücke, die Kettwig mit Mülheim verbindet und den totalen Kontrast schafft zwischen der lärmenden Autobahn und der totalen Ruhr, beschreibt Kindel die ganz eigene Faszination dieses Ortes. Der Blick reicht bis zu den Hochöfen in Duisburg, an Tagen mit guter Sicht bis zum Landschaftspark Duisburg-Nord oder bis nach Dinslaken. Da ist es einfach spannend auch zu identifizieren, was das Auge dort gerade erfasst. Und schon in der Nähe buhlen die Flieger des Flughafens Essen/Mülheim mit den grasenden Pferden auf den Koppeln um die Aufmerksamkeit. Urbanes Wandern in der Metropole Ruhr.


D761 Höhenmeter Anstieg auf fast 35 Kilometern – das ist der Kettwiger PanoramaSteig als kompletter Rundweg. Startpunkt ist am S-Bahnhof Werden, von dort lässt sich die nördliche oder die südliche Route auch einzeln für eine Tour auswählen. Immer führt die Strecke an der Ruhr entlang, der Weg geht durch hügelige Waldbereiche und landwirtschaftliche Gebiete, auf der nördlichen Route auch durch Siedlungen. Wer diesen Steig erwandern möchte, sollte eine gute Kondition mitbringen.


Artikel von www.top-magazin.de/ruhr