Menschen

Merker, Meinungsmacher, Moralist

Professor Karl-Rudolf Korte ist bundesweit bekannt aus Funk und Fernsehen. Er kommentiert die Bundestagsswahl im ZDF, beim Zapfenstreich für Bundeskanzlerin Angela Merkel steht er an der Seite von Bettina Schausten oder moderiert Live-Talks auf Instagram. Seit 2002 ist er Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen im Fachgebiet „Politisches System der Bundesrepublik Deutschland und moderne Governance-Theorien“. 2006 wurde er als „Professor des Jahres“ in der Kategorie Geistes-, Gesellschafts- und Kulturwissenschaften durch das Fachmagazin UNICUM-Beruf ausgezeichnet. Für das TOP Magazin RUHR wirft der Direktor der NRW School of Governance einen Blick auf die bevorstehende Wahl des Bundespräsidenten, bei der Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier für eine weitere Periode kandidiert. Unter dem Titel „Erwartungen an die zweite Amtszeit: Ein Präsident der Zumutungen?“ formuliuert der prominente Experte seine Sicht auf die Wahl, das Amt und den Kandidaten:


 

 

„Die kommende Bundesversammlung ist ein Unikat. Niemals zuvor wählen so viele Wahlmänner und Wahlfrauen wie diesmal. Aus NRW kommen zu den Bundestagsabgeordneten nochmals 156 gewählte Delegierte dazu. Pandemiebedingt soll auf fünf Etagen des Paul-Löbe-Hauses, in unmittelbarer Nachbarschaft des Reichstags am 13. Februar gewählt werden. Es wird wohl ein Wahlgang ausreichen, um Frank Walter Steinmeier erneut für die zweite und letztmögliche Amtszeit zu wählen. Vor Überforderung des Amtes muss ebenso gewarnt werden wie vor Überhöhung des Präsidenten. In der Regel hinterließen die Amtsinhaber in der zweiten Amtszeit weniger Spuren. In den ersten fünf Jahren hatten die Präsidenten bislang ihre wichtigsten Reden gehalten und prägnantesten Botschaften gesetzt. Steinmeier hat fehlerlos profund agiert, was in allen politischen Lagern auch bestätigt wird. Als Kanzlermacher hat er gleich zu Beginn seine präsidiale Reservemacht eingesetzt und die blockierte Regierungsbildung 2017 aufgelöst. Seine Stärken sind konzeptionell, im Denken, in seiner Beharrlichkeit und den kleinen Gesten. Er hatte Probleme, angemessen auf die Pandemie zu reagieren, da er immer noch operativ denkt und kein Zuschauer der Krise sein wollte. Er fand schließlich in der Begleitung der verschiedenen Phasen der Coronapolitik seine diskursive Lücke.

Der Bedarf an präsidialer Orientierung ist in Zeiten des Gewissheitsschwundes nicht geringer geworden, aber die Möglichkeiten, zum Player in der Mediendemokratie zu werden, sind zeitgleich begrenzter. Als Merker, Meinungsmacher, Moralist gehören Bundespräsidenten idealerweise zur den Reflektoren gesellschaftlicher Wirklichkeit. Sie sind in dieser Rolle außeralltäglich unverzichtbar. Wieviel demokratischer Trotz müsste vom Bundespräsidenten zukünftig zu hören sein, um die Qualität der offenen Gesellschaft zu sichern? Die Pandemie hat die Textur des Sozialen stark unter Druck gesetzt. Gesellschaftspolitische Risse sind in der Republik sichtbar. Der Bundespräsident wird hard power einsetzen müssen, um den Ansätzen einer post-legalen Politik – auch im bürgerlichen Lager – Einhalt zu gebieten. Wenn das postheroische Zeitalter sich dem Ende zuneigt, die Sehnsucht nach starker Führung wächst, öffnen sich zusätzliche Handlungsräume für den Bundespräsidenten. Auf die Rolle des Staatsnotars kann er sich dann nicht zurückziehen. Für das Gefühl der Grundgeborgenheit im Rechtsstaat muss er sich aktiv einsetzen. Nur verteidigen reicht dabei nicht aus. Neue Gestaltungsideen zum institutionellen Setting könnten notwendig werden, wenn eine wachsende Minderheit durch Regelverletzungen, völkischen Populismus, gewaltbereite Impfgegnerschaft und aggressive Formate den Zusammenhalt der Gesellschaft in verhetzter Atmosphäre angreifen. Die Dosis an soft power könnte ebenso zunehmen. Was der Bundespräsident hinter den Kulissen, ohne öffentlich sichtbare Entscheidungen, erwirkt, bleibt im Spiel mit anderen Verfassungsorganen wichtig. Die verborgene Macht.

 

 

Viele hängt auch vom dialektischen Zusammenspiel mit anderen Verfassungsorganen, vor allem mit dem immer sichtbaren Bundeskanzler zusammen. Mit Merkel lief Steinmeier machtpolitisch im Gleichschritt. Merkel agierte mit ihrer gradualistischen Politik als Kanzlerpräsidentin. Sie war unfähig als Person zu polarisieren. Steinmeier punktete als Präsidialkanzler. Immer häufiger musste er sich öffentlich und nicht-öffentlich im Tagesgeschäft zu Wort melden und auch Regierungsvertreter maßregeln. Reicht es zukünftig aus, deeskalierend und unaufgeregt zu steuern?
Scholz agiert mit „merkeligem Sicherheitsgefühl“, für das er gewählt wurde. Er selbst ist auch kein großer Erzähler, sondern Pragmatiker des Augenblicks. Wie er führt, muss sich erst noch zeigen. Aber seine nüchterne Art unterscheidet sich nicht maßgeblich von Steinmeier. Wo ergibt sich möglicherweise ein neuer Gestaltungsspielraum für Steinmeier? Auch er müsste in eine Rolle wachsen, die Transformation mit zu begleiten, wenn dies die augenscheinlich dringlichste Aufgabe der Politik ist. Die Veränderungen werden zwangsläufig unsere gesamte Lebenswelt, unsere Praktiken und auch Gewohnheiten systematisch ändern. Die Dimensionen eines sozial-ökologischen Umbaus sind gigantisch. Um eine inclusive Transformation klug zu gestalten, reichen nicht nur Narrative aus. Es sollte kommunikativ inclusiv, politisch stets partizipativ und sozial gerecht solidarisch organisiert werden.

Steinmeiers Begleitung des demokratischen Settings hätte einen neuen Fixierpunkt. Denn neue Modelle der Willensbildung, Responsivität und Partizipation sind notwendig, wenn notwendig reformiertes Planungsrecht zu deutlichen Einschränkungen der Basis-Demokratie führen. Und eine zweite Aufgabe könnte sich stellen: Die sozial-ökologische Transformation kann nur mit spektakulären Zumutungen für die Bürgerinnen und Bürger gelingen, die im zurückliegenden Wahlkampf keine Rolle spielten. Der Bundespräsident könnte mit dazu beitragen, nicht nur sozial abgewogene Zumutungen zu legitimieren, sondern sich auch als Anwalt für transparente Erklärungen zeigen. Wie befristet sind die Zumutungen? Wodurch wird es verlässlich besser? Wie enkelfähig sind die politischen Entscheidungen? Der Bundespräsident sollte als Bürgerpräsident die Antworten seitens der Parteipolitik und der Regierung provozieren. Aber auch das Unvereinbare benennen, könnte mit dazugehören. Denn Politik ist nicht nur die Kunst der Möglichen, sondern auch durchaus die Sichtbarmachung des Unvereinbaren.

Die Kritik an Steinmeiers potentieller Wiederwahl und die geringe öffentliche Begeisterung hingen mit der Konstellation der Transformation zusammen. Medial forderten einige parallel zum Aufbruch durch die Ampel auch ein Aufbruchs- und Veränderungssignal aus dem Schloss Bellevue. Es sei eher ein Zeichen des Weiter-So als einer notwendigen Dynamik des Aufbruchs. Insofern könnte sich Steinmeier profilieren, wenn er sich in der zweiten Amtszeit veränderungspatriotisch zeigt, und den Deutschen die Angst vor Veränderungen nimmt.

Das Amt des Bundespräsidenten bleibt robust, wenn man etwas daraus macht. Wir sollten es als Bürger erwarten. Der Präsident muss in einer angegriffenen Demokratie liefern. Mit Themen, aber auch mit Respekt, Takt und Zivilität. Die verschiedenen Gesichter der Macht ermöglichen es.“

 

Prof. Karl-Rudolf Korte
Direktor NRW School of Governance

Artikel von www.top-magazin.de/ruhr