Reise

Venezia

Eines ist in Venedig immer offenbar: Die Stadt im Meer hat weite Wege und die eben über das Wasser. Boote verkehren hier wie zu Hause die Busse. Hausfrauen, Bauarbeiter, Büro-Menschen oder Schulkinder kommen und gehen gemeinsam mit den Touristen von Haltestelle zu Haltestelle. Das Bild auf dem glitzernden Wasser, in dem sich die Lichter spiegeln, ist faszinierend: Schnelle wendige „Taxis“, die Personenschiffe, große Fähren, Gondeln, aber auch private Motorboote oder sogar Ruderer kreuzen ihre Wege. Immer unbehelligt, offenbar funktioniert ein nur zu erahnendes System an Wasserstraßen einfach perfekt. Und natürlich stechen selbst in der dichtesten Rushhour vor allem auf den Kanälen im Inneren der Stadt die Gondeln ins Auge – schließlich sind sie auch eine echt venezianische Schöpfung.


 

Auch am berühmten Hotel Danieli mit Blick auf den Markusturm können die Gäste zu einer Gondelfahrt über die weitläufigen Wasserstraßen von Venedig ablegen

Ob die Gondeln Trauer tragen?

Daniele delle Vedove, Gastronom aus Essen, kennt die Geschichten und Legenden aus Venedig um die schwarze Farbe der Gondeln

Einer, der viele Geschichten aus Venedig und auch die der Gondeln seit seiner Kindheit kennt, ist Daniele delle Vedove. Nahe an der Lagunenstadt, in Portogruaro aufgewachsen, haben ihn die Gondeln und auch ihre Mythen immer begleitet. Eine, erzählt der Gastwirt aus Essen, stammt aus der mündlichen Überlieferung: Als einstmals die Pest in Venedig wütete und am Ende sogar der geliebte Doge daran gestorben ist, trugen zum Zeichen der Trauer ab diesem Tag alle Gondeln nur noch die schwarze Farbe. Die ist bis heute das Charakteristikum der venezianischen Boote. Die wahre Geschichte dahinter aber geht so, weiß Daniele um die echten geschichtlichen Hintergründe: Insbesondere im frühen Mittelalter zählten die flachen kiellosen Wassergefährte zum Statussymbol der reichen Venezianer. Jede Familie hatte eine eigene Gondel, reich verziert und immer in den Farben des Palazzos, den sie direkt am Wasser bewohnte. So versuchten sich die adeligen Venezianer stets gegenseitig mit immer prunkvolleren Booten zu überbieten. Doch eines Tages wurde die Prunksucht dem Dogen Gerolamo Priuli schlicht zu viel und er verordnete den Venezianern im Jahre 1562 die Farbe Schwarz als Einheitslack für alle Gondeln.

 

Die Lagunenstadt mit ihren Prunkpalästen und engen Gassen, dem berühmten Markusplatz und dem Dogenpalast. Und mit ihren langen Wasserwegen, auf denen als Markenzeichen die Gondeln ihre Bahnen ziehen. Die eleganten Boote haben eine Geschichte, die rund 1000 Jahre zurückreicht und um die sich, wie um die ganze Stadt, unzählige Geschichten und Mythen ranken. Ein Privileg ist, die Schönheit der Stadt am Wasser mit den kundigen Augen eines Italieners entdecken dürfen, der hier seine Wurzeln hat. Daniele delle Vedove, heute Gastronom in Essen, nimmt TOP RUHR mit zu einer ganz besonderen Reise von den Hotspots bis zu den echten Geheim- oder wenigstens Insidertipps.

 

In der Werkstatt von Roberto dei Rossi sehen die Gondeln erst noch ganz schmucklos aus

Die Geschichte dazu kennt Roberto dei Rossi, einer der beiden letzten Gondelbauer, die derzeit in Venedig die schlanken schwarzen oft reich verzierten Wassergefährte bauen, besser: Die offizielle Genehmigung haben sie, zu bauen. Seit 41 Jahren betreibt Roberto auf der Insel La Giudecca seine Werkstatt, eine echte Manufaktur. Roberto dei Rossi ist „Maestro d‘ascia“, ein Schiffsbaumeister und gleichzeitig Sachverständiger in seinem Metier.

So einzigartig und speziell seine besondere Kunst ist, seine Werkstatt versteckt sich ganz am Ende einer großen Werft für Motorboote. Draußen steht eine ältere Gondel zur Reparatur, drinnen liegen neue in unterschiedlichen Produktionsstadien, vom offenen Fischgerippe bis zum elegant geschwungenen Boot, zu bewundern. Eine gewährt einen guten Einblick in das Skelett, die Holzrippen. „Gondeln sind die einzigen Boote, die asymmetrisch gebaut werden“, erklärt Roberto und kennt natürlich auch den Grund: „Der Gondoliere steht immer an der einen Seite, dort gibt es durch das Ruder viel Bewegung. Die spezielle Bauart macht das Boot für den Mann am Ruder beweglicher, leichter manövrierbar.“ Und das ist bei dem Verkehr auf Venedigs Wasserstraßen auch ein verständlicher Wunsch. Gondolieri, dazu schon mal Amerikaner oder Thailänder, geben bei Roberto den Bau der Boote in Auftrag. 25000 Euro kostet die Basis-Variante, die Spanne reicht bis zu 100000 Euro für die Luxus-Version mit aufwendigen Verzierungen und viel goldenem Prunk. Genau 10,80 Meter lang und 1,40 Meter breit ist das Standardmaß, fünf Passagiere und der Gondoliere haben darin bei der Fahrt über die Kanäle Platz. Drei Monate lang wird in der Manufaktur an dem Ergebnis Schritt für Schritt von Hand gearbeitet, sechs verschiedene Hölzer werden verarbeitet, fünf verschiedene Handwerksdisziplinen kommen zum Einsatz, bevor das gute Stück zu Wasser gelassen werden kann. Die Kunst der Schiffsbauer besteht auch in der Wahl der richtigen Materialien, müssen sie doch dem Wasser standhalten. Das ist beinahe eine Wissenschaft für sich, Ziel ist, dass die Boote 30 bis 35 Jahre ihren Dienst versehen. Auch eine eigene Lackiererei gehört zu dem Gelände, hier bekommen die Gondeln ihre glänzende schwarze Außenhaut. Rund 500 dieser nun schwarzen Traditionsgefährte sind in Venedig unterwegs. Ganze vier Gondelbauer stehen in der Stadt für diese Flotte bereit, aber nur zwei von ihnen haben die Lizenz zum Boote bauen, die anderen führen nur einen reinen Restaurations- und Reparaturbetrieb, erzählt Roberto dei Rossi. Diese Aufgaben übernimmt er neben dem Neubau zusätzlich, auch das bindet die Zeit seines kleinen Teams. Rund 300 Gondeln hat er seit Gründung seiner Firma 1979 hergestellt, mehr geht bei den vielen zusätzlichen Aufgaben nicht. So klein die Riege der Gondelbauer heute auch ist – Roberto sorgt sich nicht um die Zukunft. „Wenn der Papst tot ist, gibt es einen neuen Papst. So sagt man bei uns in Venedig“, lächelt der Maestro. Sie haben vorgesorgt und ausgebildet, Gondeln wird es in Venedig einfach immer geben.

 

Auf der Insel La Giudecca betreibt der Meastro d’ascia, der Meister des Schiffsbaus, Roberto dei Rossi seine Schiffswerft

 

„Der Teufel und das Weihwasser“ heißt die traditionelle Fischerkneipe in San Polo, nah bei der Rialtobrücke. Hier sind Besucher mittendrin im echten venezianischen Leben, lautes Palaver, immer unterstrichen durch ausladende Gestik inklusive.

 

Sie gehören zu Venedig, wie die engen kleinen Gässchen, die sich vor allen Dingen nahe der Rialtobrücke durch die Stadt schlängeln. Her ducken sich in die Häuserreigen auch die traditionellen Lokale, wo man vor allen Dingen die angestammten Venezianer bei klassischen Gerichten und einem Hauswein antrifft. Wie in der Osteria Al Diavolo E L’acquasanta am Calle della Madonna – „Der Teufel und das Weihwasser“ am Platz der Madonna. Hier treffen sich die Einheimischen, die Fischer, die Bäcker, die Gondelbauer. Die Einrichtung ist rustikal, natürlich mit Lampen aus Murano, das Essen ehrlich und ohne Schnickschnack gut. Serviert werden köstliche Nudeln oder traditionelles Gemüse, frische Muscheln, Fisch und Garnelen sind in der Stadt im Meer selbstverständlich dabei. „Der Fischmarkt ist direkt um die Ecke, die Osteria ist ein Stammlokal der Fischer, weil sie wissen, dass dort wirklich alles frisch auf den Tisch kommt“, erklärt Daniele delle Vedove. Und wirklich teuflisch gut ist das „Weihwasser“, das dazu an den Holztischen kredenzt wird: Ein leichter Prosecco vom Fass. Das, lächelt Inhaber Salvatore, gehört zu den italienischen Versprechen, die das „Al Diavolo E L’acquasanta“ bestimmt hält.

 

In einer winzigen Gasse, aber ganz nahe bei der Rialtobrücke, begrüßt der Chef Silvano seine Gäste.

 

Und das beginnt schon mit dem ersten Koffein-Schub am Morgen. Den besten Kaffee der Stadt gibt es, verspricht Daniele, an der Ecke der Calle del Forno am Campo San Luca in der Pasticceria Marchini Time. Nicht nur der Espresso, auch die typisch venezianischen „Fritolla“, ähnlich unseren Krapfen, sind köstlich. Überhaupt Süßwaren: Die Auslagen im Fenster und die Vitrinen im Inneren quellen förmlich über mit feinsten Backwaren, Torten und Schokoladen.
Das ist das Werk von Giancarlo Vio, dem besten Patisseur, wenn nicht von ganz Italien, dann wenigstens von Venedig, sagt jedenfalls Daniele. Den Essener Gastronom verbindet seit zwölf Jahren eine herzliche Freundschaft mit dem Grandseigneur feinster Süßigkeiten in Venedig: Damals kam Giancarlo zur Techno Classica in die Messe Essen und fand den Weg nach Steele zu Da Daniele. „Das muss ihm wohl geschmeckt haben“, lächelt der Gastgeber, denn seit zwölf Jahren hält nicht nur die Verbindung, seit April 2018 ist Daniele auf Vorschlag von Giancarlo nun auch „Cavaliere von San Marco“, einem ganz besonders elitären Club. In dieser Freundschaft gibt es nur einen Wermutstropfen: Den Weg zur Oldtimer-Messe nach Essen findet der 80-jährige Venezianer nicht mehr. „Ich arbeite einfach zu viel“, sagt er schlicht und zaubert unendliche Bilder von Kuchen und Torten und vor allen Dingen tischhohen Schoko-Eiern zur Osterzeit hervor. Darum managt mittlerweile auch seine Tochter Ornella das Café. Geboren ist Ornella in der Schweiz, dort arbeitete Giancarlo in den 1960er-Jahren, genauer in Zürich. Ein wenig Deutsch spricht und versteht er aus dieser Zeit bis heute, „Switzerdütsch“. Sein Paradestück ist eine Tarte mit Pinienkernen, die ihm schon in Mailand einen Preis beschert hat: Das Goldene Nudelholz, das natürlich mit seinem Original-Namen „Matarello d’oro“ noch viel eindrucksvoller klingt. Der süße Kuchen schmeckt zusammen mit süßem Dessertwein und lässt keine Wünsche offen.

Giancarlo Vio weiß, was neben den eigenen Süßspeisen schmeckt – und wo die Venezianer sich abseits der Touristenströme gerne treffen. Zum Beispiel in der Enoteca Al Volto, die sich in der winzigen Gasse Calle Cavalli versteckt. Das Essen ist so, wie bei der venezianischen Mama, verspricht Giancarlo, der hier seit 1966 einkehrt, und ordert alle Spezialitäten. Dazu zählt in Venedig immer Radicchio, im Al Volto in der Note „sauer“, also mit Zwiebeln und sauren Sardinen. Danach gibt es Garnelen und frische Artischocken und Polenta mit Stockfisch, den einst ein venezianischer Kaufmann aus Norwegen mitbrachte. Enoteca-Chef Sebastiano Masiol kredenzt dazu Pinot Grigio, den der Vater auf der Insel Murano anbaut. Sebastiano selber aber hat als Jugendlicher bei einem Deutschlandbesuch seine Leidenschaft für Bier entdeckt und in München schließlich das Zertifikat als Bier-Sommelier erworben. Also gibt es in der winzigen Calle Cavalli unter seiner Ägide inzwischen neben dem eigenen Wein auch ein riesiges Sortiment an Bier. Jetzt möchte Sebastiano gerne auch sein eigenes Bier machen und träumt von einer kleinen Hausbrauerei.

 

Seit 1966 geht Giancarlo Vio in die Enoteca Al Volto. Heute serviert der junge Chef Sebastiano Masiol dort eine breite Auswahl an Bier.

 

Cavaliere di San Marco

Der Ritterorden von San Marco genießt wie alle seine Mitglieder in Venedig ein hohes Ansehen. 1979 wiedergegründet, nimmt die „Associazione Cavalieri di San Marco“ heute nur Kandidaten auf, die von einem Ausschuss bewertet und dann in geheimer Abstimmung gewählt werden. Die Cavaliere unterschreiben im Goldenen Buch die Verpflichtung, „den Schwachen in Körper und Geist zu helfen und mich in den verschiedenen Sektoren für den Schutz und den Wohlstand Venedigs einzusetzen“. Das Motto für den „Ritter“ lautet: „Esto Civis Fedelis” – Sei ein treuer Bürger. Der Verein ist gemeinnützig und wurde für wohltätige, soziale, humanitäre und religiöse Zwecke gegründet.

 

Ein blonder Hüne wie ein Wikinger – doch Sebastiano Masiol stammt aus einer italienischen Weinbauern-Familie und hat in München seine Liebe zum Bier entdeckt und eine Ausbildung als Bier-Sommelier gemacht.
Artikel von www.top-magazin.de/ruhr