Kultur

Mein Mitleid galt Maria Kunigunde – Ludwig van Beethoven im Exklusivinterview

Der Maestro hätte gerne in den Konzerthäusern des Ruhrgebiets dirigiert


 

Ludwig van in aller Munde. Beethoven auf allen Kanälen und heftig in den Ohren von Jung und Alt. Für das TOP MAGAZIN Anlass genug, sich im zu Ende gehenden Jubiläumsjahr mit dem Maestro furioso zu beschäftigen. Der Essener Journalist und Buchautor WULF MÄMPEL traf den großen Meister, der als Begründer der Romantik gilt, zu einem fiktiven Gespräch im Foyer des Aalto-Theaters. Beethoven begeistert: „Dieses Ruhrgebiet ist ja nicht wiederzuerkennen. Keine rauchenden Schlote, sondern Opernhäuser, Philharmonien, Museen. Ich bin begeistert. Ich würde gerne in der Essener Philharmonie meine Neunte aufführen. Und den ‚Fidelio‘ im Aalto. Ganz sicher. Was für eine grandiose Kulturlandschaft. Und was für viele nette Menschen leben hier im Kumpelland.“ Und er fügt lachend hinzu: „Diese modernen Hörgeräte hätte ich vor 200 Jahren gebraucht. Einfach wunderbar. Mir wäre vieles erspart geblieben.“

 

Sind Sie traurig gewesen, als Sie von Bonn nach Wien übersiedelten?

Beethoven: Nein, Bonn war eine kleine Provinzstadt am Rhein, eher spießig. Hier war mein Vater Opernsänger, ein Tenor, ich stamme also aus einem musikalischen Haushalt. Wien war natürlich die begehrte Metropole, Hauptstadt des bedeutenden Habsburgerreiches, Stadt der Künste und der guten Küche. Als Komponist muss man im Zentrum arbeiten, nur dann kommt der Erfolg. Und auch das Geld. Eigentlich habe ich ja ein kleines Vermögen hinterlassen, lebte aber in der ständigen Angst, pleite zu sein und damit in die bittere Armut abzugleiten. Jedenfalls hinterließ ich im Jahr 1827, als ich mit 57 Jahren starb, etwas mehr als 1000 Goldgulden, das sind umgerechnet heute 145000 Euro, also ein kleines Vermögen. Das hätte ich in Bonn wohl nie erreicht.

Mit welcher Person würde Sie gerne ein Glas Wein trinken?

Beethoven: Sicher mit Angela Merkel, mit Klaus von Dohnanyi, Queen Elisabeth, Sebastian Kurz, Barak Obama, Picasso und Marc Chagall, mit Richard Wagner und Chris Barber. Sicher nicht mit Trump, Erdoan, Putin: Diese Neros wachsen immer wieder nach, dabei glauben sie, sie seien schlauer als ihre Vorgänger und versinken ebenso wie diese vor ihnen. Sie starten in Garagen und scheitern in Palästen oder Hochhäusern.

Sie waren nie verheiratet, dennoch galten Sie als ein Frauenheld, was ist da schiefgelaufen? Stand der Mensch Beethoven sich selbst im Wege?

Beethoven: Man muss sich dies tatsächlich fragen, bei all meiner anerkannten Genialität. Wie attraktiv ist ein schwieriger und schwerhöriger Mann? Dies und die ebenfalls gehörbedingte Entfremdung von Welt und Gesellschaft sind zusammengenommen der Teufelskreis, in dem ich steckte. Wenn auch der Titel meines Liederzyklus’ „An die ferne Geliebte“ nicht autobiografisch zu verstehen ist, so kann er doch als eine Art von Metapher für meine lebenslange, quälende Liebessehnsucht gelten.

Sind Sie ein netter Mensch?

Beethoven: Ich bin da ehrlich, ich bin unausstehlich! Der ungeleerte Nachttopf stand nachmittags noch unter meinem Flügel, Essensreste lagen zwischen den Manuskripten. Mein Äußeres wird als untersetzt, mein Gesicht als pockennarbig beschrieben. Auch das war der große Beethoven. Fest steht, so sehr ich mich in jungen Jahren als rheinische Frohnatur gab, so griesgrämig und cholerisch bin ich im Alter gewesen. Wer will solch einen Menschen lieben oder heiraten? Einen Komponisten gar, der ständig vor sich hinsummt, Töne produziert und auf dem besten Weg war, sein Gehör zu verlieren. Undenkbar und dennoch war es möglich, denn ich habe 240 Werke hinterlassen, die ja auch heute noch in der ganzen Welt aufgeführt werden. Schade, dass ich von den fetten Tantiemen nichts mehr habe . . . Bereits im Alter von 27 Jahren wurde ich schwerhörig. Mit 48 war ich komplett taub und litt unter Tinnitus. Nach neusten Untersuchungen soll es eine Folge von „Fleckentyphus“, übertragen durch einen Rattenfloh, gewesen sein. Trotzdem komponierte ich wie besessen weiter. Ich besitze ein absolutes Gehör, konnte mir also die Töne und ihren Zusammenklang im Kopf vorstellen. Ich wurde immer unausstehlicher, griesgrämiger, vielleicht sogar verrückt. Meinen Neffen Karl, den ich nach dem Tod meines Bruders zu mir holte, erzog ich so streng, dass dieser einen Selbstmordversuch unternahm, um dem Onkel zu entkommen. Ist das der Mensch, den sich junge Damen erträumen? Ich war zudem ein Perfektionist und feilte penibel an meinen Werken, überarbeitete und korrigierte die Partituren bis spät in die Nacht. Für die Nachwelt zu schreiben, das ist mir gelungen: Ich gehöre heute weltweit zu den meistgespielten Komponisten. Schon zu Lebzeiten konnte ich von meinen Kompositionen leben, da hatte ich es besser als beispielsweise der verschwenderische Mozart. Nicht zuletzt verdiente ich mein Geld mit Auftragswerken für politische Größen meiner Zeit, für den Adel und die Kirchenfürsten. Und die Damen unterstützten mich, den oft belächelten Eigenbrötler. Ich bin im Grunde doch ein Kavalier, ich habe genossen und werde auch weiterhin schweigen. Nur gut, dass es die MeToo-Bewegung damals noch nicht gab. Ich war ein richtiger Schwerenöter, wie der gute Goethe ebenfalls.

Wie war Ihr Verhältnis zu Goethe?

Beethoven: Wir blieben in Kontakt, ohne uns zu mögen. Er bot mir an, den Fauststoff zu einer Oper zu verarbeiten. Ich war sofort Feuer und Flamme, doch meine zunehmende Taubheit setzte mir Grenzen. Ich sagte ab. Ja, ich sagte Goethe einfach ab, der 1800 den zweiten Teil des Faust zu schreiben begann. 1805 starb das zweite Genie meiner Zeit, der jugendliche Held Friedrich von Schiller; ich hätte mir auch eine Oper über Jeanne d’Arc vorstellen können. Stellen Sie sich vor: Er schrieb über seine „Räuber“ die beiden Worte „In Tyrannos“, gegen die Tyrannen. Was für ein mutiger Geist, mir daher sehr ähnlich und sympathisch. Es wäre nach dem Fidelio meine zweite Freiheitsoper geworden. Ich verfluchte in dieser Zeit mein Handicap, meine Taubheit. Goethe hat mich sogar überlebt, er starb fünf Jahre nach mir!

Sie trafen sich mit Goethe: Zwei Titanen – wie war die Begegnung?

Beethoven: Unsere Wellenlänge stimmte einfach nicht überein. Wir sind doch grundverschieden. Vielleicht waren wir beide zu eingebildet, um Freunde werden zu können. Unser Treffen im Juli 1812 im Kurbad Teplitz entfachte keine gegenseitige Begeisterung. Er war ein Lebemann, liebte den Luxus und Paläste. Goethe hält in einem Brief fest: „Ludwigs Talent hat mich in Erstaunen gesetzt; allein er ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit, die zwar gar nicht unrecht hat, wenn sie die Welt abscheulich findet, aber sie freilich dadurch weder für sich noch für andere genussreicher macht.“ Und auch ich selbst hatte mir mehr von Goethe erwartet, nämlich einen unbestechlichen „ersten Lehrer der Nation“ – keinen Menschen, der höfischen Glanz schätzt. Und so trennten wir uns bei ungleicher Wellenlänge.

Maestro, ich muss Sie nach Napoleon befragen, den Sie ja anfangs sehr verehrten . . .

Beethoven: Ich sagte 1804, als ich von der Kaiserkrönung Napoleons erfuhr: „Ist er auch nicht anders wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit den Füssen treten, nur seinem Ehrgeiz frönen. Er wird sich nun höher als alle anderen stellen, ein Tyrann werden.“ Man stelle sich vor: Der französische König Ludwig XVI. wurde auf der Guillotine geköpft, wenige Jahre später macht sich der kleine Korse nicht zum König, sondern selbst zum Kaiser der Franzosen. Und das Revolutionsvolk jubelte . . . unglaublich. Ich wollte ihm meine „Eroica“ widmen, doch danach war meine Begeisterung vorbei. Außerdem habe ich es ihm übel genommen, dass er eine meiner verehrten Damen – Bonn lag ja nicht weit von Essen entfernt – davon jagte: Die letzte Essener Fürstäbtissin Maria-Kunigunde, die Enkelin August des Starken von Sachsen, die sogar als Reichsfürstin einen Sitz im Reichstag hatte. Napoleons Trennung von Staat und Kirche hob das Essener Reichsfürstentum 1803 auf. Ungeheuerlich, dieser Emporkömmling! So ist meine Eroika auch Maria-Kunigunde gewidmet. Ihr galt damals mein Mitgefühl, als ich in Wien lebte. Ja, so war es. Sie war eine kluge Frau, heute sagt man wohl Managerin!

Sie gelten als wirrköpfig und eigenwillig. Ich möchte Sie dennoch fragen: Welche Komponisten, die ebenfalls Welterfolge erzielten, können Sie anerkennen?

Beethoven: Wirrköpfig? Eigenwillig? Gottlob ist es so! Es kann keinen Zweifel geben: Ich bin ein schwieriger Charakter, von Jugend an. Dies lag wohl in meinen Genen. Mein Vater war ein strenger, trinkfreudiger Geselle, der meine Begabung erkannt hatte. Meine Kritiker beschreiben mein zügelloses, grimmiges Temperament, meine Reizbarkeit, Ungeduld, meinen Sarkasmus und mein Misstrauen. Man nennt mich auch bizarr und schwer berechenbar. Dass genau dies aber für meine Musik – wie für die Kunst überhaupt – ein ungeheurer Vorteil ist, steht auf einem anderen Blatt. Ich schrieb das Unerwartete – und trieb auf diese Weise die Musikgeschichte voran. So erdrückend und gewaltig originär ist meine Sinfonik für die damaligen Ohren, dass die Komponisten nach mir lange nicht recht wussten, wie sie selbst noch Neues zu Papier bringen sollten . . .

. . . Sie können doch sehr zufrieden sein mit Ihrem Lebenswerk!

Das klingt ja wie ein Kompliment! Ich, der um jede Note ringen musste, weiß um die Leichtigkeit anderer Tonmeister, die Noten schrieben, wie man einen Brief schreibt. Nun, ebenbürtig sind sicher Mozart, Haydn, Salieri, Czerny, Cherubini, Schubert, Rossini, Wagner, Verdi, Tschaikowski, Bruckner, Chopin, Grieg, Bizet, Dvořák, Paganini, Liszt, Puccini, Richard Strauss. Nach Strauss ist nicht mehr viel Großes komponiert worden. Sicher wäre ich gerne auch Jazzer geworden, hätte gerne mit Chris Barber, George Gershwin und Duke Ellington musiziert, aber der Jazz war um 1800 in Wien noch nicht en jour. Von den lebenden Komponisten Ihrer Tage gefällt mir sehr der US-Amerikaner Philip Glass, besonders seine Oper „Echnaton“. Mit den Zwölftönern und den Atonalen kann ich nicht viel anfangen. Stockhausen ist grausam! Mehr Geräusche als Melodien. Wer will so etwas wirklich hören? Für die Nachwelt zu schreiben, das ist mir gelungen. Man sagt: Ich gehöre heute weltweit zu den meistgespielten Komponisten. Alle behaupten in ihren Büchern und Doktorarbeiten, ich sei ein Sonderling. Unsinn – ich war behindert, ein Krüppel, taub und dadurch oft depressiv. Komponieren Sie mal ohne Gehör! Dennoch hinterließ ich dieses gewaltige Oeuvre, das die Musikwelt revolutionierte. Dass ich schließlich an Bleivergiftung starb, rundet mein Leben tragisch ab. Ich hätte mehr Wein trinken sollen statt des brackigen Wiener Wassers aus den versifften Bleileitungen . . . Was halten Sie von den heutigen Musik- und Opern-Festivals?Beethoven: Sehr viel, ich wäre mal gerne in Bayreuth und Salzburg gewesen, oder auf dem Klavierfestival im Ruhrgebiet aufgetreten, um eine Mucke als Pianist zu machen. Aber auch die großen Opernhäuser, die man heute so bequem mit dem Flugzeug erreichen kann: Paris, London, Mailand, New York, Berlin, Glyndebourne. Ich glaube, ich wäre heute mehr gereist als damals mit der beschwerlichen Kutsche. Außerdem sind die Gagen heute viel attraktiver, ich denke, ich hätte wie ein Fürst von meinen Kompositionen leben können. Wenn ich an den kleinen Sachsen Wagner denke, der vom bayerischen König Ludwig ja wie ein Fürst honoriert wurde. Stellen Sie sich vor: Er schenkte den Wagners das Bayreuther Festspielhaus! Und die Villa Wahnfried! Ich sage nur mit ein wenig Neid: Wagners wonniger Wahn, Wotans wehmütige Wehe und Tristans treibende Triebe! Der Wagner hat es verstanden wie kein anderer!Maestro: Ist das Ruhrgebiet heute als eine bedeutende Kulturlandschaft zu bezeichnen?Beethoven: Aber ja. Ganz sicher. So viele Theater, Opernhäuser, Konzertsäle, Museen und vor allem viel Kleinkunst. Was für eine grandiose Entwicklung nach der Blütezeit der Montanindustrie von Kohle und Stahl. Ich bin begeistert, was aus diesem verschlafenen Städtchen Essen an der Ruhr geworden ist, das um 1800 gerade mal 5000 Einwohner hatte. Stellen Sie sich doch nur vor, ich hätte meinen Fidelio im wunderschönen Aalto-Opernhaus in Essen dirigiert. Leider ist es dazu verständlicherweise nicht gekommen. Ich mache den Stadtmüttern und Stadtvätern ein großes Kompliment, dass aus Essen nun der Schreibtisch des Reviers geworden ist. Probleme hat jede Großstadt, auch damals, und heute in Wien ist es nicht anders. Wichtig ist der liberale Geist, der hier herrscht. Ich glaube, ich könnte in diesem Schmelztiegel von über fünf Millionen Menschen leben. Vielleicht in Werden, in der Nähe der berühmten Folkwang Universität der Künste.

Maestro, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch!

 

 

WULF MÄMPEL lebt in Essen als Journalist, Moderator und Buchautor. 33 Jahre leitete er die Essener Lokalredaktion Essen der WAZ. Sein letzter Roman „Mein Name ist Drake. Francis Drake“ findet zurzeit starke Beachtung. Gerade abgeschlossen ist ein historischer Monolog: „Ich, Alexander. Liebling der Götter“, der als Hörspiel oder Theaterstück angelegt ist. Inhalt: Es geht um Helden und Heldenverehrung und die Frage, was hätte der größte Feldherr der Antike noch leisten können, wenn er nicht im Alter von 33 Jahren in Babylon gestorben wäre.

Artikel von www.top-magazin.de/ruhr