Menschen

Die Glasinsel

Murano – das steht Weltweit für kostbare wunderbar bunte Glaskunstwerke: ein Blick hinter die Kulissen der fragilen Träume.


Die Pferde von San Marco: So fragil und gleichermassen absolut imposant sind die Kunstwerke, die aus den Werkstätten der Glasbläser in Murano Kommen.

 

Ankunft auf der Glasbläserinsel mit der Linie 4.2 an der Station Murano Colonna: Der erste Blick verheißt noch wenig vom schillernden Vermögen der Insel-Handwerker

 

Wo das Auge hinschaut ist Glas. Pinkfarbene Flamingos, blau schimmernde Schiffe, Teller, Gläser, Lampen, alles ist aus Glas. Nicht einfach Glas, Murano-Glas eben. Murano ist eine der Inseln in der Lagune von Venedig und beim ersten Eindruck eigentlich gar nicht so verheißungsvoll, erst deutet wenig auf die ganz spezielle Kunst, die diesen Namen trägt, hin. Am Schiffanleger im Centro stehen Buden, die allerlei Tand und auch grellbunte Gläser verkaufen. Wer aber einen Blick hinter diese Fassade werfen darf, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus.

 

So geht echte Glasbläserkunst: Mit 1100 Grad kommt die Rohmasse aus dem Schmelzofen. Wenn Marco sie dann durch das große Rohr förmlich aufgepustet hat, ist sie anfassbar, zerplatzt aber wie eine Seifenblase selbst unter vorsichtig tastenden Fingern.

 

Ganz ähnlich wie in Venedig schlängeln sich die Wege eher bescheiden zwischen den Häusern im warmen Ocker oder Orange her, oben an den Fenstern weht an einem ausgeklügelten Leinensystem Wäsche zum trocknen. Häuser stehen hier dicht an dicht – seit jeher ist das die angestammte Siedlung der Glasbläser, die der Insel ihren Ruhm gebracht haben. Es ist ein wenig pittoresk im Inneren der Insel, der Weg stößt schließlich auf ein eher rustikales Industriegelände. Davor ein schiefer Zaun, alles ist absolut unscheinbar, aber hinter den alten Mauern und der großen Eisentür entstehen Dinge, die es sonst nirgendwo gibt.

 

 

Alle Farben, alle Formen: So vielfältig ist Glaskunst auf der Insel Murano

 

Es ist die Manufaktur von Giorgio Giuman. Der öffnet bereitwillig das ächzende Tor und gewährt Einlass in die Welt von Schmelzöfen und dem buchstäblich heißem Handwerk, das hier seit 44 Jahren zu Hause ist. Damals hat Giorgio die Firma gegründet, heute arbeitet er hier gemeinsam mit seinen Söhnen Michele und Marco und dazu Lorenzo, der Hilfskraft. Lorenzo steht an einem großen runden Bottich, darin dreht sich eine Scheibe, darauf wird Glas glatt oder auch mal einfach dünner geschliffen. Zwar rieselt Wasser dazu herab, aber feiner Staub legt sich dennoch wie eine Schicht über alles, was in der Nähe ist. Dabei stapeln sich fast achtlos drum herum viele verschiedene Schätze. Roséfarbene Flamingos, Madonnen mit dem Jesuskind oder sogar eine große orthodoxe Basilika, einmal als Modell und daneben akribisch nachgebaut, aus Glas natürlich. Alles hier ist aus Glas, lacht Giorgio Giuman schelmisch und wird nicht müde, Besucher mit immer neuen Exponaten, die auf den ersten Blick nicht an das zerbrechliche Material denken lassen, zu verblüffen. Und dennoch ist es so: Gläsern ist hier einfach alles. Alles unter der feinen Patina der vielen Jahre, die dieser raue Ort im Dienste der Schönheit schon hinter sich hat. Überall in Murano Centro überbieten sich die Geschäfte wie an einer Perle aufgereiht mit noch glänzenderen, noch bunteren, noch prunkvolleren Glaswaren. Von der winzigen Vase bis zum üppigen Kronleuchter heischt alles um die Aufmerksamkeit – vor allem der Touristen, die der Ruf Muranos aus aller Herren Länder anlockt. Die schillernde Pracht lässt Einheimische und echte Kenner die Stirn zweifelnd in Falten legen, ob das auch alles so wirklich authentisch ist.

 

Die Umgebung ist eher rustikal, die Ergebnisse sind klein und filigran: Michele und Marco Giuman arbeiten in der Glasbläserwerkstatt des Vaters Hand in Hand. Hier entstehen leuchtendorange kleine Vogel-Skulpturen

Dass die feinen Lampen, die imposanten Tiere, die bunten Gefäße, dass dies alles echt ist, daran kann es vor Ort bei Giorgio Giuman in der sehr ursprünglichen Werkstatt gar keine Zweifel geben. Dieses absolute Original mit eben auch nachvollziehbar originalen Produkten weiß Daniele Delle Vedove zu schätzen. Der Essener Edel-Italiener venezianischer Wurzeln kauft nicht nur regelmäßig in und um Venedig herum die besten Lebensmittel von Trüffel über Wein bis Prosecco ein, er hat nun auch auf seiner Reise den Glaskünstler besucht. Sein Auftrag: Daniele ist nun seit 40 Jahren in Deutschland, hat sich mit Da Daniele an der Steeler Straße längst einen besonderen Namen gemacht. Nun möchte er sich bei seinen treuen Gästen bedanken – und was läge da näher, als ein echtes Stück aus seiner Heimat. Ein Stück mit Wert und Nachhaltigkeit, etwas aus Murano-Glas. Und genau das hat Daniele nun bei Giorgio Giuman in Auftrag gegeben. Eine Stippvisite vor Ort inklusive. Da gibt es keine Zweifel: Hier ist jedes einzelne Stück wirklich in Handarbeit gemacht. Direkt am Eingangstor sitzt Michele und formt einen Vogel. Hält den orangefarbenen Glaskörper an einem langen Stock ins glühende Feuer, der wird dort 1100 Grad heiß und lässt sich mit Scheren und Zangen von den kundigen Händen formen. Erst der Kopf, dann der spitze Schnabel, die Flügel. Geduldig steht Michele noch einmal auf und geht zum Ofen, wenn sein Werkstück nicht mehr geschmeidig genug ist. Und was erst ein ovaler Klumpen war, wird live unter den Augen des Betrachters unter seinen geübten Händen zu einem ebenso zierlichen wie wertigen Schmuckstück – und das in rund zehn Minuten. 1100 Grad heiß – aber: „Das kannst Du anfassen“, verspricht Giorgio und prüft sehr genau, ob seine Gäste ihm vertrauen. Also gut, das Experiment sei gewagt, und Giorgio ruft Marco herbei. Der bläst die glühende Masse an seinem Stab mit viel Lungenkraft auf – und dieses zarte Ergebnis lässt sich natürlich problemlos anfassen. Auch wenn es wie Zellophan wirkt und fast dünner als Papier sofort unter den Fingern zerfällt. Aber das ist Giorgio der Spaß allemal wert. Er lebt und liebt seinen Beruf, ist dabei ein Künstler mit immer neuen Ideen. Nicht alle schaffen es ins große Rampenlicht – auch wenn sie einmal dafür gschaffen waren. Wie der filigrane Glaskopf von Obama, den wollte Giorgio Amerikas Ex-Präsidenten verehren, doch als er keinen echten Zugang fand, blieb das Stück eben in der Werkstatt. Da hat es seinen Platz neben einer edlen schlanken Auto-Silhouette, die hat Giorgio mal als Ferarri-Zukunftstypen erdacht. Überhaupt ist Neues schaffen, Formen bauen, Ideen umsetzen das Ding des Inhabers, in dem eigentlich ein Künstler wohnt. Denn eigentlich ist er Maschinenbautechniker und baute einstmals in diesem Beruf die Formen für andere Glasbetriebe. Bis er sich schließlich seinen Traum erfüllte und sich mit einer eigenen Murano-Glas-Produktion selbstständig machte. Das war die Boomzeit für die Sachen „made in Italy“, Giuman-Glas bekam den Auftrag von Eduscho für 124000 Segelschiffe. 75 bis 80 Mitarbeiter ließen damals die Öfen glühen, dann kam die Billig-Konkurrenz aus China, und heute reicht bei Giuman der Einsatz von Michele und Marco im Familienkreis.

 

Erst wird die Rohmasse in der heißen Glut geschmolzen, dann kommen die fertigen Stücke zum Abschluss noch einmal in den Ofen

 

Klein, aber bei den Ergebnissen besonders fein – das ist heute vor allen Dingen das Markenzeichen in der immer noch weitläufigen Werkstatt. Absolute Meisterstücke sind die feinen Kronleuchter, gleichzeitig verspielt, ein wenig bunt, aber dennoch nicht aufdringlich groß oder plump, eher transparent, mit echter Könnerhand gschaffen. Daniele hat Begleuchter mit, und die erliegen dem Charme sofort – einer der aufwändigen Leuchter wird die Reise nach Deutschland antreten. Selbstverständlich professionell bruchsicher verpackt, auch wenn die Kiste dafür auf den ersten Blick ein zweifelhaftes Alter aufweist. Beim Blick auf die kundigen Hände, die das edle Stück sorgfältig in einzelnen Teilen verstauen, schwindet jegliche Skepsis. Und Giuman kann auf Bestellung aus der Ferne fertigen, nur die Angaben müssen stimmen: Höhe und Breite, Anzahl der Leuchtarme und die Farbe bestimmen, was das gute Stück aus garantierter Handarbeit dann kosten soll. Rund drei Wochen braucht derzeit die Fertigstellung, dann wird natürlich auch professionell verschickt, Ehrensache.

 

Künstler unter sich – oder: Giorgio und Giorgio kann das Motto für dieses Bildnis sein. Giorgio Giuman (l.) ist hier der Chef. Giorgio Bortoli ein venezianischer Künstler und Freund, der eng mit der Manufaktur zusammenarbeitet.

 

Ehrensache auch, dass der Künstler alle seine Farben selber mischt, die Grundlage für sein Kunst selber herstellt. Sand ist der Grundbestandteil, Sand muss flüssig werden und verwandelt sich dann in Glas. Ob es blau, gelb oder grün schillert bestimmt der Meister duch seine ganz persönliche Michung der verschiedensten Mineralien. „Die Rezepte sind Geschäftsgeheimnis“, lächelt Giorgio und verrät nur dieses: Für blau verwendet er Kobald und bei rubinrot ist echtes Gold im Spiel. Darum ist auch alles in diesem Farbton ganz besonders wertvoll. Vor allem, weil es ein nachvollziehbares echtes und authentisches Produkt aus Murano ist. Und genau darum geht es dem echten Italiener Daniele auch, wenn er nach 40 Jahren in Deutschland nun seine Gäste beschenken will. Mit Murano-Glas.

 

Daniele Delle Vedove hat bei Giorgio Giuman besondere Teller für sein Restaurant in Essen bestellt. Hier, weiß der Gastronom, wird Glaskunst wirklich noch authentisch von Hand gemacht.

 

 


 

DAS GLASMUSUEM VON MURANO

Glaskunst aus Murano

 

Einen authentischen historischen Überblick über die Vielfältigkeit von Murano-Glas verspricht das „Museo del Vetro“. Es verfügt über die größte Murano-Glas-Sammlung der Welt und zeigt bedeutende Glaskunst aus Murano vom 15. bis zum 20. Jahrhundert, darunter weltberühmte Meisterstücke. Die Entwicklung der Glasherstellung lässt sich chronologisch nachvollziehen. Schon das Gebäude ist einen Besuch wert: Gebaut wurde es auf der Insel bereits 1659 als Sitz des damaligen Bischofs Marco Giustiniani mit einem berühmten Fresco von Francesco Zugno.

Artikel von www.top-magazin.de/ruhr