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100 Jahre Bauhaus – weniger ist mehr


Ludwig Mies van der Rohe

 

Welcher ist der berühmteste Sessel aller Zeiten? Und: Was ist das berühmteste Museumsbauwerk Berlins? Bei der ersten Frage dürfte es in jeder Quiz-Sendung eher ratlose Gesichter geben, bei der zweiten aber gleich einen ganzen Schwall von Antworten. Tatsächlich führt jede Berliner Stadtrundfahrt an diesem Bauwerk vorbei, an der Berliner Neuen Nationalgalerie, jenem eindrucksvollen, nur aus Stahl und Glas bestehenden Bauwerk mit dem flachen Dach. Es gilt als eine Ikone der Klassischen Moderne. Baumeister war Mies van der Rohe. Das war 1968, mitten im Kalten Krieg zwischen Ost und West – Ost-Berlin als „Schaufenster“ der DDR, die damals noch überwiegend in Anführungszeichen geschrieben wurde („DDR“), West-Berlin als Bollwerk, zugleich aber auch als Schaufenster des Westens.

 

 

Mies war schon 76, als er den ehrenvollen Auftrag des Berliner Senats erhielt. Er lebte schon lange in Chicago und kam zweimal nach Berlin: zur Grundsteinlegung und zur Aufsetzung des 1,2 Tonnen schweren Daches, bei dessen Statik er sich von Spezialisten beraten ließ. Bei der Einweihung 1968 war er schon zu krank, ein Jahr später starb er. Die Neue Nationalgalerie gilt als moderne Variante des antiken Podiumstempels, die der durch Karl Friedrich Schinkel und seine Schule geprägten Berliner Bautradition entspricht.

Karl-Friedrich Schinkel (1781–1841) ist wohl der berühmteste deutsche Baumeister überhaupt, und „Baumeister“ ist zugleich der noch deutlich vornehmere, der anspruchsvollere Begriff als „Architekt“. Schinkel prägte das Berliner Stadtbild und baute zahlreiche Schlösser und Kirchen, u. a. die Neue Wache in Berlin (1815), das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt (1819–21), die Nikolaikirche in Potsdam (1830–37) und die Berliner Bauakademie (1832–36). Architektonische Schinkel-Zitate sind deutschlandweit gestreut – und weit darüber hinaus.

Aber, wie war das noch mit dem Sessel? Geben wir das Stichwort ein, unter dem er berühmt geworden ist, der „Barcelona-Chair“. Mies van der Rohe hatte die künstlerische Leitung der deutschen Abteilung der Weltausstellung 1929 in Barcelona übernommen und entwarf das Empfangsgebäude. Dieser Barcelona-Pavillon geriet zu einer der Hauptattraktionen der Weltausstellung und gilt als eines der bedeutendsten Werke der Moderne. Den Sessel entwarf Mies zur Eröffnung als Sitzgelegenheit für das spanische Königspaar.

Sein königlicher Sessel wurde ab 1953 von der Firma Knoll International hergestellt, ein Freischwinger aus Stahl und Leder. Er wurde x-fach kopiert, wird aber bei Knoll bis heute in Handarbeit gefertigt.

Mies war längst in die erste Reihe deutscher Architekten vorgestoßen, war Vizepräsident des Deutschen Werkbundes, hatte durch eine Siedlung in Stuttgart, die „Weißenhof-Siedlung“ auf dem Killesberg, seinen Ruf als stilprägender Baumeister gefestigt. Sein Beitrag zum „sozialen Wohnungsbau“ der 1920er-Jahre sind auch vier Mehrfamilienhäuser in Berlin-Wedding (1927). Enge Verbindungen zum Bauhaus und dessen berühmten Vertretern wie Le Corbusier führten dazu, dass er 1930 Direktor des Bauhauses in Dessau wurde.

Umstritten ist die Haltung von Mies van der Rohe zum Nationalsozialismus, der das Bauhaus wegen seiner vermeintlichen Nähe zum Sozialismus ablehnte und seine Ideologie ab Beginn der 1930er-Jahre im Nazi-Baustil manifestierte, jenem monumentalen Neoklassizismus, der mit dem Berliner Olympiastadion 1935/36 auf internationaler Bühne demonstriert wurde, ein radikaler Gegensatz zu Mies van der Rohes konsequenter Sachlichkeit.

In Berlin-Friedrichsfelde hatte Mies 1926 ein Revolutionsdenkmal für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht entworfen; schon das allein machte ihn für die Nazis höchst verdächtig. Mies hatte gleichwohl 1934 einen Sympathie-Aufruf von Kulturschaffenden für Hitler mit unterschrieben und war auch Mitglied NS-naher Organisationen, u. a. der Reichskulturkammer. So wurde er mit dem Entwurf des deutschen Pavillons auf der Weltausstellung in Brüssel 1934 beauftragt. Die deutsche Architektur der Moderne hatte inzwischen auch in den USA einen großen Namen, u. a. befördert durch das Museum of Modern Arts in New York. 1936 erhielt Mies Angebote auf einen Lehrstuhl für Entwerfen an der Harvard University in Cambridge (Massachusetts) und einen für die Leitung der Architekturabteilung am Armour Institute in Chicago. Parallel wurde Mies von den Nazis aus der Preußischen Akademie der Künste gedrängt. So entschied er sich für Chicago und wanderte 1938 endgültig in die USA aus. 1944 wurde Mies US-amerikanischer Staatsbürger.

 

Farnsworth House, Chicago. 1945–1951

 

Mies van der Rohe entwarf in den USA und Kanada Gebäude von Weltrang, so 1956 die Crown Hall in Chicago, Hauptgebäude der Abteilung für Architektur des Illinois Institute of Technology, 1958 das Seagram Building in New York, ein Hochhaus an der Park Avenue, Firmensitz eines Spirituosenkonzerns. In Kanada baute Mies das Toronto-Dominion-Center, Firmensitz der gleichnamigen Bank, bestehend aus sechs Hochhäusern mit Arbeitsplätzen für über 20000 Menschen (1967–1969). Für IBM entwarf Mies den Firmensitz in Chicago (1969), ein Hochhaus mit 52 Etagen, damals das zweithöchste Gebäude Chicagos. Es war das letzte Projekt des Mies van der Rohe, der den Baubeginn nicht mehr erlebte. Der gebürtige Aachener starb 1969 in Chicago. Seine architektonischen Zitate sind international gestreut. Die Neue Nationalgalerie, Mies‘ berühmtestes Bauwerk in Deutschland, ist seit zwei Jahren geschlossen. Das unter Denkmalschutz stehende Bauwerk muss für über 100 Millionen Euro saniert werden. Architekt ist der Engländer David Chipperfield, der als junger Architekt bei Norman Foster (Reichstagskuppel) tätig war, ehemaliger Professor der Staatlichen Akademie der Künste in Stuttgart, Architekt auch des Museums Folkwang in Essen – und Träger des EU-Preises für zeitgenössische Architektur, kurz „Mies van der Rohe-Preis“. So schließt sich ein Kreis.

 

 

Artikel von www.top-magazin.de/ruhr