Kultur

Hans Martz trifft Thomas Seelig

Leiter der Fotografischen Sammlung im Museum Folkwang und spricht mit ihm über die Leidenschaft zur Fotografie, zu Fußball und zu Karaoke. Er sagt im Gespräch mit Hans Martz* „Die Vergangenheit mitnehmen und neu fortschreiben“ – so verstehe er seine Aufgabe. *Vorsitzender des Freundeskreises Theater und Philharmonie Essen e.V.


Auf der Bank: Im Gespräch über Leidenschaften: Fotografie, Fußball, Karaoke

 

Thomas Seelig: In Essen angekommen: „Die Vergangenheit mitnehmen und neu fortschreiben.“

Herr Seelig, Sie sind 1964 in Köln geboren – wie kommt man als junger Mann zur Fotografie?

Ja, ich bin zwar in Köln geboren und im nahen Bocholt aufgewachsen. Nach dem Fachabitur in Münster habe ich an der Fachhochschule Bielefeld Fotografie studiert. Die Fotografische Sammlung im Museum Folkwang war für mich schon damals, Anfang der 1990er-Jahre ein wichtiger Anlaufpunkt und die TOP-Adresse mit ihrer herausragenden Sammlung und den wegweisenden fotografischen Ausstellungen.

Also gab es schon sehr früh den Wunsch, sich der Fotografie zu widmen?

Zunächst wollte ich Bildjournalist werden, habe aber während meines Studiums sehr schnell erkannt, dass das Magazinsterben bereits um sich griff und damit auch die Auftrags- und Arbeitsmöglichkeiten immer schwieriger wurden. Ich musste mich also im Studium neu ausrichten und habe zunächst mit befreundeten Kolleginnen und Kollegen eine Studentengalerie geleitet. Das war bereits ein bewusster Wechsel von der Praxis des Fotografierens in die Praxis des Ausstellens und Vermittelns.

Nach dem Studium in Bielefeld waren Sie in Maastricht, dann in Köln als freier Kurator und im Kunsthandel tätig und zuletzt im schönen Schweizer Winterthur. Warum jetzt Essen?

Um mit Fotografie auf diesem Niveau arbeiten zu können, gibt es im Ganzen vielleicht zehn museale Adressen in ganz Europa. Die Fotografische Sammlung in Essen gehört dazu. Mit dem Museum Folkwang hat mich besonders in den letzten 5 Jahren viel verbunden. Das Fotomuseum Winterthur hatte in dieser Zeit eng mit meinem Vorgänger hier, Florian Ebner, zusammengearbeitet, zuletzt bei der großen Balthasar Burkhard Retrospektive. Es gab schon lange diesen Austausch mit Essen; er geht noch auf die Verbindung zwischen Ute Eskildsen und Urs Stahel zurück.

Ute Eskildsen und Florian Ebner haben Sie gerade erwähnt, beides sehr bekannte Namen hier in Essen und weit darüber hinaus in ganz Europa – beide standen für eine hohe Qualität. Wo werden Ihre inhaltlichen Schwerpunkte liegen?

Ich möchte die Fotografie hier im Museum präsenter machen und bin deshalb sehr glücklich darüber, dass wir zusammen mit dem neuen Direktor, Peter Gorschlüter, jetzt im Haus einen Ort suchen, an dem die Fotografische Sammlung dauerhaft präsent sein wird. Es ist einfach schade, dass die fotografischen Schätze im Haus bisher eher unterrepräsentiert sind und in den Depots ein Schattendasein fristen.

Was halten Sie für die größte Herausforderung in Ihrer neuen Aufgabe?

Es gilt, eine Brücke zu schlagen zwischen der historischen Fotografie des 20. Jahrhunderts, als einem Schwerpunkt unserer Sammlung, und der zeitgenössischen fotografischen Praxis. Wir alle tragen heute ein Smartphone bei uns mit dem Resultat, dass sich die Kultur des Fotografierens grundlegend verändert hat. Es stellt sich für mich die Frage, welche Konsequenzen sich daraus für die zukünftige künstlerische Praxis ergeben werden. Wie greifen Künstler den Verlust des haptischen Abzugs auf und in welche Richtung entwickelt sich die Vorstellung, was Fotografie in der Zukunft bedeuten könnte. Es kommt darauf an, die Vergangenheit weiter lebendig zu halten, gleichzeitig Wege zu suchen, wie man Künstlerinnen und Künstlern, die mit neuen Technologien und Themen arbeiten, in die Sammlung integrieren kann und wie wir den Besuchern diese Entwicklung vermitteln können. Fotografie war seit ihrer Erfindung im 19. Jahrhundert ein expansives Medium und hat sich seither immer weiterentwickelt. Ich schaue zwar auch gerne auf diese lebendige, innovative und spannende Vergangenheit zurück, aber auch immer gern nach vorne. Meiner Meinung nach muss man diese Fortschreibungen von Geschichte und Brüche in der Fotografie herausarbeiten. Die Vergangenheit mitnehmen und neu fortschreiben, das ist ein Satz, der mir dazu gut gefällt.

 

„Fotografie im Museum Folkwang präsenter machen – das ist mein Ziel“

 

Die Sammlung enthält herausragende fotografische Werke – wo liegen die inhaltlichen Schwerpunkte der Sammlung?

Da kann man sicher unterschiedliche Schwerpunkte und Genres benennen, seien es das Porträt, die Landschaft, die Architektur oder – mit einem anderen Blickwinkel die erzählende und die konzeptuelle Fotografie mit großen Namen, wie August Sander, Thomas Ruff, Germaine Krull oder Rineke Dijkstra zum Beispiel.

Die Essener Sammlung hat ja international einen hohen Stellenwert …

Absolut, festmachen kann man das beispielsweise ganz konkret an den vielen Leihanfragen, die wir von internationalen Ausstellungshäusern erhalten. Viele Werke sind seltene Originalabzüge aus der Zeit ihrer Entstehung, die man nicht an einem anderen Ort finden und ausleihen kann. Man kann es aber auch an der lebendigen Chronik der Ausstellungen der letzten 40 Jahre festmachen, die die Fotografische Sammlung ganz vorn in die Weltspitze geführt hat.

Herr Seelig, heute haben wir eine andere Welt als noch vor zwanzig Jahren, d.h. wir sind viel digitaler – müsste sich die Sammlung dann nicht auch digitaler zeigen – also nicht nur hier im Museum, sondern auch in der digitalen Welt?

Es gibt eine neue Generation, die sich deutlich digitaler informiert. Diesem Umstand muss man sicherlich Rechnung tragen, indem man beispielsweise die Bestände nicht nur in Ausstellungen präsentiert. Diese Form des Zeigens kann immer nur ein kleiner Ausschnitt aufgreifen. Nein, wir müssen uns fragen, wie wir die 65.000 fotografischen Objekte auch in der digitalen Welt präsent machen können. Also konkret, wie und in welcher Form können wir die Sammlung online stellen und damit einem viel breiteren Publikum verfügbar machen.

Fotografie ist ja ein sehr schnelles Medium, weil die Technik immer wieder neue Möglichkeiten erschließt – sehen Sie denn auch für die Zukunft noch neue Formen oder wohin könnte sich die Fotografie entwickeln?

Die Frage lautet ja, wie man den musealen Blick auf die Fotografie definiert. Geht es nur um reine Herstellung eines Bildes oder auch um die Projektion oder gar ein Instagram Feed, den man präsentieren oder sammeln möchte? Es ist eben so, dass sich an den Rändern der Fotografie ständig neue Formen entwickeln, was unweigerlich dazu führt, dass sich das Zentrum verschieben wird. Vielleicht werden die heutigen Ränder irgendwann die neue Mitte sein.

Eine Sammlung lebt natürlich auch vom Neuerwerb – gibt es dazu die finanziellen Möglichkeiten und lassen die Ressourcen überhaupt eine kontinuierliche Weiterentwicklung zu?

Natürlich kenne ich die budgetären Grenzen und gleichwohl kann man nie genug sammeln. Mit Kreativität und Neugier kann man aber innerhalb der Rahmenbedingungen schon vieles bewegen. Glücklicherweise gibt es hier in Essen viele langjährige Förderer, wie z.B. der Freundeskreis der Fotografischen Sammlung, Privatpersonen und Stiftungen, die uns dabei unterstützen.

Vielleicht ein paar Worte zu Ihrem privaten Leben hier in Essen?

Nun, ich habe gerade hier in Rüttenscheid eine Wohnung bezogen, da es für mich wichtig war, in der Stadt zu wohnen, in der ich arbeite. In den ersten Monaten konnte ich schon viele interessante Ecken in Essen entdecken.

Hypothetische Frage: Wenn Sie als Fotograf an einem internationalen Foto-Wettbewerb zu Stadtansichten teilnehmen würden, welches Motiv würden Sie dann in Essen auswählen?

Gute Frage. Wenn es ein Foto sein soll, dass für Essen sprechen soll, dann würde ich eine Ansicht von Zeche Zollverein wählen. Ich bin einfach hingerissen von der herausragenden Architektur, die als Gebrauchsarchitektur gedacht war, später zum Weltkulturerbe ernannt wurde. Mit ihrer klaren, durchdachten Formensprache beeindruckt mich dieses Ensemble ungemein.

Haben Sie Hobbys, die nichts mit der Fotografie zu tun haben?

Ich finde im Sport einen schönen Ausgleich und habe glücklicherweise sehr schnell eine Gruppe von Freizeitfußballern gefunden, mit denen ich – sofern es die Zeit erlaubt – einmal in der Woche kicke. Und – wenn Sie es nicht weiter verraten – eine nicht so stille Leidenschaft ist „Karaoke“ singen.

Auf welche Ausstellungen und Projekte darf sich das Essener Publikum in naher Zukunft freuen?

Was wir momentan planen, ist eine große historische Ausstellung zum Werk von Aenne Biermann im kommenden Jahr, die wir gemeinsam mit der Pinakothek der Moderne in München realisieren. Ganz aktuell zeigen wir die Ausstellung Marge Monko „Diamonds Against Stones“. Margo Monko ist eine estnische Fotografin, die für meine Begriffe sehr klug die Erweiterung der fotografischen Sprache durchspielt, indem sie existierende Fotografien aus der Werbung des 20. Jahrhunderts befragt und umdeutet, dies in Form von Videoarbeiten oder sehr ästhetischen, räumlichen Installationen. Die Künstlerin beschäftigt sich stark mit dem gesellschaftlichen Bild der Frau in der Sowjetzeit, in der sie groß geworden ist, aber auch mit dem aktuellen Frauenbild der westlichen modernen Welt in Zeiten von #metoo, wie es uns die Mode- und Luxusgüterindustrie vermitteln möchte.

Wenn Sie nicht Fotografie und Kommunikation studiert hätten, welchen Beruf hätten Sie sich dann vorstellen können?

Das ist nicht so einfach zu beantworten, denn ich wusste relativ früh, dass ich mit der Fotografie arbeiten wollte. Ich könnte mir vorstellen, dass ich vielleicht Verleger geworden wäre oder für das Fernsehen oder heute im digitalen Bereich tätig wäre.

Fotografie erzielt ja heute auf internationalen Ausstellungen oftmals Höchstpreise. Wie schätzen Sie es ein, geht diese Entwicklung so weiter oder ist der Hype um Fotografie überschritten?

Der große Hype, dass Fotografie in der Kunstwelt eine wichtige neue Rolle spielt, der ist vorbei – das hat damit zu tun, dass die Malerei sich von ihrer Krise „erholt“ hat, dass aber auch selbstverständlich Videokunst oder Performance gesammelt werden und dass mittlerweile auch Animationen und Renderings in den Blick von Sammlern geraten. Und es ist nicht zu vergessen, dass die wirklich herausragenden historischen Fotografien mittlerweile in den privaten und institutionellen Sammlungen angekommen sind.

Welchen Künstler würden Sie gerne noch in Ihrer Sammlung sehen?

Die Liste ist zu lang als dass ich sie benennen könnte. Ich schaue aber momentan auf eine interessante Position aus Indien. Dayanita Singh druckt seit einiger Zeit mit ihrem Verleger Gerhard Steidl aus Göttingen kleine Leporello-Bücher, die sie als Mini-Ausstellungen sieht. In größerer Auflage gedruckt sind das keine Unikate, sondern sehr demokratische Objekte. Es ist natürlich auch ein Kommentar zur Ungleichheit der Möglichkeiten zum Ausstellen und Sammeln, wenn man die Infrastruktur des indischen Subkontinents beispielsweise mit Deutschland vergleicht.

Letzte Frage: Was würden Sie jungen Fotografen gerne mit auf den Weg geben?

Wichtig für alle Künstlergenerationen ist es, zu erkennen, dass fotografieren selbst ein wichtiger Teil der Arbeit ist. Man sollte als Fotograf oder Fotografin auch Netzwerke pflegen und Freude daran haben, sich in der fotografischen Szene zu bewegen, Ausstellungen anzuschauen etc. Besonders aber braucht man Originalität, um anerkannt zu werden, dann entwickelt sich die Neugier anderer Menschen an der eigenen Kunst von selbst.

 

 


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Artikel von www.top-magazin.de/ruhr