Sport & Gesundheit

Smart Hospital

VIEL MEHR ALS NUR EIN KRANKENHAUS DER ZUKUNFT


 

Prof. Dr. Jochen A. Werner im Westdeutschen Protonentherapiezentrums Essen (WPE), einem Tochterunternehmen der Universitätsmedizin Essen. In diesem futuristischen WPE-Behandlungsraum wird die Protonentherapie eingesetzt, eine moderne und präzise Form der Strahlentherapie zur Behandlung von Krebserkrankungen.

 

Die Medizin durchlebt aktuell den größten Wandel ihrer langen Geschichte. Maßgeblicher Treiber dafür ist die Digitalisierung. Eine immer größere Bedeutung wird der Künstlichen Intelligenz (KI) zukommen. An der Essener Universitätsmedizin gibt es bereits heute den erfolgreichen Nachweis zur funktionierenden Einbindung von KI in der Radiologischen Abteilung von Prof. Dr. Michael Forsting. Hier hilft KI u. a. dabei, die Befundungsqualität von CT- und MRT-Untersuchungen zu steigern. Dies ist aber nur der Einstieg in eine sich extrem verändernde Diagnostik. Da die Radiologie schon lange digitalisiert ist und damit wesentlich besser geworden ist als noch vor 20 Jahren, ist dieses Fachgebiet unbestritten die digitale Vorreiterdisziplin. Jetzt folgen ihr die übrigen diagnostischen Fächer, in welche Digitalisierung und KI mit aller Intensität Einzug halten werden. Diese Entwicklung trägt dazu bei, dass die diagnostischen Daten fachübergreifend analysiert werden können, womit ein Quantensprung in Richtung Qualität und Geschwindigkeit bei der Suche nach den Ursachen von Erkrankungen eingeleitet ist. Von alleine allerdings passiert dieser Wandel nicht, zumindest nicht jetzt. Mit Neubesetzung des Vorstands vor drei Jahren nahm der Digitalisierungsprozess am Essener Uniklinikum erheblich an Geschwindigkeit auf. Als Unternehmensziel wurde der Weg zum Smart Hospital ausgerufen.

 

Prof. Dr. Jochen A. Werner ist seit Oktober 2015 Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Essen.

Spricht man vom Smart Hospital, also vom Krankenhauskonzept der Zukunft, geht es primär nicht um Steine. „Beton first“ ist nicht mehr das Mantra der Krankenhausentwicklung. Zunächst einmal geht es um digital basierte Prozessoptimierungen und Innovationen in einem Smart Hospital einschließlich der Hospital Cloud. Wie ein Smart Hospital schon sehr bald nicht mehr an den Außenmauern eines Krankenhauses endet, werden auch deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter künftig nicht mehr nur innerhalb des Hauses physisch tätig sein. Gleiches gilt für die Versorgung von Patienten, die sich nicht nur auf die Institution Krankenhaus beschränken wird. So wird es mit diesem Ansatz auch gelingen, Patienten mit chronischen Erkrankungen wie zum Beispiel Herzinsuffizienz, obstruktive Lungenerkrankung oder Morbus Parkinson über Sensorik und Echtzeitmonitoring bis in ihre häusliche Umgebung viel besser als bisher zu überwachen und ihnen möglichst viele Krankenhausaufenthalte zu ersparen. Hierzu wird es ganz enge Kooperationen von niedergelassenen Ärzten und Krankenhausärzten geben.

Die Universitätsmedizin Essen sieht sich in der klaren Verantwortung, die digitale Transformation voranzutreiben und eine innovative Führerschaft auf dem Weg zum Smart Hospital zu übernehmen. Hierbei geht es um einen ganzheitlichen Ansatz für die künftige Krankenhausmedizin und nicht nur um Digitalisierungsansätze in einzelnen Fachdisziplinen oder um den Einsatz von roboterassistierten Assistenzsystemen, von denen es am Uniklinikum Essen seit mehreren Jahren drei erfolgreich eingesetzte Systeme gibt. Das Smart Hospital ist modular aufgebaut, aus vielen Bestandteilen, mit jeweils unterschiedlichsten Zielsetzungen. Das Herzstück der Essener Universitätsmedizin ist dabei die vor wenigen Monaten in Betrieb genommene digitalisierte Zentrale Notaufnahme. Sie zielt in allen Bereichen auf Patientensicherheit und Transparenz, auf Digitalisierung bis hin zum digitalen Echtzeitmonitoring von Unfallorten, Haushalten und weiteren Brennpunkten der Notfallmedizin direkt ins Uniklinikum. Dies erfordert eine komplexe Interaktion im Internet der Dinge (Internet of Things, IOT), der eine immer größere Bedeutung zukommen wird. Wie komplex es wird, lässt sich erahnen, wenn man sich vor Augen führt, dass im Jahre 2020 weltweit mehr als 20 Milliarden im IOT verknüpfte Geräte untereinander kommunizieren werden. Diese digitale Ausrichtung der Zentralen Notaufnahme trägt maßgeblich dazu bei, Akutversorgungen bei Herz- und Hirnerkrankungen, also dort, wo es ganz extrem auf Sauerstoffversorgung und Geschwindigkeit ankommt, samt der zugehörigen Diagnostik und Therapie zu beschleunigen, transparent zu machen und damit das Behandlungsergebnis zu verbessern. Abläufe werden überprüfbarer, Behandlungsergebnisse wesentlich besser wissenschaftlich auswertbar.

Ein weiteres Modul im Smart Hospital betrifft die Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge von Patienten mit onkologischen Erkrankungen. All diese Bereiche haben immer mehr auch damit zu tun, molekulargenetische Daten mit dem Wissen der Weltliteratur abzugleichen und durch die Krebsspezialisten im Westdeutschen Tumorzentrum (WTZ) bewerten zu lassen. Das Smart Hospital bietet hierbei die notwendige Unterstützung von Bioinformatikern und intelligenten Computersystemen, die auch assoziierten Partnern zugänglich gemacht werden kann. Das WTZ will mit modernster Krebsmedizin unterstützen und diese in die Fläche bringen. Smart Hospital Module aber sind niemals frei von Überlappungen. Ein exzellentes Beispiel hierfür ist das komplexe Feld von Organtransplantationen, die zum Beispiel aufgrund einer Leberkrebserkrankung erfolgen müssen. Hier sind vom Essener Uniklinikum Maschinen entwickelt worden, reich an digitaler Technologie, mit denen für eine Transplantation grenzwertig geeignete Organe in einen wieder besseren Zustand gebracht werden können, der dann die Transplantation ermöglicht. Dieses und viele andere digitalunterstützte Beispiele zeigen, wie sehr die Medizin inzwischen von der Digitalisierung abhängt.

Unter Smart Hospital verstehen wir eine intelligent arbeitende medizinische Steuerungseinrichtung, die nicht durch Krankenhausmauern, sondern durch die Krankengeschichte der Patienten begrenzt wird. Hierzu gehört maßgeblich auch eine ganz enge Verknüpfung mit allen anderen, im Bereich der Gesundheit agierenden Einrichtungen, also mit niedergelassenen Ärzten, Apotheken, Physiotherapeuten, Kostenträgern usw. Die Zielsetzung ist klar. Es geht bei aller technologisch orientierter Ausrichtung immer darum, den Fokus im Smart Hospital viel stärker als bisher auf den Menschen zu legen, auf Patienten, auf deren Angehörige und natürlich ebenso auf die Mitarbeiterschaft. Diese Mitarbeiter sind auch künftig das Fundament zur Patientenversorgung. Allerdings werden sich verschiedene Berufsfelder im Smart Hospital grundlegend ändern müssen, um erfolgreich in die Zukunft gehen zu können. Dies betrifft den medizinischen Sektor und ebenso den ökonomischen, zumal Krankenhaus auch bedeutet, wirtschaftlich zu denken und Arbeitsplätze zu sichern.

Spricht man über die Mitarbeiter im Krankenhaus, ist die Thematisierung des Pflegenotstandes unausweichlich. Man weiß um diese Entwicklung seit weit über zehn Jahren. Jetzt, da die Thematik in der breiten Öffentlichkeit angekommen ist und von der Politik aufgenommen wurde, wird mit aller Macht die Einstellung zusätzlicher Pflegekräfte gefordert, die jedoch effektiv nicht vorhanden sind. Will man solche Engpässe in einem Krankenhaus schließen, wird es unausweichlich zu Verschiebungen von Pflegepersonal unter anderen Krankenhäusern kommen, mit der Folge, neue Lücken aufzureißen und dies bis hin in die Altenpflege hinein. Will man diejenigen Pflegekräfte an die Arbeitsplätze zurückbringen, die ihren Beruf aufgegeben haben, dann wird man ihnen bessere Arbeitssituationen bieten müssen. Hierzu gehört auch mehr direkte Arbeit am Patienten statt zeitraubender administrativer Tätigkeiten. Zur Erreichung dieses Zieles kommt der Digitalisierung eine Schlüsselrolle zu, womit sich erneut der Bogen zum Smart Hospital schließt. In diesem Kontext werden sich neue Berufsbilder entwickeln, andere werden sich verändern, weitere werden ganz verschwinden. Auch mit diesen Themen müssen wir uns genau jetzt auseinandersetzen und nicht erst in zehn Jahren, sonst erleben wir das nächste berufliche Dilemma im Krankenhauswesen. Die Veränderung der medizinnahen und medizinfernen Berufe im Krankenhaus hat also bereits begonnen, sie wird aber noch viel umfangreicher werden als aktuell anzunehmen.

Jeder, der heute lebt, gehört zur Generation Transition. Ein besonderes Augenmerk müssen wir darauf legen, welche Auswirkungen aber auch Chancen die Digitalisierung für alte Menschen hat. Auch diese Frage ist im Smart Hospital zu stellen. Konkret geht es hierbei um eine verbesserte Betreuung der alten Menschen über intelligent arbeitende Computersysteme. Dies kann auf unterschiedliche Arten erfolgen. Zum einen lassen sich Vitalparameter mittels Echtzeitmonitoring überwachen, womit der pflegerische oder auch der ärztliche Dienst sofort die Meldungen bekommt, wenn zum Beispiel das Herz nicht richtig funktioniert und dies mitunter sogar, bevor der Mensch es selbst bemerkt. Eine weitere Unterstützungsmaßnahme zielt auf die verstärkte Einführung von Sprachsteuerung, womit hilfsbedürftigen Personen alleine über Sprachbefehle an die Maschine eine leichtere Kommunikationsaufnahme ermöglicht wird als es heute in der manuell mitunter kleinteiligen tastaturgetriebenen Welt der Fall ist. Auch wird es an der einen oder anderen Stelle durchaus Sinn machen, virtuelle Assistenten wie zum Beispiel Alexa von Amazon oder Google Assistant einzusetzen. Hierbei geht es in keiner Weise um Entmenschlichung von Umgangsformen. Schließlich sprechen wir nicht selten über Situationen, wo im Tagesgeschehen von alten Menschen überhaupt kein anderer Mensch mehr anwesend ist. Gleiches gilt für Robotikassistenzsysteme, um mit bestimmten Handreichungen zu helfen. Das meint nicht, dass Robotersysteme so intensiv genutzt werden sollen, wie es in Japan der Fall sein wird, in einem Land mit einer vollkommen anderen Kultur. Genau hier setzen unsere Aufgaben an.

An der Digitalisierung geht definitiv kein Weg vorbei, aber wie bekommen wir deren Möglichkeiten in unseren Kulturkreis eingebunden? Die Antwort liegt auf der Hand, indem unser Land den Vorgang selbst gestaltet. Immerhin haben wir es in Deutschland vielleicht gerade noch im Sprint geschafft, in einen der letzten Wagen des Schnellzuges mit der Aufschrift Digitalisierung einzusteigen. Dies soll nicht zu defätistisch wirken und den Schwarzsehern das Wort reden, die meinen, es sei ohnehin schon alles zu spät und GAFAA, d. h. Google, Apple, Facebook, Amazon und Alibaba, würden sowieso alle relevanten Entscheidungen im genannten Sektor treffen. Gerade die Medizin ist ein Beispiel dafür, dass für die bestmögliche Patientenversorgung regionale oder auch nationale Kulturaspekte von relevanter Bedeutung sein können. Natürlich dringt Amazon in vielen Bereichen in den US-amerikanischen Krankenhausmarkt. Ob aber die damit verbundenen Produkte und Strategien unproblematisch auf die Situation in Deutschland übertragen werden können, das ist sicher noch nicht entschieden.

Ein weiterer Bereich im Smart Hospital widmet sich den Chancen der Digitalisierung im Kontext von Aus-, Fort- und Weiterbildung. So werden digital unterstützte Unterrichtsformen in alle Medizinalberufe Einzug halten. Damit lassen sich junge Menschen in verstärktem Maße für die unterschiedlichsten Berufsfelder auch und ganz besonders der Gesundheitswirtschaft begeistern. Das Beharren auf tradierten Ausbildungsformen bedeutet Rückschritt. Die verloren gegangene Attraktivität von Berufsbildern muss dringend zurückgewonnen werden, bestes Beispiel hierfür ist die Krankenpflege. Auch wenn 4.0-Bezeichnungen fast überhand nehmen, der Begriff Gesundheitberufe 4.0 gibt den für die junge Generation erkennbaren Wandel im Arbeitsmarkt wieder. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass es um Digital Natives geht, die ausgebildet werden sollen. Menschliche Wärme leben und erleben und zugleich administrative Arbeit bestmöglich durch Technologie unterstützen zu lassen, damit wird Patienten und Mitarbeiterschaft gleichermaßen geholfen. Das Ruhrgebiet könnte mit einer solchen Initiative im Verbund vorhandener Expertisen zum nationalen Ausbildungszentrum für Gesundheitsberufe werden, damit die eigene Versorgungsqualität verbessern und das Personal über Aus-, Fort- und Weiterbildungsexzellenz auch in Mangelberufen an die Region binden. Dies könnte die Etablierung zur Gesundheitsmetropole Ruhr anstoßen.

Artikel von www.top-magazin.de/ruhr