Kultur

Ein Museum für Wilhelm Lehmbruck

Der Sohn hat einen Tempel für die Kunst seines Vaters gebaut – Nun steht mitten in Duisburg das erste bedeutende Skulpturenmuseum seiner Zeit – Direktorin Söke Dinkla präsentiert hier die Werke von Wilhelm Lehmbruck und neue Ausstellungen bedeutender zeitgenössischer Künstler


Duisburger präsentieren im Sommer Werke von Erwin Wurm

Söke Dinkla hütet ein Kleinod. Dabei ist das alles andere als klein. Eher groß und luftig. Aber auch monumental. Und dennoch schiebt es sich fast verschämt unter die schützenden großen Bäume im Park; seine Qualitäten entdeckt, wer genau hinsieht.

Wilhelm Lehmbruck: Söke Dinkla ist die Direktorin des Lehmbruck Museums. Mitten in Duisburg baute der Sohn Manfred einen Tempel für die Kunst seines Vaters Wilhelm.

Söke Dinkla ist die Direktorin des Lehmbruck Museums. Mitten in Duisburg baute der Sohn Manfred einen Tempel für die Kunst seines Vaters Wilhelm.

Außen und innen. Söke Dinkla ist Direktorin des Duisburger Lehmbruck Museums. Erbaut vom Architekten Manfred Lehmbruck. Gewidmet seinem Vater Wilhelm Lehmbruck, dem Bildhauer. Klassisch dem Naturalismus verhaftet, in seiner Epoche um die Wende zum 20. Jahrhundert, mit seiner Kunst Inspiration für Joseph Beuys. Gleichzeitig Kunst für Kenner, nicht Kalenderblattmotiv für die breite Masse. Das haben die Erben verhindert. Doch der Sohn hat der Kunst des Vaters einen eigenen Tempel errichtet. Buchstäblich glasklar und schnörkellos, ganz in der Tradition des klassischen Bauhaus-Gedankens. Da steht es in der Geburtsstadt des Vaters. In Meiderich 1881 geboren, starb Wilhelm Lehmbruck 1919 in Berlin. In der Zeit hat er vielfältige Spuren hinterlassen. Die berühmteste: Die Knieende. Oder passend zur Heimat: Die Duisburgerin. Und den Kopf der Ehefrau Anita. Skizzen, Gemälde und Grafiken dazu. So viel, dass es längst ein ganzes Museum füllt. Viele seiner Werke waren verteilt, versprengt, wurden nach und nach zurückgekauft und sind unter das vom Sohn errichtete Dach heimgekehrt.

Ein Bau, der selber schon das Zeug zum kunstgeschichtlichen Kultstatus hat. Und dem Museum weltweit ein Alleinstellungsmerkmal beschert: Die große Halle, drei Wände sieben Meter hoch nur Glas. Keine Säule im Inneren, jede Strebe, die trägt, reckt sich außen an der Fassade empor. Ein einmaliges Schaufenster für die Kunst. Das weiß die Direktorin Söke Dinkla zu schätzen. Ebenso wie den deutlichen Kontrast zur glasklaren Offenheit – das ist der eigentliche Lehmbruck-Flügel des Hauses. Von außen unscheinbar, eine geschlossene Betonfront, die sich ein Stück ins Erdreich duckt. Ein Bunker, ein Schutzraum für die Kunst des Vaters – so hat Manfred Lehmbruck diesen Teil gedacht. Im Inneren aber inszeniert sich plötzlich dieser Bunker ganz neu, wieder mit viel Licht. Immer erlauben überraschende Perspektiven dem Auge den Weg nach außen, erhascht der Blick einen Baum im Park. Oder ist gebannt von der Lehmbruck’schen Kunst. Nicht (nur) der des Erbauers, insbesondere der des Vaters, dessen Schaffen hier der richtige Raum geboten wird. Mit Lichteinfall aus der scheinbar massiven Decke, der dann genau markiert, wo die Statue zur Geltung kommt. Wie die Duisburgerin, die da so selbstverständlich steht, wie das Museum in dieser Stadt.

Wilhelm Lehmbruck, Kniende, 1911, Gipsguss

Wilhelm Lehmbruck, Kniende, 1911, Gipsguss

1964 eröffnet, ist es damals das weltweit erste relevante Skulpturenmuseum. Gewidmet der Stadt Duisburg, der Industriestadt. Mit dieser geraden Bauhaus-Architektur gedacht auch als eine Hommage an eine Industriehalle. Ihr Charme und gleichzeitig besondere Aufgabenstellung für ein Museum als Hüter eines Kunstschatzes für die Nachwelt: Es gibt immer Tageslicht. In Hülle und Fülle. Großartige Beleuchtung für die Kunst, die sie gleichzeitig ihrer Vergänglichkeit preisgibt. Das zu verhüten, ist heute eine Aufgabe im Team von Söke Dinkla.

Der Bau inszeniert die Kunst, und die Ausstellungsmacher wissen seine Qualitäten zu schätzen. Und kreieren Neues zum angestammten Erbe, das ja dem Haus seinen Namen gibt. Ganz unvergänglich bleibt es das Lehmbruck Museum. In Duisburg. Der Stadt, die nun auch in Wanheimerort Heimat der Grabstätte von Wilhelm Lehmbruck ist. Nach einem bewegten Leben zwischen Meiderich, der Düsseldorfer Kunstschule, Paris, New York, Berlin und zwischen vielen, vielen Frauen, denen er allen mit seiner Kunst ein Denkmal setzte, begraben neben Ehefrau Anita. Der Mutter des Sohnes Manfred. Erbauer des Museums.

Das gibt dem Andenken an den Mann, der Joseph Beuys inspirierte, sich genau dieser Kunst zuzuwenden, Licht, Luft und Raum. Den nutzt Söke Dinkla für die Präsentation der neuen Kunst, die neben der angestammten hier ihren Platz hat. Neben den Statuen auch sehr lebendig, so 2014 mit dem Essener Folkwang-Absolventen Tino Seghal. Zwei Tänzer, im unendlichen Kuss gefangen, schlagen mit ihrer Bewegung die Betrachter stundenlang in Bann. Wie eine wirklich lebendige Skulptur. Ein Teil der neuen Zeit. Jedes Jahr präsentiert das Lehmbruck Museum sechs Ausstellungen, das funktioniert auch, weil die zeitgenössischen Künstler diesen ganz besonderen Raum zur Präsentation ihrer Arbeit besonders schätzen. Wie Erwin Wurm. Den hat Söke Dinkla für 2017 gewonnen. Skulpturen und Heute-Bilder der ganz eigenen Art.

Wilhelm Lehmbruck: Lichtinstallation „rota“ von Carsten Nicolai in der Glashalle

Lichtinstallation „rota“ von Carsten Nicolai in der Glashalle

Im Lehmbruck Museum also Heute-Bilder der ganz eigenen Art, wie der Currywurstbus, der Currywurst-Bus, der Curry- Wurst-Bus?! Es wird hintergründig, ein wenig komisch, wenn das prall-dicke merkwürdig-orange Gefährt anrollt und die Klappe aufmacht. Nicht etwa sinnbildlich, sondern ganz praktisch. Ob es dahinter wirklich diese gewürzte Wurst gibt …?!Obwohl als Heimat der legendären Würz-Wurst ja eigentlich Berlin gilt, hat dieser ganz eigene kulinarische Genuss ja durchaus auch seinen Bezug zum Revier. Und so passt es doch gut, dass ein Abglanz dieser Ernährungsphilosophie demnächst in Duisburg ankommt. Mit diesem provokant dicken Bus. Ersonnen von einem Österreicher. Sein Name: Erwin Wurm. Der Großmeister der ironischen Abgründe und des skurrilen Humors kommt ins Ruhrgebiet. In einer gemeinsamen Ausstellung zeigen das Lehmbruck Museum und das MKM Museum Küppersmühle seine Werke.

Wilhelm Lehmbruck: Erwin Wurm, Curry Bus, 2015, styrofoam, polyure- than, bus, © Erwin Wurm / VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Erwin Wurm, Curry Bus, 2015, styrofoam, polyure- than, bus, © Erwin Wurm / VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Präsentiert werden Skulpturen, Fotografien, Wandarbeiten, Strickbilder und Rauminstallationen des 1954 geborenen Künstlers. Die gemeinsame Ausstellung in zwei Häusern ist ab dem 7. Juli 2017 zu sehen. Verantwortlich für die Ausstellung im MKM ist die Stiftung für Kunst und Kultur. Ermöglicht wird das Projekt durch die Unterstützung der Evonik Industries AG (für das MKM) und der Sparkasse Duisburg (für das Lehmbruck Museum).

„Vor mir ist nichts sicher!“ sagt Erwin Wurm und hat es sich zur Aufgabe gesetzt, die Skulptur an ihre Grenzen zu führen – und darüber hinaus. Bestrickte Wände, „verfettete“ Skulpturen, Selbstportraits als Essiggurken oder die Inszenierung der Welt als surrealer Zustand: Wurm zelebriert Verwirrung als kreative Strategie. Überall kann eine hintergründige Überraschung lauern.

Beim Kreativen, dem Künstler Erwin Wurm, sind die Dinge nicht das, was sie scheinen. Die Wärmflasche, die ist die Mutter. Nein falsch! Sie trägt den Titel „Big Mother“. Wurms Objekte sind grundsätzlich wandelbar: „Ich finde spannend, was passiert, wenn man Alltagsgegenständen den Nutzwert entzieht, bekannte Formen neu interpretiert“, sagt der Künstler. Nun also kommt er nach Duisburg. Mit diesem Bus. Alles Wurst – auch beim ewig umschlungenen Kuss. „Kiss“ heißt dieses Kunstwerk.

Die Skulptur an ihre Grenzen führen – die „Abstract Sculptures“ von Erwin Wurm als Sinnfiguren des 21. Jahrhunderts, diesem Thema hat Söke Dinkla als Direktorin des Lehmbruck Museums eine Betrachtung gewidmet: „Über das Scheitern.“ Hier ein Appetithappen – nicht nur leichte Kost. Wie die Curry-Wurst. Aber auch nicht so schwer verdaulich. „Über das Scheitern“ von Söke Dinkla – in Auszügen:

Wilhelm Lehmbruck: Erwin Wurm – so stellt sich der Künstler zum Portrait

Erwin Wurm – so stellt sich der Künstler zum Portrait

Mit der Wurst wählt Erwin Wurm einen alltäglichen Gegenstand, den alle kennen und mit dem jeder persönliche Erfahrungen verbindet. Die Sujetwahl eines Lebensmittels hat synästhetische Qualität: Wir denken an den Biss in eine Wurst, wir fühlen die weiche Konsistenz; wir alle erinnern uns an das Geschmackserlebnis und damit verbundene Situationen. Für Erwin Wurm hat die Wahl des Gegenstands auch eine persönliche Komponente: Würstel sind für ihn Teil seiner Kindheit im Österreich der späten 1950er-Jahre und zugleich sind sie für ihn ein ‚europäisches Sinnbild‘, Charakteristik einer Esskultur, die alle Europäer aller Gesellschaftsschichten miteinander verbindet. In ihrer kaum zu überbietenden Banalität, die sich in den Wortbildern spiegelt, zu denen sie Berichterstatter inspirieren, wirken die Würste als Gegenstand von Skulpturen im Museum deplatziert. Radikaler als jede rebellische Geste der Avantgardebewegungen persifliert die Wurst als Gegenstand der Kunst den überlieferten Kunstanspruch – den Anspruch auf Exklusivität, Originalität und Transzendenz des Alltäglichen.

Mit ihren Titeln und ihren Posen erheben die „Abstract Sculptures“ den Anspruch, Kunst zu sein: Sie zitieren bekannte Motive der Kunstgeschichte wie die „Liegende“, den „Schreitenden“, den „Kuss“ oder den „Turm der Sozialistischen Internationale“. Mit dem Zitat wählt Erwin Wurm ein Verfahren, das in der Geschichte der Kunst eine lange Tradition besitzt. Das Zitat ruft die historische Bedeutung dieser Motive in Erinnerung. Die „Liegende“ – beliebtes Motiv der europäischen Malerei von Cezanne über Lehmbruck bis zu Picasso – eine dicke Wurst. Der „Kuss“ – populäres Sujet bekannter Kunstwerke von Gustav Klimt, Constantin Brancusi oder Auguste Rodin – anzüglich und fleischlich in der simulierten Weichheit der sich umarmenden Körper.

Im Werk Erwin Wurms geht es um die Grundthemen der Skulptur. Es sind die uralten, existentiellen Fragen an die Kunst, die ihn beschäftigen und mit denen er eine die Zeit überdauernde Form für das aktuelle Menschenbild entwirft. Wenn Erwin Wurm von „Volumen“ spricht, bezieht er sich damit nicht nur auf die klassische Kategorie der Bildhauerei, sondern er hat die Körper der Menschen vor Augen, die ihm tagtäglich in den Städten begegnen. Gestalterische Kraft hat unser eigener Umgang mit dem Körper. Die „Abstract Sculptures“ verkörpern gerade keine Ideale, sie trotzen dem Ideal und können als Modelle des Scheiterns der Ideologien der Moderne gelesen werden. So arbeitet Erwin Wurm an der Auflösung von Ideologien jeglicher Art.


„Über das Scheitern“ ist ein Auszug aus einem Text von Söke Dinkla aus:
Sculpture 21st. Positionen der Skulptur des 21. Jahrhunderts. Hrsg. von Söke Dinkla, Texte von Söke Dinkla, Ronja Friedrichs, Antony Gormley, Adam Szymczyk, Wolfgang Ullrich u. a. Deutsch, Englisch, 192 Seiten, ca. 146 Abb., gebunden, ISBN 978-3-7757-3988-7, erscheint im Frühjahr 2017 im Hatje Cantz Verlag

Artikel von www.top-magazin.de/ruhr