Menschen

Nachgefragt

Bei Uschi Brammertz


Bei der Verleihung des Verdienstkreuzes

 

Uschi Brammertz

Wer in der Aachener Öffentlichkeit zu tun hat, Sport treibt oder mit dem Arbeitsamt zu tun hatte, kennt sie wahrscheinlich schon. Für ihr Engagement für Arbeitsuchende, Integration im Sport und kommunalpolitische Arbeit erhielt Uschi Brammertz von Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen für ihre langjährige, freiwillige Arbeit und ihr Lebenswerk das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Damit wurde ihr eine der begehrtesten Auszeichnungen der BRD zu Teil. Wer ist diese Frau?

Top 1 Sie waren ja Leistungssportlerin – erzählen Sie uns ein wenig aus Ihrer Wettkampf-Zeit! Wie kamen Sie zum Sport oder der Sport zu Ihnen? Wie kamen Sie mit Erfolgsdruck klar? Wann und warum haben Sie den Sport aufgegeben?

Naja, wo fängt der Leistungssport an und wo hört er auf? Mein Vater, seine Freunde, mein Großvater, mein Onkel, alle waren Kunstradfahrer in dem Verein, und ich wurde nicht gefragt, ob ich das auch wollte. Mindestens vier Abende pro Woche für mindestens zwei Stunden Training waren in der Kindheit schon okay, wobei die Verletzungsgefahr ja nicht ohne war. Da ich aber eine kleine schmale Turnerfigur hatte, war das Herumklettern auf dem Fahrrad und die Teilnahme an Turnieren und Meisterschaften auf jeden Fall kein Problem und auch spannend. Dann begann die Zeit der Vorbereitung aufs Abitur, das Studium, die Zeit wurde knapper. Als Aktive habe ich irgendwann aufgehört, und so begann meine Zeit als Ehrenamtlerin.

Top 2 Fast bin ich geneigt, Sie eine Zehnkämpferin Ihres Lebens zu nennen. In vielen Disziplinen waren Sie schon zu Hause und sind es noch immer. Schon während Ihres BWL-Studiums an der RWTH hoben Sie sich vom Durchschnitt ab, sodass Sie eine Assistenzstelle am Lehrstuhl für Wirtschaftslehre und Unternehmungslehre besetzen konnten. Wie kam es dazu?

Ich hatte im Vordiplom eine der besten VWL-Klausuren bei Professor Röper geschrieben und als er mir einen Brief mit der Bitte nach Hause schickte, zunächst für ein Semester als HiWi am Lehrstuhl zu arbeiten, habe ich „Ja“ gesagt, und dann bin ich doch noch etwas länger geblieben.

Top 3 Nach dem Studienabschluss waren Sie direkt in einer Situation gefordert, die viele berufstätige und karriereorientierte Frauen stark fordert und nicht selten überfordert. Es galt, Familie und Selbständigkeit unter einen Hut zu bringen. Kamen Sie gut mit dieser Mehrfach-Belastung klar? Was war Ihr persönliches Erfolgs-Geheimnis?

Das mit der Selbständigkeit begann nicht direkt nach dem Studium. Da gab es schon noch andere Stationen dazwischen. Aber ich hatte damals schon Vorstellungen, die ich verwirklichen wollte. Dazu gehörte eben, eine Familie zu haben, zwei Kinder, ein Haus, eine berufliche Ausrichtung, die mich erfüllte. Mir war schon sehr klar, wohin ich wollte. Aber das Leben spielt halt nicht immer mit.

Top 4 Da sprechen Sie ein ernstes Kapitel in Ihrem Leben an. In Ihrer jungen Familie gab es einen Krankheitsfall, der Ihre Kräfte einforderte und Ihnen abverlangte, Ihre eben erlangte Selbständigkeit aufzugeben.

In der Tat. Meine jüngere Tochter war erkrankt. Sie musste wegen einer Morbus Perthes Erkrankung jahrelang auf Krücken gehen und fünf Mal pro Woche in die Krankengymnastik gebracht werden, um einer Operation auszuweichen. Das bedeutet für dich als Mutter, dass du das Kind überall hinträgst, dein Leben richtet sich plötzlich nach dem Terminkalender von Arztbesuchen und Physiotherapien. Gott sei Dank ist es gut ausgegangen. Heute ist sie selbst Mutter und kann wieder auf beiden Beinen stehen.

Top 5 Inwiefern spielen sportliche Tugenden auch heute noch in Ihrem Leben eine Rolle?

Ich war und bin sehr zielstrebig und hartnäckig, ich gebe selten auf, bevor ich das Ziel erreicht habe. Aber das geht nie zu Lasten von anderen. Ich bin eher so ein Mensch, der sich gerne für andere einsetzt, auch wenn von der anderen Seite nichts zurückkommt. Das macht mich ausnutzbar, wenn ich nicht aufpasse. Aber im Laufe des Lebens lernt man auch hier dazu. Für mich spielen Fairness und Respekt eine große Rolle, das geht in der heutigen Zeit bei vielen Menschen verloren, die Ellenbogenmentalität nimmt immer mehr zu. Ich hasse außerdem unsachliche Kritik, und ich verstehe Menschen nicht, die sich mit fremden Federn schmücken.

Top 6 Welche zentralen Erfahrungen haben Sie in Ihrer Zeit als Geschäftsführerin des Stadtsportbundes gemacht? Wie kam es zu Ihrem Vorsitz der Sportjugend?

Die Stelle war frei geworden, aber es war für mich eine Herausforderung, mit einem überalterten Vorstand zusammen zu arbeiten, der die Zeichen der Zeit nicht sah. Das Programm Integration durch Sport war durch den Landesportbund ausgegeben worden, das dem Programm Sport mit Menschen mit Migrationshintergrund folgte. Es löste in mir eine völlig andere Sichtweise auf den Sport aus und damit ein großes Engagement. Ich wollte mehr für Ausbildung und Fortbildung von Jugendlichen tun und weil das zum Handlungsfeld der Sportjugend NRW gehörte, wurde ich zur Vorsitzenden der Sportjugend.

Top 7 2015 wurde das Jobcenter auf Ihre mannigfaltigen Wirkungsfelder aufmerksam. Auch hier gelang es Ihnen spielend, Ihre Berufung, den Sport, mit einem gesellschaftlichen Nutzen zu vereinen. Welche Projekte oder Kampagnen sind aus diesem fruchtbaren Brückenschlag entstanden?

2015 brachte die damalige Bundesregierung das erste Programm zur Integration von langzeitarbeitslosen Menschen heraus, das mit hohen Fördermöglichkeiten ausgestattet war. Da ich zu dem Zeitpunkt bereits politisch aktiv war und meine eigenen Integrationsprojekte im Sport bereits gut etabliert waren, verfügte ich über ein großes Netzwerk von Unterstützern und Sponsoren. Es war genau mein Ding, Menschen aus einer großen Benachteiligung wie Arbeitslosigkeit heraus wieder in Arbeit zu bringen. Schließlich kannte ich auf der anderen Seite die Arbeitgeber, welche sich von mir überzeugen ließen, einem Leistungsbezieher aus Hartz IV mit einem Arbeitsplatz wieder auf die Beine zu helfen und damit zu einer Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.

 

„Sport spricht alle Sprachen“

 

Top 8 Warum eignet sich Ihrer Meinung nach der Sport so gut für die Integration? Auch heute in Zeiten starker Zuwanderung aus krisen- und kriegserschütterten Ländern ist das Thema wieder aktuell. Was passiert beim Sport zwischen den Menschen im Einzelnen?

Sport spricht alle Sprachen. Über den Sport entwickelt man Teamgeist und Engagement. Nehmen Sie die Fußballregeln – die sind auf der ganzen Welt überall gleich. Über den Sport nehme ich alle mit, auch die Zugewanderten, auch die syrischen oder ukrainischen Kinder und Jugendlichen.

Top 9 Sie haben ja schon einige Auszeichnungen erhalten – darunter den DFB-Integrationspreis.
Was bedeutet Ihnen dieser Preis?

Es war schon sehr berührend neben Angela Merkel auf der Bühne zu stehen und diese Auszeichnung zu bekommen. Das hat sich gut angefühlt, und in diesem Jahr bin ich aufgrund „besonderer Verdienste“ zum Mitglied im „Club 100“ des DFB gewählt worden. Diese Auszeichnung hole ich mir am 11.11. im Fußballmuseum in Dortmund von Bernd Neuendorf ab.

Top 10 Bei welchen Themen bleibt Ihr Blick in die Zukunft hängen? Wo sehen Sie potentiellen Handlungsbedarf für sich?

Es gibt immer viel zu tun für Kinder, Jugendliche und auch für Frauen. Seit zehn Jahren engagiere ich mich im Fachausschuss Prostitution des Frauennetzwerks der Städteregion Aachen. Wir müssen uns verstärkt mit Alternativen darum kümmern, die Ausbeutung von Frauen einzudämmen. Es ist keine Lösung, dass in unserem Land darüber nachgedacht wird, Prostitution wieder unter Strafe zu stellen. Aber es ist verdammt noch mal nötig, endlich entschlossen gegen alle Schleuserbanden vorzugehen und nicht alles so weiter laufen zu lassen.

 

Mit Oberbürgermeisterin Sybille Keupen

 

Wir freuen uns sehr, weiterhin im öffentlichen Geschehen unserer wundervollen Stadt von Ihnen zu hören – vor allem aber gratulieren wir vom Top Magazin Ihnen zum Bundesverdienstkreuz am Bande – und uns selbst zu einem gelungenen Gespräch mit Ihnen! Vielen Dank auch dafür!

 

Artikel von www.top-magazin.de/aachen