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Nachgefragt bei Alemannia Aachen – Die persönliche unendliche Geschichte des TSV Alemannia Aachen

Sportdirektor Thomas Hengen und Präsident Dr. Martin Fröhlich im Interview


 

Einen langen Atem braucht der Verein schon seit einigen Jahren – genauer gesagt seit 2012, dem Jahr seines ersten Insolvenzverfahrens. Dass die Stadt noch immer stolz auf seinen großen Sportverein mit seinen vielen Fans sein darf, ist dem langen Atem seiner Führung und ganz besonders den Sponsoren aus dem unternehmerischen Mittelstand der Stadt zu verdanken. Dank Corona sind die Herausforderungen für Alemannia nun größer denn je. Es wird tapfer gekämpft – jeden Tag wie Präsident Dr. Martin Fröhlich und Sportdirektor Thomas Hengen berichten.

 

Top: Wo stand der Verein vor Corona?

Dr. Fröhlich: Die Alemannia hat sich über die letzten zwei bis drei Jahre wirtschaftlich stabilisiert. Mit der Verpflichtung des Sportdirektors Anfang 2020 wollten wir den nächsten Schritt gehen. Das ist wegen Corona so nicht mehr möglich.

Top: Wie sieht denn so ein Training unter Corona-Bedingungen aus?

Hengen: Wir trainieren unter Vorgaben mit Abstandsregelungen, Masken, und Desinfektion. Bei Saisonstart wird es ein infrastrukturelles Problem mit den Umkleiden geben. Dazu haben auch schon Gespräche mit dem Präsidenten stattgefunden. So ist es schwierig zu planen, auch für unsere Jugend, da diese Mannschaften sich normalerweise bei uns im Stadion umziehen, was im Moment wegen der Ansteckungsgefahr nicht möglich ist.

Top: Was ist mit den Zuschauern? Kommen überhaupt noch welche?

Hengen: Zunächst einmal haben wir eine Zuschauer-Kapazität von 32 900 Sitzen im Stadion. Im Augenblick dürfen wir aber nicht einmal ein Prozent davon einlassen. Laut Corona-Verordnung sind es im Fußball im Moment 300 Leute.

Dr. Fröhlich: Das sehr detaillierte Hygienekonzept für 6000-7000 Zuschauer wäre bei unserer Infrastruktur sehr gut umsetzbar – sicherlich leichter als in kleineren Stadien in der Regionalliga. Auf Basis der aktuell bis 15.9. geltenden Rechtslage sind wir noch auf 300 Zuschauer limitiert – trotzdem haben wir bereits mehr als 1.300 Dauerkarten verkauft. Das ist ein toller Zuspruch unserer Fans. Ministerpräsident Laschet hat für Nordrhein-Westfalen nun ein Aufhebung der Grenze von 300 Zuschauern nach dem 15.9. angekündigt. Das wäre für uns enorm wichtig. Wir sind bereit.

Top: Wie entscheiden Sie denn, wer ein Spiel ansehen darf?

Hengen: Tatsächlich per Losverfahren. Es kommen täglich Hunderte von Anrufe bei uns an. Die Erklärungsnöte werden immer größer. Die Zuschauer sind nicht begeistert, dass nur 300 zugelassen werden. Wir können das auf Dauer nicht so weitermachen, die Leute per Losverfahren rein zulassen. Jeder hat ja ein Anrecht auf seinen Sport, dem er teils schon seit Jahrzehnten treu ist. Doch trotzdem stoßen wir auch auf Verständnis bei unseren treuen Fans und Sponsoren.

Top: Das heißt, es fallen bei jedem Spiel Zehntausende an Einnahmen weg. Können Sie sich unter solchen Umständen überhaupt ein Saisonziel stecken?

Hengen: Durchhalten. Weitermachen. Das muss unser Saisonziel sein. Von mittel- oder langfristigen Saisonzielen brauch ich gar nicht erst anfangen. Unter den Gegebenheiten gib es keine Ziele im gewohnten Sinn. Das muss man knallhart so sagen. Irgendwie durchkommen, die Saison halbwegs unbeschadet überstehen. Werden zwei Spieler positiv getestet, könnte es eine 14-tätige Quarantäne geben. Wie soll man unter solchen Voraussetzungen eine Strategie planen können?

Top: An welchen Stellen machen sich die finanziellen Defizite besonders schmerzlich bemerkbar?

Hengen: Das betrifft natürlich den Gesamtetat und somit auch den Sportetat. Durch die geringeren Gelder müssen wir bei den Verhandlungen mit den Spielern immer mehr Zugeständnisse machen. Sportlich interessante Spieler, suchen sich dann finanzkräftigere Vereine. So können wir natürlich auf Dauer nicht konkurrenzfähig bleiben. Auf lange Sicht müssen wir uns um Investoren Gedanken machen. Mit regionalen Sponsoren allein, wird es mehr als schwierig.

Top: Gibt es keine Hilfen von städtischer oder Landesseite?

Hengen: Bisher gibt es keine Hilfen. Auch nicht von den Verbänden. In der 3. Liga wird jetzt eine Task Force gebildet. Aber was ist eigentlich mit den Regionalligen? Unsere Stadt sollte ein Interesse daran haben – nicht nur, dass das Stadion als Immobilie weiter genutzt werden kann. Alemannia ist für Aachen auch Werbeträger. Von der Städteregion kamen positive Signale. Der DFB könnte sich etwas mehr verantwortlich fühlen.

Dr. Fröhlich: Ministerpräsident Laschet hat gerade ein Hilfspaket für den Sport angekündigt. Dafür haben wir Regionalligavereine massiv geworben. Wer von diesem Paket profitieren wird, ist aber heute noch völlig unklar.

Top: Stehen Sie im Austausch mit den Sponsoren?

Dr. Fröhlich: Es ist uns aus meiner Sicht gelungen, den durch zwei Insolvenzen erlittenen Vertrauensverlust wettzumachen. Die Sponsoren und unsere treuen Fans sind unser Rückgrat. Es ist toll, wie diese
Leute zur Alemannia stehen.

Top: Mit welchen Gefühlen blicken Sie in die sportliche Zukunft des Vereins?

Dr. Fröhlich: Wir brauchen zunächst dringend die Unterstützung der Politik, um die Corona- Zeit und die Zeit ohne Zuschauer zu überstehen. Mit unseren Fans und Sponsoren müssen wir als Alemannia-Familie zusammenstehen.

Top: Vielen Dank für das Gespräch – das Top Magazin drückt Alemannia Aachen alle Daumen, dass es weiterhin einen langen Atem behält unter diesen widrigen Umständen!

 

Artikel von www.top-magazin.de/aachen