Simply the best – Hauschka und sein Weg zum Oscar
Suche

Simply the best – Hauschka und sein Weg zum Oscar

Hauschka, puristisch fotografiert von Ralf Schultheiß, kurz vor seinem Auftritt in der Heilig-Kreuz-Kirche in Gelsenkirchen, im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr.

Simply the best – Hauschka und sein Weg zum Oscar

Dafür hat der Künstler das Thema KI mit Einsatz von KI visualisiert: Wie ein Mosaik ist aus 13.000 virtuellen Affenköpfen Michelangelos „Die Erschaffung Adams“ entstanden. Mit einem Smartphone kann man es interaktiv zum Leben erwecken. Auf der Rückseite wird „Demokratie“ thematisiert. Mit Schiffscontainern wurde das Brandenburge„Wie der Oscarpreisträger Volker Bertelmann (Hauschka) sein inneres Klangbild fand – und warum ein Bierdeckel am Klavier manchmal mehr sagt als tausend Worte.“ Unser Interview gibt Einblicke in den Lebensweg des mehrfach hochdekorierten Künstlers, der sich stets von seiner inneren Uhr leiten ließ. Mit Erfolg!r Tor nachgebaut und hat auf Zollverein seinen vierten Auftritt nach Frankfurt, Hamburg und Dubai. Ich treffe den – im wahrsten Sinne des Wortes – bunten Künstler in seiner Galerie im Düsseldorfer Medienhafen zu einem Gespräch über ihn und seine Kunst.

Hauschka ist beruflich und menschlich angekommen. Ein Mann, der seine Passion und Bestimmung trotz widriger Umstände nie aus den Augen verloren hat.

Volker, Glückwunsch zum Oscar für „Im Westen nichts Neues“. Ich glaube, das ist die dritte Verfilmung – und sicher nicht dein erster großer Erfolg. Ich habe gelesen, dass du bereits vorher viele andere musikalische Erfolge feiern konntest. Aber ich würde gern ganz vorne anfangen, damit wir besser verstehen, was dich geprägt hat. Kannst du dich an den Moment erinnern, in dem du wusstest: Musik – das ist meine Zukunft?
Ich komme aus einem kirchlichen Elternhaus. Mein Vater war Vorsitzender der Gemeinde, man könnte sagen: Teilzeitprediger. Wir saßen oft in der Kirche – und eines Tages spielte ein Pianist Chopin. Ich war vielleicht neun. Und diese Musik hat mich so tief berührt, dass ich direkt zu meiner Mutter sagte: „Ich möchte Klavier spielen. Und ich will bei genau diesem Mann Unterricht nehmen.“
Sie antwortete, wir hätten kein Klavier und auch kein Geld. Aber meine Großtante – sie hatte mehrere Instrumente – schenkte uns ihr ältestes Klavier. Und so fing ich mit neun Jahren an, Klavierunterricht zu nehmen. Zehn Jahre lang.
Und du bist trotzdem erstmal nicht direkt Musiker geworden?

Nein. Ich bin weiterhin zur Schule gegangen. Mein Vater war neben seiner kirchlichen Arbeit Manager bei Hösch, einem großen Stahlunternehmen. Entsprechend war meine Erziehung geprägt von dem Gedanken, etwas „Ordentliches“ zu machen. Als ich dann irgendwann andeutete, dass ich mir vorstellen könnte, Musik zu meinem Beruf zu machen, hieß es eher skeptisch: „Sinn?“ Also habe ich Medizin studiert. Ich hatte immer das Gefühl, etwas Soziales machen zu wollen. Aber im Lauf des Studiums merkte ich: Das ist es nicht. Ich hatte das Gefühl, dass vieles doch sehr geldgetrieben war. Sicher, es gab Kommilitonen mit Idealismus – aber mein Weg war das nicht. Ich bin dann von Köln nach Düsseldorf gezogen und habe dort BWL studiert. Mathe hat mir immer gelegen, ich mochte Struktur und Logik. Im Nachhinein war das ein Segen. Ich habe während des Studiums vieles gelernt, was mir später als Musiker half – Budgetplanung, Verträge, Eigenorganisation. Ich bin dadurch heute geschäftlich sehr autark aufgestellt und brauche keinen Manager, der mir das Geschäft erklärt.
Gab es musikalisch schon frühe Erfolgserlebnisse?
Ja, mit zwölf habe ich meine ersten Stücke geschrieben. Mit 18 dann die Musik für eine Folge der Krimiserie „Ein Fall für Zwei“. Und auch, wenn das nur eine Folge war, war das ein erster Schritt. Ich war auch in Bands, habe Keyboard gespielt. Aber ich fühlte mich nie wie jemand, der es wirklich schaffen kann – zu groß war diese innere Stimme: „Bleib mal auf dem Teppich, Junge.“ Das Siegerland erzieht einen eher zur Bescheidenheit.
Wann kam der erste richtige Durchbruch?
Mit 24. Ich hatte Erfolg mit einer Band. Das war beeindruckend – das erste Mal Popzirkus, große Bühnen. Und ich dachte: Vielleicht werde ich Popstar. Aber bald merkte ich: Das will ich gar nicht. Mich interessiert dieses Vordergründige nicht. Charts, Hypes – das ist nicht meine Welt. Zudem wurden meine Töchter geboren, und ich habe bewusst gesagt: Ich will nicht auf Tour sein, bevor sie nicht zehn Jahre alt sind. Ich wollte präsent sein, mit ihnen Zeit verbringen. In dieser Zeit habe ich Klavierunterricht gegeben – für ältere Menschen in einer Musikschule in Hochdahl bei Düsseldorf. 
Das hört sich wie eine 180°-Wende an. Wie hat sich das für dich angefühlt?
Natürlich war das ein krasser Realitätsabgleich: erst auf Tour mit Sony Music und Red Hot Chili Peppers, dann Unterricht in einem Vorort. Aber es war wichtig, denn diese Phase hat die innerliche Orientierung, dass ich wieder Musik machen muss und in welcher Art und Richtung dies geschehen könnte, reifen lassen.
Dieses Mal so, dass ich zuließ, dass die Musik nur aus meinem Inneren herauskommen konnte. Ohne Kompromisse. Das führte zu einer radikalen Neuausrichtung. Ich habe mich von der Pop- und Bandwelt verabschiedet und mich elektronischer Musik zugewandt. Ich hatte früh Synthesizer und liebte diese haptischen, atmosphärischen Klänge.
Die du dann wie mit dem Klavier in „Einklang“ bringen konntest?
Ich wollte die elektronischen Elemente ins Klavier bringen – aber zunächst ohne Technik. Kein Laptop, keine Kabel. Ich wollte im Radio einfach losspielen können. Also habe ich angefangen, Bierkronkorken auf die Saiten zu kleben, Filzkeile einzubauen, Schrauben, Gummis. Ich habe herausgefunden: Das Klavier ist nicht nur ein Tasteninstrument – es ist auch ein Saiten- und Schlaginstrument. Jeder Millimeter, den du ein Objekt verschiebst, verändert den Klang. So hatte ich plötzlich 80 verschiedene Klänge. Ich spielte auf Festivals, wo junge Leute zu elektronischer Musik tanzten – und plötzlich tanzten sie zu meinem Klavier. Der Guardian nannte uns später „die sieben Pianisten des Neoclassical Movements“. Ein Label, das es so eigentlich gar nicht gab – aber es beschrieb eine neue Aufmerksamkeit für Klaviermusik abseits der Klassik.
Wann hattest du das Gefühl: Jetzt kann ich von der Musik leben?
So ab 2010, 2011. Ich bekam Einladungen nach New York, Los Angeles – die Säle waren voll. Ich war 100 Konzerte im Jahr unterwegs. Die Plattenverkäufe waren schön, aber davon konnte ich nicht leben. Es waren die Konzerte.
Und dann kam „Lion“ – dein erster großer Filmerfolg.
Ja, 2016. Dustin O’Halloran, ein befreundeter Komponist, war bereits im Projekt und hat mich hinzugenommen. Wir haben den Film gemacht – und plötzlich ging er durch die Decke. Toronto, Oscar-Buzz, Nominierungen überall. Dustin und ich beschlossen: Wir gehen auf alle Partys, alle Events. Um zu wissen, was lohnt sich – und was nicht.
Und dann kam 2023 tatsächlich der Oscar.
Beim ersten Mal, bei „Lion“, hatte ich nicht gewonnen. Man sagt ja: Nominiert zu sein, ist schon ein Gewinn. Aber wenn du vorbereitet bist, deine Rede im Kopf hast, dein ganzer Körper voller Adrenalin ist – dann ist es doch hart, wenn dein Name nicht fällt. Beim zweiten Mal – „Im Westen nichts Neues“ – hatte ich mehr Erfahrung. Als mein Name genannt wurde, war es wie ein Tunnel. Zum Glück hatte ich monatelang geübt. Und danach? Freude, Dankbarkeit, aber auch direkt die Frage: Was kommt jetzt? Weiterarbeiten. Nicht abheben.
Die Musik für den Film hast du auf einem Harmonium deiner Urgroßmutter komponiert?
Ja. Ich habe das Instrument restauriert. In christlichen Häusern war das früher der Orgelersatz. Es hat einen unglaublich tiefen, warmen Bass. Es roch nach Kindheit, nach den Häusern meiner Großeltern. Ich habe damit ein dreitöniges Motiv aufgenommen – und es dem Regisseur geschickt. Völlig gegen die Regel. Normalerweise schickt man Skizzen, Demos. Aber ich war sicher: Das ist es. Am nächsten Tag rief er an und sagte: „Das ist wie Led Zeppelin. Großartig.“ Seitdem arbeiten wir zusammen – das war unser sechster Film.

Hauschka gut gelaunt und Daniel Boden, begeistert von der Nahbarkeit des Stars, nach dem Interview.


Und jetzt bist du beim Klavier-Festival Ruhr – früher sehr klassisch geprägt. Wie kam es dazu?
Die neue Intendantin Katrin Zagrosek bringt eine neue Offenheit mit. Heute steht dort alles nebeneinander: klassischer Virtuose, Singer-Songwriter, Improvisation. Und das ist wichtig. Beethoven lebte in einer Zeit, da brauchte ein Brief Wochen. Heute fliegt eine Nachricht in zwei Sekunden über den Globus. Musik muss sich weiterentwickeln. Zu dem neuen offenen Konzept passt meine Art, Musik zu machen, ideal.
Du könntest längst in LA leben. Warum bleibst du in Düsseldorf?
Ich habe viele Freunde in LA. Auf Dauer ist es für mich, bzw. für meine Inspiration, Musik zu gestalten, zu industriell. Zu sehr Blase. Ich brauche Regen, Wald, ein Sofa. Ich werde hier kreativ – nicht im Limousinenstress. Technik kannst du überall machen lassen. Aber das Gefühl für einen Film, das kommt aus deinem Inneren, das ich hier erkunden und umwandeln kann. Das kann keine KI ersetzen.
Gibt es etwas, das dir so viel bedeutet wie der Oscar?
Natürlich. Familie. Liebe. Menschlichkeit. Persönliches Glück. Ich habe ein altes Poesiealbum – da steht ein Spruch: Wenn du geboren wirst, lachen alle – und du weinst. Lebe so, dass, wenn du gehst, alle weinen – und du lächelst. Das ist für mich essenziell.
Spielt Spiritualität für dich eine Rolle?
Ja, sehr. Ich bin mit christlichen Werten aufgewachsen – das hat mich geprägt. Aber ich habe auch viel aus dem Buddhismus mitgenommen. Besonders Achtsamkeit, Mitgefühl, innere Ruhe. Für mich ist Religion keine Dogmatik, sondern eine Haltung. Das Leben ist kurz – und wir sollten es sinnvoll gestalten. Liebe geben. Verantwortung übernehmen. Und etwas zurücklassen, was anderen gut tut.

top magazin Ruhr Herbst 2025
Redakteur: Daniel Boden
Fotograf: Ralf Schultheiß

Hauschka, puristisch fotografiert von Ralf Schultheiß, kurz vor seinem Auftritt in der Heilig-Kreuz-Kirche in Gelsenkirchen, im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr.