
Giulia Wahn ist Sängerin, Eventprofi und Mitgründerin des Labels Aura – einer Plattform, die die Ravekultur an Orte bringt, wo sie niemand vermutet: ins Iglu, in den Friseursalon, zu McDonald’s. Im Interview spricht die umtriebige Visionärin über ihren musikalischen Ursprung, virale Erfolge, kreative Freiheit und die Verantwortung, Kultur für alle zugänglich zu machen. Ein Gespräch über Beats, Balance und das Brennen für Veränderung.
Giulia, du bist als Sängerin bekannt – inzwischen aber auch als Mitgründerin von Aura, einem Label, das die Rave-Kultur an ungewöhnliche Orte bringt. Was war zuerst da: die Liebe zur Musik oder die Lust, Räume neu zu denken?
Ganz klar: Die Liebe zur Musik kam zuerst. Ich bin in einer sehr musikalischen Familie aufgewachsen. Schon als Kind habe ich Jazzmusik gehört und im Kinderchor gesungen. Mein Vater ist Innenarchitekt im Messebau – und auch das hat mich stark geprägt. Diese beiden Welten – Musik und Raumgestaltung – haben meine kreative Entwicklung von Anfang an begleitet.
Was inspiriert dich – musikalisch wie konzeptuell?
Musik ist mein Antrieb. Sobald ich einen Song höre, der in mir Bilder auslöst, geht es los. Musik setzt in mir eine unglaubliche Kraft frei – sie bringt mich zum Träumen, zum Visionieren. Und meistens ist es dann nur ein kleiner Schritt zur Umsetzung. Ich kann das schwer erklären – aber Musik ist mein stärkstes Inspirationsmittel.
Du hast in TV-Shows performt und weltweit auf Bühnen gestanden. Wie hat sich dein kreativer Weg entwickelt bis hin zu Aura?
2012 wurde ich von „The Voice“ kontaktiert. Ich habe mich darauf eingelassen, kam unter die letzten 16. Ab da begann mein Weg auf internationalen Bühnen: Ich stand als Live-Act neben großen DJs, sang im Background für Stars wie Max Giesinger oder Sarah Connor und war als Moderatorin im Einsatz. 2019 war ich beim Eurovision Song Contest in Tel Aviv – als Backgroundsängerin für San Marino. Es war ein unvergessliches Erlebnis. Gleichzeitig eine paradoxe Situation: Während wir in Tel Aviv in einer liebevollen, ausgelassenen Bubble voller Fans waren, hörten wir – je nach Windrichtung – die Schüsse vom Gazastreifen. Das war sehr bewegend.
Erinnerst du dich noch an den Moment, an dem die Idee zu Aura konkret wurde?
Ja, sehr gut sogar. Ich habe damals auf Social Media beobachtet, wie Pop-up-Events in ganz Europa entstanden. Da bekam ich eine Nachricht von Claudio Hoffmann, dem DJ MBP, der die gleiche Vision hatte. Im November 2024 besuchte er mich mit Nils Ottmann, einem professionellen Soundingenieur, in Münster. Wir sprachen darüber, wie man aus dieser gemeinsamen Leidenschaft ein tragfähiges Geschäftsmodell machen könnte.
Aura organisiert Raves an Orten, an denen man keine Party erwartet. Was reizt euch gerade an diesen untypischen Locations?
Ich habe mir irgendwann die Frage gestellt: Wo würde man einen Rave am allerwenigsten erwarten? Und genau da wollten wir hin. Wir lieben es, Menschen zu überraschen. Alles, was als „normal“ gilt, haben wir von vornherein ausgeschlossen – so kamen wir auf die verrücktesten Ideen: Raves in einem Schuhladen, einem Tattoostudio, einem Friseursalon. Oder eben bei McDonald's in Essen Katernberg …
Der Rave bei McDonald's war ein Statement – spontan, mutig, sichtbar. Wie kam es zu dieser Aktion?
Marcus Prünte, den Inhaber vieler McDonald´s-Standorte, kenne ich schon seit einigen Jahren. Ich habe einmal auf einer seiner Weihnachtsfeiern gesungen – seitdem stehen wir in Kontakt. Für Aura suche ich nicht nur abgefahrene Locations, sondern auch Menschen, die diesen Spirit leben. Marcus hat das schnell verstanden und war sofort dabei. So ist der McRave entstanden. Der große virale Erfolg hat uns auch überrascht – mittlerweile über zwei Millionen TikTok-Klicks und über 300.000 Instagram-Views.
Gibt es ein übergeordnetes Ziel oder eine Botschaft, die ihr mit euren Veranstaltungen transportieren wollt?
Mein Hauptziel ist es immer, Menschen eine gute Zeit zu ermöglichen – unabhängig von Alter oder Hintergrund. Ich möchte auch denen eine Ausgehmöglichkeit bieten, die sonst vielleicht keinen Zugang zu solchen Events haben – etwa Menschen aus der Generation meiner Eltern. Gleichzeitig ist mir Kulturförderung ein wichtiges Anliegen. Musik ist Kunst, Musik ist essenziell. Gerade in der Corona-Zeit wurde uns Künstler*innen oft das Gegenteil suggeriert. Doch Musik verbindet, sie schafft Erinnerungen und einzigartige Momente, die ein Leben lang bleiben.
Was bedeutet „Rave“ für dich heute – politisches Statement, Lifestyle oder künstlerische Ausdrucksform?
Für mich ist Rave viel mehr als nur ein Trendbegriff. Ich habe die Love Parade und die Technobewegung als junges Mädchen am Rande miterlebt – damals habe ich es noch nicht ganz verstanden. Heute sehe ich: Rave ist eine Bewegung, eine Community. Es geht um Freiheit, Individualität, das Vergessen von Zeit und Normen. Es ist ein künstlerischer Ausdruck, eine Lebensphilosophie.
Du bist Sängerin, Veranstalterin, kreativer Kopf – wie bringst du all diese Rollen unter einen Hut?
Gute Frage – manchmal weiß ich es selbst nicht genau. Mein Leben besteht aus zwei Extremen: auf der einen Seite die Bühne, das Rampenlicht, Glitzer, Extrovertiertheit und Entertainment pur. Und auf der anderen Seite brauche ich totale Ruhe: barfuß durch den Wald, meine Tiere, mein Häuschen im Grünen. Nur so kann ich die Balance zwischen diesen beiden Welten halten – seelisch und körperlich.
Gab es auf deinem bisherigen Weg Rückschläge oder Zweifel, die dich geprägt haben?
Ja, vor allem im TV-Business. Ich habe vieles erlebt, was ich niemandem wünsche: geskriptete Castingshows, inszenierte Konflikte, Knebelverträge, sogar Morddrohungen über Social Media. Das hat mich stark geprägt – und letztlich auch davon abgehalten, eigene Musik zu veröffentlichen. Die Angst vor erneuter, übertriebener Kritik war einfach zu groß.
Was würdest du deinem jüngeren Ich sagen, wenn du heute zurückblickst?
Ich würde sagen: Sei nicht so hart zu dir selbst. Ich war – und bin es bis heute – mein größter Kritiker.
Titelbild: Musik ist ihr stärkstes Inspirationsmittel. Giulia ist ein Multitalent. Umtriebig, kreativ und zielstrebig. Ralf Schultheiß und Daniel Boden treffen sie im Sheraton Essen Hotel.Ein Fotoshooting auf Formentera mit Ralf Schultheiß für TOP RUHR zeigt die Verbindung von Frauen, für die Mode ihre Berufung ist: Melissa Sayin präsentiert Mode, alle Stücke ausgewählt durch Kristina Jürgensen von loui.rocks. Hier ein eleganter Sommerlook mit Aussicht (JW Anderson Kleid).