Bodensee

Lindauer Segelclub: Männerschiff siegt in Frauenhand

Der Wind hat gedreht: Neun Seglerinnen dringen in eine Männerdomäne ein und gewinnen auf einem Traditionsschiff die größte Regatta am Bodensee.


Das Flaggschiff vom Lindauer Segelclub war Männersache

Die „Bayern II“, seit 1936 das Flaggschiff vom Lindauer Segelclub, war immer Männersache. Bis Marie-Therese Bach als erste Frau in der Geschichte der 105 Jahre alten 8mR-Yacht speziell für dieses Schiff das „Bayern-Patent“ erwarb und mit einer Frauencrew den Herrenseglern das Heck zeigte. Eine Reportage zum Überraschungssieg der „Rund um“ 2016, geschrieben und fotografiert von Crew-Mitglied Anette Bengelsdorf.

Eigentlich wollen wir uns umziehen, uns ganz segeltechnisch mit Fleeceunterwäsche und Ölzeug gegen Kälte und Regen rüsten. Aber die Damencrew der „Bayern II“ ist die gefühlte Sensation der Rund um, der größten Regatta am Bodensee. Wie bei einem Fotoshooting für ein Modemagazin, einmal im weißen Crew-Shirt, dann mit der blauen Jacke vom Sponsor, werden wir im Lindauer Segelhafen von allen Seiten fotografiert. Auch von hinten: „Lehnt Euch doch mal alle an den Großbaum und jetzt noch zu mir nach hinten schauen, weiter – ja, super!“ ruft Robby Nitsche vom Lindauer Segelclub (LSC): So kann man den Schriftzug BAYERN II auf den weißen Polos lesen.

„Die Idee einer reinen Damencrew kam uns bei der Siegerehrung der letzten Rund um“, erzählt Angelika Kasten. Eine achtköpfige Crew wurde zusammengestellt; Resi Bach musste selbstverständlich steuern. Doch viel Zeit zum Trainieren blieb den berufstätigen Frauen und den Studentinnen nicht. Wer konnte, kam zur Mittwochsregatta, abends vor dem Club. Dominique Tanner, eine erfahrene Lacustre-Seglerin aus Winterthur, war vorher nie dabei. Resi Bach brachte die Erfahrung von unzähligen internationalen 8mR-Regatten und Weltmeisterschaften mit.

Portwein für den Gott der Winde

Als wir endlich unter Segeln auf der Startbahn sind, erweist sich das Ölzeug als Segen. Es beginnt zu regnen und der Himmel im Südwesten verspricht nichts Besseres. Frank Bandle, erfahrener Wettermacher, hatte schon vor der Regatta vor dem „barometrischen Sumpf“ gewarnt. Der macht sich breit, wenn großflächig identischer Luftdruck herrscht. Keine Gewittergefahr für den Bodensee also, doch wo bleibt dann der Wind? Das tiefschwarze Wolkenknäuel im Westen sieht trotzdem wie eine Gewitterzelle aus. Vielleicht ist ja eine im „Sumpf“ stecken geblieben. Wir behalten sie im Blick und Resi gibt ihr Bestes. Den erste Schluck Portwein kippt sie in den See, und mit den Worten „Rasmus, altes Rübenschwein, schenk uns Wind und Sonnenschein“, bittet sie den Gott des Windes ganz traditionell um Unterstützung. Und das klappt eigentlich immer.

Startposition geschickt gewählt

Um 19.25 Uhr knallt auf dem Startschiff der Vorbereitungsschuss und Resi Bach bleibt dicht am deutschen Ufer. „In das Gewühle vor der Rheinmündung gehe ich nicht“, sagt sie und der Erfolg gibt ihr Recht. Beim Startschusspunkt 19.30 Uhr haben wir freien Wind und freie Fahrt und lassen das Regattafeld schnell hinter uns. Wir segeln direkt auf Romanshorn zu, denn dort liegt die erste Wendemarke, die wir auf unserem langen Weg um den See runden müssen. Ganz überraschend macht die Wolke über uns eine kurze Pause, dafür entleert sich eine andere sintflutartig über Wasserburg und lässt es hinter einer Wassergardine verschwinden. Lotti, mit 20 Jahren die Jüngste im Team, hat schon jetzt nasse Füße und zieht als Erste die unbeliebten Gummistiefel an.

Eingespielte „Frauschaft“ an Bord

Der Wind dreht auf Süden, lässt spürbar nach, und die ganze „Frauschaft“ bereitet den Vorsegelwechsel vor. Klüver und Stagsegel müssen abgeschlagen und der sogenannte Ballon, eine große Genua, soll gesetzt werden. Erbarmungslos bietet das „schwimmende Kulturgut“ nur Technik von 1911. Furchtlos turnt Heike Daschner beim Anschlagen des Segels draußen auf dem Bugspriet herum. Die 48-Jährige, seit 20 Jahren Mitglied im LSC, war schon früher mit einer Damencrew unterwegs. „Da musste ich dieses Jahr unbedingt dabei sein“, sagt sie mit einem Leuchten in den Augen.

Hinter uns werden die Spinnaker gesetzt. Fröhliche bunte Punkte nehmen der dunklen Drohkulisse ein wenig den Ernst und verzieren die weiße Wolkenwalze, die regungslos vor dem Rheintal liegt. Die Vorschiffsfrauen ziehen mit ihrer ganzen Kraft den Ballon hoch. Damit laufe die Bayern auf diesem Kurs schneller als mit dem Spinnaker, sagt Resi. „Hallo Bayern“, ruft plötzlich eine Lautsprecherstimme hinter uns: Der Kapitän des Motorschiff s „Bayern“ begrüßt uns; wir winken und freuen uns über seine nette Geste.

Taktikerin an der Pinne

Eine Stunde nach dem Start gibt Resi das Kommando zum Topsegelsetzen. „Lotti, Du machst jetzt die Topschot“, sagt sie zu der zwanzigjährigen Studentin, die erst seit drei Jahren segelt und hochmotiviert dabei ist. Sie selber hilft bei diesem komplizierten Manöver, bei dem ein großes, auf der Spitze stehendes Dreieck in das Masttopp gezogen wird, und übergibt die Pinne an die Taktikerin Christine Heym. Sie weiß die schwere Holzyacht zu steuern und kennt jedes Manöver an Bord. Auch sie überlegt sich, das „Bayern-Patent“ zu machen. Das Zeug dazu hätte sie. 15 Minuten später ist das Topsegel oben und der Turbo springt an.

Bloß kein Senf an Bord!

„Möchtest Du ein Fleischpflanzerl oder ein Chicken Nugget zum Abendessen?“ fragt Angelika Kasten. Senf gibt es keinen. „Der macht eine riesige Schweinerei und man kann darauf ausrutschen“, erklärt die Chefi n. Auch damit hat sie offenbar Erfahrung. Aber mit Paprika, Gurken, Karotten, Tomaten und belegten Brötchen vermisst wohl keiner den Senf. Ein wenig vor uns sehen wir die beiden 8mR-Yachten „Elfe“ und „Anne-Sophie“ unter dem Schweizer Ufer und die Wetter-App von Christine zeigt eine Gewitterzelle, die sich tatsächlich an die Wettervorhersage hält und nach Nordosten zieht. Richtung Südwesten fahren wir ihr auf und davon und nähern uns unseren Konkurrenten.

Die Jungs versuchen‘s mal…

Es regnet in Strömen und die Zeit für Gummistiefel und trockene Socken ist endgültig gekommen. „Jungs, ihr wisst schon, wo die Tonne Romanshorn ist“, ruft Resi der Mannschaft einer Yacht mit knallrotem Spinnaker zu, die uns bedrohlich näher kommt. „Dann fallt mal zehn Grad ab“! Die Jungs entscheiden sich dafür, doch besser hinter uns anzuluven. Versuchen kann man es ja mal. Vielleicht kennen Frauen ja die Regeln nicht. Der Wind nimmt etwas zu, um 22.14 Uhr runden wir die Tonne und nehmen im Dauerregen Kurs auf Konstanz zur Boje, die vor dem Eichhorn liegt.

Bei diesen Wetterverhältnissen graust es uns vor dem Überlinger See. Spätestens um 19 Uhr, vielleicht aus Gründen der Sparsamkeit, wird dort, und das weiß jeder Segler, „der Wind abgeschaltet“. Wir hoff en auf die Gnade der Wettfahrtleitung. Wie die Teilnehmer zum kleinen blauen Band, wollen wir vom Eichhorn aus direkt zurück nach Lindau segeln. Aber aus der Bahnabkürzung wird es nichts. Um 0.13 Uhr runden wir die Tonne Eichhorn und nehmen widerwillig Kurs auf Überlingen.

Nass bis auf die letzten Socken

Kaum zu glauben, aber die Wassermengen, die von oben kommen, sind noch steigerungsfähig. Manches Ölzeug hat bereits total versagt. Bis zu drei Garnituren stecken in den wasserdichten Taschen der erfahrenen Seglerinnen unter Deck, verkeilt hinter dem Leesegel auf Backbord. Das Skylight hat Resi zum Glück auf der Kajüte gelassen. Das bisschen Gewicht spiele keine Rolle, sei lächerlich, hat sie gesagt. Trotzdem muss man sich zum Umziehen auf ein Kissen stellen.

Auch mit Dach ist es hier unten patschnass und wenn man Pech hat, ist es das letzte Paar Socken auch. Dicht unter Land passieren wir die Insel Mainau und staunen über das unberechenbare Böenspiel um uns herum. Eine Yacht, eben noch an uns vorbeigefahren, klebt plötzlich im schwarzen Wasser fest. Dann werden wir beschleunigt, um kurz darauf wieder im „Sumpf“ zu stecken. Gespenstisch wirkt das Schauspiel in der dunklen, mondlosen Nacht. Um 2.41 Uhr runden wir die Tonne Überlingen, vor „Elfe“ und „Anne-Sophie“. Nur die riesige HOC zieht frech an uns vorbei. Resi steuert hinaus aus dem Überlinger See und bereits kurz nach fünf sehen wir im noch farblosen Morgenlicht Hagnau quer ab.

Liegestützen unter Deck

Dort, dicht unter Land, scheinen die Yachten nicht richtig voranzukommen und fröhlich segeln wir etwas weiter draußen an ihnen vorbei. Resi wird zum ersten Mal müde und die 23-jährige angehende Bauingenieurin greift als Gegenmaßnahme zu ein paar Liegestützen unter Deck. Da bleibe ich doch lieber bei einem starken Kaff ee. So aufgeputscht fahren wir mit Backstagbrise am Achter „Frøya“ vorbei. Auf zum Endspurt Richtung Rheinmündung. Der Wind legt zu, drei Frauen schickt Resi nach Luv, die Yacht richtet sich etwas auf und der Abstand zu „Frøya“ wird größer.

Vorsichtig wie Gazellen

Wir fahren an Langenargen vorbei. Ganz bewusst nicht unter Land. Hier draußen ist der Wind nach wie vor deutlich gleichmäßiger. Vorsichtig, wie Gazellen, bewegen wir uns an Deck. Wir wollen die Strömung im Segel nicht stören. In den frisch verschneiten Bergen hängen die Wolken bis hinunter aufs Wasser, es ist bitter kalt. Steif gefroren, mit drei Schichten Kleidung, Skimütze, Schwimmweste und Knieschonern sitzen wir wie festgenagelt in Lee und krängen die Yacht. Endlich kommt die Insel näher. Almut Störr, Heike, Lotti und Dominique liegen jetzt fl ach in Lee. Die anderen verstecken sich hinter der Kajüte. Der Wind schläft ein und wir wollen ihm keinen unnötigen Widerstand bieten.

Träume von einem heißen Bad…

„Wenn wir tatsächlich der erste Achter im Ziel sein sollten, dann wird gefeiert“, sagt Resi strahlend. Über uns macht die Wolkendecke ein Schiebeluk auf und wir sehen zum ersten Mal wieder ein Stück blauen Himmel. Zögerlich kommt sogar die Sonne durch und trocknet das Deck. „Alter, wir haben die HOC abgehängt!“ ruft da Christine – und so langsam macht sich statt Müdigkeit eine euphorische Stimmung breit. Wir träumen von Frühstück, einer heißen Badewanne, selbst Sauna kommt ins Gespräch. Doch so schnell geht das nicht. 9.20 Uhr – der Wind ist gegen uns und wir erreichen das Glockenschlagwerk nicht, die letzte Bahnmarke vor dem Ziel. Wir müssen noch ein paar Mal wenden und der Wind schläft ein, das Ziel vor Augen. Erst um 10.06 Uhr lassen wir es regelkonform an Backbord liegen. Dann, um 10.13 Uhr, als närrische 111. Yacht, fahren wir über die Ziellinie. „Wir wollten doch einfach nur heil ankommen, nichts kaputt machen und die Regatta ordentlich hinter uns bringen. Niemals haben wir geglaubt, dass wir gewinnen würden“, sagt Christine.

Erster von fünf Achtern!

Der Korken knallt, jubelnd liegen wir uns in den Armen und trinken auf leeren Magen köstlichen, rosarot schäumenden Champagner aus der Flasche. Die „Bayern“ hat es als erste von fünf Achtern geschafft. Um 11.30 Uhr, mehr als eine Stunde später, kommt als zweiter Achter die „Elfe“ mit DSV-Präsident Andreas Lochbrunner ins Ziel.

Eine noble Einladung

Begeistert von der Leistung der Damen, lädt Andreas Lochbrunner die „Bayern“-Crew zur Europameisterschaft im August nach Kopenhagen ein. „Das haben sich die Damen mehr als verdient“, sagt er und möchte ihnen Bootstransport und Meldegeld bezahlen. Doch die Zeit ist knapp. „Wir müssen das Projekt leider verschieben“, sagt dazu Resi Bach – bei aller Freude über das großzügige Angebot: „Wir haben nicht mehr die Zeit zu trainieren und uns richtig vorzubereiten.“ Doch es ist ein Ansporn für die Damencrew, beim Heimspiel dabei zu sein: 2018 findet der World Cup der 8mR-Yachten auf dem Bodensee vor Langenargen statt.

Annette Bengelsdorf…

…gilt als eine der profiliertesten Wassersport- und Reise-Journalistinnen in Süddeutschland. Die studierte deutschlehrerin und gelernte Segelmacherin schreibt für Fachmagazine, Bootssport-Medien sowie für Tageszeitungen und Buchverlage. die leidenschaftlicheseglerin lebt und arbeitet in Friedrichshafenseemoos.

Die Frauen der „Bayern II“:

Das Team vom Lindauer Segelclub: Marie-Therese „Resi“ Bach (skipperin), Christine Heym (Steuerfrau), Angelika Kasten, Dominique Tanner, Susanne Hogl, Charlotte Schlett, Almut stör, Heike Daschner und Annette Bengelsdorf


Die „Bayern II“…
…steht seit 1936 sinnbildlich für die Tradition und Kameradschaft im Lindauer Segelclub. Eine ihrer Besonderheiten ist, dass sie komplett mit Muskelkraft bedient wird: Es gibt keine Winschen an Bord der 1906 gebauten Yacht. Das macht das Segeln auf ihr sehr ursprünglich und verlangt viel Gefühl für den Wind. Sie hat keinen Motor, was das Einfahren in den Hafen und das Anlegen zur Herausforderung macht. Für die „Bayern II“ muss man deshalb extra ein LSC-internes Patent absolvieren, das „Bayern-Patent“. Marie-Therese Bach ist die erste Frau in der Geschichte des LSC, die dieses Patent führt. Das gilt in Lindau als Auszeichnung: „Wer die Bayern segeln kann, kann alles segeln“, sagt Achim Holz vom LSC, Wettkampfl eiter der „Rund um“.

Artikel von www.top-magazin.de/bodensee