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Betriebliches Gesundheitsmanagement

Prof. Dr. Axel Olaf Kern: „Betriebliches Gesundheitsmanagement zählt essenziell zum Employer Branding“


Betriebliches Gesundheitsmanagement als regionaler Standortfaktor

Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) wirkt weit über die Gesundheit der Belegschaft und das Produktionsergebnis hinaus: In Sachen „Employer Branding“ wirkt BGM als positive Marke auch in Bezug auf den Arbeitsmarkt. Das Top Magazin sprach mit Prof. Dr. Axel Olaf Kern von der Hochschule Ravensburg-Weingarten über die Chancen, die BGM für die Unternehmen in der Region bietet, die nach hoch qualifizierten Fachkräften suchen.

Top: Herr Professor Kern, inwiefern macht Betriebliches Gesundheitsmanagement ein Unternehmen reizvoller auf dem Arbeitsmarkt?

Prof. Dr. rer. pol. Axel Olaf Kern: Zunächst gilt: Wer zufrieden ist, bleibt. Und das spricht sich herum, besonders in der digitalen Welt. Im Sinne eines wirkungsvollen „Employer Branding“ wirkt sich das auf die Mitarbeitergewinnung maßgeblich aus. Die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens, das von der Kultur des Gesundheitsmanagements geprägt ist, wird in den „quality-competitive markets“ deutlich verbessert und erhöht sein. Und gerade diese Fernwirkung ist heute einer der Faktoren, die ein topp Recruiting für alle Fachebenen erfordert. Zufriedenheit strahlt aus und wirkt einladend für die Leute, die gut und wechselbereit sind.
Top: Dann gehört Betriebliches Gesundheitsmanagement zu jenen „weichen Standortfaktoren“, die heute oft mehr zählen als die Gehaltsprognose?

Prof. Dr. rer. pol. Axel Olaf Kern: Die „jüngere“ Generation ist weitaus mehr darauf aus, sich ihr Lebens- und Arbeits-Modell systematisch zu organisieren. Und so spielt es eine wesentliche Rolle, wie sie das Unternehmen wahrnehmen, auch in Bezug auf „mit-seinen-Bedürfnissen-ernst-genommen-zu-werden“. Hierzu zählen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ebenso wie die aktiven Angebote im Gesundheitsbereich und auch, wie das Unternehmen hinsichtlich Mitarbeiterführung auftritt. Unternehmen mit einem klaren Profil profitieren, da sich die zu ihm passenden Mitarbeiter melden und so auch erhebliche „Einstellungskosten“ vermeiden helfen, die eine langwierige Suche verursacht.
Top: Welches Gewicht hat BGM jetzt schon bei Fach- und Führungskräften, wenn sie sich für eine Stelle entscheiden?

Prof. Dr. rer. pol. Axel Olaf Kern: Das ist so hoch, dass man eigentlich inzwischen sagen müsste, dass die Unternehmen die Bewerber sind. Sie bewerben sich bei den potenziellen Mitarbeitern darum, dass diese sich für das Unternehmen entscheiden. Zukünftig muss in strengem Marketingsinne das Unternehmen sich als „Arbeitnehmer“ sehen und seine Arbeitsplätze so attraktiv gestalten, dass sich Mitarbeiter für sie entscheiden. Das ist die eigentliche Neuerung, die wir mit unseren Partner erarbeiten: Gestalten Sie die Arbeitsplätze so, dass diese den Vorstellungen und Ansprüchen der zukünftigen Mitarbeiter, die Sie schließlich für sich, für Ihr Unternehmen gewinnen möchten, bestmöglich entsprechen. So ist es unerlässlich, die „target group“ zu erkennen, besser zu verstehen und gezielt anzusprechen, noch lange bevor diese sich selbst um ihre Anstellung bei Ihnen bemühen werden.
Top: Gilt das nur für Manager, Top-Verkäufer und Ingenieure, oder zieht sich das durch den ganzen Betrieb – über den Buchhalter bis zum Wachmann?

Prof. Dr. rer. pol. Axel Olaf Kern: Hierzu ist ganz knapp und klar die Antwort: ALLE Mitarbeiter sind für den Erfolg des Unternehmens wichtig. Wer dies nicht lebt und verstanden hat, wird sicherlich Chef sein können, dies aber weniger erfolgreich als bei förderndem und aufrichtendem, partizipativem Verhalten. So wissen wir aus Untersuchungen in Krankenhäusern, dass der beste Operateur solange „nutzlos“ ist und seine PS nicht auf die Straße bringen wird, wie die Putzkräfte den Operationssaal nicht sachgerecht reinigen. Dies bedeutet, dass selbstverständlich auch der Buchhalter und der Wachmann in den Genuss von BGM-Maßnahmen kommen sollen, ja sogar müssen. Eine Frage von Unternehmensphilosophie und Führungskultur: Ohne gleiche Wertschätzung und Wahrnehmung aller Mitarbeiter im Unternehmen wird das nichts.
Top: Sonne, Wasser, Berge: Wäre die Bodensee-Region als Ferien und Outdoor-Paradies nicht schon Standort-Anreiz genug?

Prof. Dr. rer. pol. Axel Olaf Kern: Wie heißt es so schön in Unternehmenskreisen rund um den See: „Es ist unglaublich schwierig, einen Mitarbeiter zu gewinnen und in diese wunderbare Region zu bekommen. Es ist aber nahezu ausgeschlossen, jemanden von hier wieder los zu werden.“ Dieser Freizeit-Aspekt spielt sicher eine Rolle, jedoch wiegen die direkten „Benefits“ am Arbeitsplatz, die Arbeitsplatzgestaltung sowie das engere Arbeitsumfeld deutlich schwerer für eine Entscheidung, zu einem Unternehmen am See Ja zu sagen. Niemand möchte Tag für Tag leiden, um mit Skifahren oder Bergwandern am Wochenende belohnt zu werden. So gilt es natürlich, diesen Aspekt der Attraktivität der Region zu nutzen; von sinnvollen BGM-Maßnahmen kann es nicht befreien.
Top: Ist rund um BGM eine stärkere Dienstleistungsbranche gewachsen?

Prof. Dr. rer. pol. Axel Olaf Kern: Die Dienstleistungsbranche rund um „Gesundheit im Betrieb“ ist geradezu explodiert. Es gibt eine Vielzahl von Angeboten, die allerdings eher Fragmente des BGM darstellen, obgleich sie sich selbst weit überwiegend als „xxx-Management“ bezeichnen, was besser klingt als Physiotherapie, Sporttag, Rückenschule oder Suchtprävention. Allerdings wissen wir auch, dass viele kleine und mittelständische Unternehmen Betriebliches Gesundheitsmanagement als etwas ansehen, das sie mit Porsche, Bosch und Mercedes verbinden und viel zu aufwendig ist. Zumal selbst das BGM in größeren Unternehmen oftmals nicht auf Führungsstil und -verhalten ausgerichtet ist, sondern aus einer immer größeren Zahl an vielfältigen Sport- und Ruheangeboten zu bestehen scheint. Deshalb ist es für jeden Unternehmer zunächst wichtig, eine saubere Analyse hinzubekommen, ob und in welchen Bereichen des Unternehmens BGM-Aktivitäten hilfreich sind, in kurzer als auch fernerer Perspektive, und was dies kostet.
Top: Wer soll das bezahlen: Kann ein Betrieb für Betriebliches Gesundheitsmanagement auf finanzielle Förderung oder Steuervergünstigungen rechnen?

Prof. Dr. rer. pol. Axel Olaf Kern: Bestimmte Maßnahmen, wie Reduzierung arbeitsbedingter körperlicher Belastungen, gesundheitsgerechte betriebliche Gemeinschaftsverpflegung, Stressbewältigung am Arbeitsplatz, gesundheitsgerechte Mitarbeiterführung oder rauchfrei im Betrieb sowie nüchtern am Arbeitsplatz sind mit bis zu 500 Euro pro Jahr und Arbeitnehmer steuerlich abzugsfähig. Auch Krankenkassen, Rentenversicherung und Unfallversicherung unterstützen Unternehmen. Doch gestatten Sie mir an dieser Stelle, dass dies nette Ideen sind, um die Idee zu transportieren, jedoch ein Unternehmer sich nicht an finanziellen Förderungen orientieren sollte. Dies wird im Rahmen eines vernünftigen Konzepts sowieso berücksichtigt und ausgeschöpft. Viel zentraler ist, eine Idee und Strategie und das Verständnis zu entwickeln, etwas Sinnvolles für sich und seine Mitarbeiter zu unternehmen.
Top: Was wäre ihr ganz persönlicher Tipp für eine Firma, die sich überlegt, in Betriebliches Gesundheitsmanagement einzusteigen?

Prof. Dr. rer. pol. Axel Olaf Kern: Sobald ein Unternehmer darüber nachdenkt, ist die Hälfte der Aufgabe schon bestritten, da der Kopf verstanden hat, wie wichtig es ist, motivierte und engagierte Mitarbeiter auf allen Ebenen und in allen Bereichen des Unternehmens zu haben. Im ersten Schritt ist es sinnvoll, mit einem externen Berater zu sprechen. Hier werden Themenbereiche identifiziert, die näher analysiert werden sollen, und vor allem zu erkennen, was im Unternehmen bereits gut läuft. Es empfiehlt sich, diesen ersten Schritt mit einer Begleitung von außen zu unternehmen, da oftmals die Draufsicht zu den wichtigen Fragen führt, derer man sich im Tagesgeschäft oft beraubt sieht. Gesundheit und Wohlbefinden wird auch auf anderen Wegen erreicht als über Meditation und körperliches Training. Man sollte sich auch unkonventionellen Lösungen anvertrauen, beispielsweise einen Sozialarbeiter in der Personalabteilung zu beschäftigen. Eigene Erfahrungen hierzu zeigen ungeahnte Erfolge. Doch der beste Weg zum gesunden Unternehmen besteht darin zu erkennen, wie wichtig es ist, Mitarbeiter zu haben, die sich am Unternehmenserfolg beteiligen wollen und können. Und dies setzt bereits bei der Personalauswahl, der Personalentwicklung und der Teamzusammensetzung an. Denn gesunde Ernährung und Sportskanonen sind nicht das Ideal des BGM.
Top: Wie halten Sie es persönlich und an Ihrer Hochschule mit Fitness und Work-life-balance?

Prof. Dr. rer. pol. Axel Olaf Kern: Zu Fitness gehört für mich neben etwas körperlicher Aktivität auch Genuss und geistige Fitness. Alleine der Begriff der Work-life-balance ist mir schon zu mechanistisch. Ganz persönlich halte ich es deshalb mit dem Vorbild-Lernen, der Dankbarkeit, dem Spaß an der Arbeit, dem Spaß und der Ernsthaftigkeit bei der Arbeit, ernsthafter Kommunikation und Transparenz sowie der Wertschätzung anderer und deren Arbeit.

Artikel von www.top-magazin.de/bodensee