Menschen

Kirsche, Tabak, nasses Tierfell

Große Gewächse sind Caro Maurers Leidenschaft. Nach Feierabend gibt sich die Bonnerin aber auch mit einem „Spaßwein“ zufrieden. Als erste Frau aus dem deutschsprachigen Raum hat sie die vielleicht schwierigste Weinprüfung der Welt bestanden und darf sich seither Master of Wine nennen. Mit Top Bonn sprach sie über individuelle Geschmacksassoziationen, abgehobene Weinprosa und welche Vorzeige-Weine wir ins All schießen sollten.


Wenn ich behaupten würde: Der Wein schmeckt wie Omas Apfelkuchen, dann stellt sich die Frage: Was hat meine Oma in den Apfelkuchen getan?

(Caro Maurer über die Tücken besonders metaphorischer Weinprosa)

Caro Maurer im Gespräch mit Hannah Scosceria, Chefredakteurin Top Magazin Bonn.

Und, wie schmeckt er? Diese Frage hört Weinexpertin Caro Maurer häufig. Einladungen bei Freunden gleichen mitunter einem Spießrutenlauf. Ein Wein als Gastgeschenk? Kommt für sie nicht in Frage. Die Erwartungen sind einfach zu hoch. Doch auch die Gastgeber haben es nicht leicht. Welchen Tropfen kredenzt man einem Master of Wine? Kein Wunder, dass sie nach dem ersten Schluck gespannt nachfragen. „Als Gast sage ich dann natürlich ‚gut‘ – vollkommen unabhängig von meiner tatsächlichen Meinung“, gesteht Caro Maurer.

Top: Welche Weine kommen bei Ihnen zu Hause ins Glas?

Caro Maurer: Glauben Sie mal nicht, dass ich jeden Abend ein Großes Gewächs aufmache. Da bin ich bescheiden und freue mich auch über einen einfachen Wein. Das gilt genauso für Einladungen bei Freunden. Die machen sich in der Regel viel zu viele Gedanken. Richtig gute Weine wollen, dass ich zuhöre, dass ich mich mit ihnen beschäftige. Und dazu habe ich nach Feierabend ehrlich gesagt keine Lust. Dann greife ich eher zum Riesling Qualitätswein oder zu einem Kabinett. Ich liebe Kabinette. Die liegen auch bei guten Weingütern unter 15 Euro.

Top: Wie viel sollte ein ordentlicher Wein kosten?

Caro Maurer: Einen guten Rotwein unter fünf Euro zu finden, gestaltet sich eher schwierig. Spaßweine kosten in der Regel zwischen fünf und 15 Euro. Die lassen sich grundsätzlich super trinken. Einige sind fruchtiger, andere holziger – das ist Geschmackssache. Spitzenweine, die sich auch lagern lassen, fangen bei 50 Euro an. Da lohnt es sich mitunter, die dritte Dimension abzuwarten. Nach 10 Jahren erzählen die eine ganz andere Geschichte als heute. Statt der Frucht stehen dann Leder, Tabak, Gewürze im Vordergrund.

Top: Mal ganz ehrlich. Wer vererbt heute noch Weine an seine Kinder?

Caro Maurer: Die meisten Weine sind mittlerweile auf Kurzlebigkeit ausgelegt. Das ist auch absolut ok. Sie sind dafür gemacht, dass man sie umgehend öffnet. Heute, morgen oder kommende Woche, wenn die Gäste kommen. In zehn Jahren sind sie wahrscheinlich nicht mehr genießbar. Weine über einen längeren Zeitraum zu lagern, das machen mittlerweile nur noch wenige.

Top: Teilt Ihr Mann Ihre Leidenschaft für Wein?

Caro Maurer: Null! Genauso wenig wie ich seine Begeisterung für Opern teile [Ulrich Bumann war stellvertretener Chefredakteur des General Anzeigers und organisiert heute das Bonner Schumannfest mit (Anm. D. Red.)]. Ich habe ihn jedoch soweit begeistern können, dass er jeden Abend ein Glas Rotwein trinkt. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass ausreichend Nachschub im Haus ist. Auch wenn ich mal unterwegs bin. Was relativ häufig vorkommt. Zurzeit ist er in einer Pinot-Phase. Am liebsten mit Drehverschluss. Weil das einfacher ist.

„Der Mallorquiner“ in Bornheim stellte die perfekte Kulisse für ein Interview mit Caro Maurer, der ersten Frau im deutschsprachigen Raum, die sich Master of Wine nennen darf.

 

Top: Wenn Kenner über Wein philo­sophieren, müssen Uneingeweihte oft schmunzeln. Wie hört sich eine Weinkritik bei Ihnen an?

Caro Maurer: Ein Wein, wie ein Seidenschal im Sommerwind – Beschreibungen wie diese nenne ich gerne Weinprosa. Ich persönlich gehe so sachlich wie möglich vor. Ich schaue mir zum Beispiel die Säure an: stark, mild, gut eingebunden? Den Körper: fett, bullig oder doch eher grazil? Beim Weißwein kommt noch Restsüße ins Spiel. Beim Rotwein die Tannine. Die können wir nicht nur schmecken, sondern auch auf der Mundschleimhaut spüren, manchmal etwas pelzig. Mir ist es wichtig, dass mein Gegenüber nachvollziehen kann, was ich sage. International. Immerhin arbeite ich als Dozentin mit Studenten aus der ganzen Welt zusammen. Da muss man einen gemeinsamen Nenner finden. Wenn ich behaupten würde: Der Wein schmeckt wie Omas Apfelkuchen, dann stellt sich die Frage: Was hat meine Oma in den Apfelkuchen getan?

Top: Die Ausbildung zum Master of Wine gilt als härteste der Welt. Was mussten Sie leisten?

Caro Maurer: Vier Jahre habe ich berufsbegleitend am britischen Institute of Masters of Wine studiert. Von meinen 90 Kommilitonen haben es nur zwei schneller geschafft. Nur einer von zehn kommt überhaupt durch. Von ein paar Seminaren abgesehen, muss sich jeder das für die Prüfungen benötigte Wissen in Eigenregie aneignen. Ich habe zum Beispiel unzählige Bücher über die Weinproduktion gewälzt. Ob ich deshalb auch selber Wein herstellen kann? Vermutlich ja. Das Endergebnis möchte ich aber nicht unbedingt trinken. Da verlasse ich mich lieber auf Profis.

Top: Für die Tastings mussten Sie dann aber doch regelmäßig nach London fliegen.

Caro Maurer: Samstagmorgen hin und Sonntagabend wieder zurück. Zwischendrin habe ich von früh bis spät Weine probiert. Aus aller Welt und bis zum Gehtnichtmehr. Fast die Hälfte der Weine, die wir in Deutschland trinken, stammt aus der Bundesrepublik. Dazu kommen noch Importe aus Italien, Frankreich und Spanien. Erstaunlicherweise ist auch Südafrika gut vertreten. Viel seltener kommen Weine aus Neuseeland, Australien oder Kalifornien ins Glas. Chilenen und Argentinier sind schon richtige Exoten hierzulande. Ich kenne sie alle. Oder zumindest die meisten. Die praktischen Prüfungen sind nämlich noch viel berüchtigter als die theo retischen.

Top: Wie unterscheiden Sie einen Bor­deaux von einem Südamerikaner?

Caro Maurer: Es gibt nur wenige Rebsorten, die über charakteristische Aromen identifiziert werden können. Sauvignon Blanc schmeckt zum Beispiel nach Stachelbeere, Riesling nach Pfirsich, Gewürztraminer nach Litschi. In den allermeisten Fällen schreit ein Wein aber nicht sofort: „Hallo, das bin ich.“ Also muss ich für mich Assoziationen bilden. Spätburgunder erinnert mich an Kirsche. Barolo an nasses Tierfell. Rioja schmeckt meiner Meinung nach ein wenig rostig. Beim Master of Wine geht es allerdings nicht um ein wildes Rebsortenraten, sondern um eine Einschätzung, die dann gut argumentiert wird.

Top: Ein Beispiel wäre schön.

Caro Maurer: Ein südamerikanischer Wein hat zum Beispiel einen höheren Alkoholgehalt als ein Bordeaux aus Frankreich. Die Frucht ist reifer, das Tannin weicher, die Säure moderater. Diese Argumente muss ich bringen. Ich liege oft genug daneben, keine Frage. Wichtig ist, dass ich zumindest in der richtigen Ecke lande. Zum Beispiel Chile, Argentinien, Kalifornien. Dann hangle ich mich in einem Ausschlussverfahren vor. Napa kann es nicht sein, dann wäre der Wein eleganter, feiner, graziöser. Weine aus Chile haben für mich immer so eine Art Minz-note – das ist es also auch nicht. Und so weiter…

Top: Was machen Sie mit all dem Wissen?

Caro Maurer: Ich lebe von dem Wissen, es ernährt mich. Im Endeffekt habe ich mehrere Jobs, die sich alle um Wein drehen: Als Journalistin schreibe ich hauptsächlich, wenn auch nicht ausschließlich, über Wein. Dazu kommt die Lehrtätigkeit – zum Beispiel am Institute of Masters of Wine – und immer mal wieder ein Einsatz als Jurorin. Außerdem leite ich Wine-Tastings – für verschiedene Weinanbaugebiete oder den Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) – und berate die Edeka-Zentrale beim Wein-Einkauf.

Top: Wann sind Sie dem Wein verfallen?

Caro Maurer: Das fing in den USA an. Nach meinem Studium habe ich die Koffer gepackt und bin als Korrespondentin nach New York und LA gegangen. Damals hat kaum jemand zu Hause gekocht – und auch ich war viel auswärts essen. Im Res-taurant gab es immer Wein, allerdings kei-nen guten. Zurück in der Heimat, bin ich dann auf deutschen Riesling gestoßen und habe sofort gemerkt: Das ist es.

Top: Riesling ist also Ihr absoluter Favorit?

Caro Maurer: Das ist schwer zu sagen. Es gibt so viele tolle Weine! Wenn ich allerdings eine Kiste mit sechs Flaschen ins All schießen müsste, damit ein Marsmensch, der sie findet, die Weinkultur unserer Erde versteht, dann wäre für mich sicherlich ein Riesling von der Mosel dabei. Zusätzlich ein Bordeaux, ein roter Burgunder, ein Chardonnay und ein Cabernet aus Napa Valley. Beim sechsten bin ich mir schon unschlüssig. Vielleicht gehört noch ein Champagner rein.

 

Artikel von www.top-magazin.de/bonn