Wirtschaft

Dr. Stefan Wolf im Interview

Der in Dettingen/Erms ansässige Zulieferer ElringKlinger ist breit aufgestellt – ob Zylinderkopfdichtungen, Dichtungen für Batterien und Elektromotoren, Komponenten und Technologien für Hybrid- und Elektroautos, thermische und akustische Abschirmsysteme oder Leichtbaulösungen für Antriebsstrang, Karosserie und Unterboden. Daneben entwickelt das Unternehmen auch schon seit vielen Jahren innovative Konzepte für alternative Antriebe wie beispielsweise Brennstoffzellenstacks und Batteriesysteme. top magazin sprach mit CEO Dr. Stefan Wolf über die Herausforderungen der Zukunft einer Branche, die vor einem radikalen Wandel steht.


top: Herr Dr. Wolf, viele Automobilzulieferer stehen angesichts des Technologiewandels mit dem Rücken zur Wand oder mussten bereits Insolvenz anmelden. Bei ElringKlinger blickt man trotz aller Unwägbarkeiten vergleichsweise positiv in die Zukunft. Was machen Sie besser als andere?

Wolf: Wir haben die Weichen sehr früh richtig gestellt – und zwar dahingehend, dass wir bereits vor 20 Jahren in die Brennstoffzellen- sowie vor mehr als zehn Jahren in die  Batterietechnologie eingestiegen sind. Mir war schon lange klar, dass der Verbrennungsmotor eines Tages an Bedeutung verlieren würde und damit auch für ElringKlinger Umsatzverluste verbunden wären. Um das zu kompensieren, haben wir überlegt, welche künftig gefragten Technologien in Bezug zu unseren bereits vorhandenen Kernkompetenzen stehen.

top: Mit welchem Ergebnis?

Wolf: Es hat sich schnell gezeigt, dass die Entwicklung und Fertigung der Bipolarplatten in den Brennstoffzellenstacks den Lagen von Zylinderkopfdichtungen vergleichbar sind und die Zellkontaktiersysteme für Batterien metallische Strukturen aufweisen, die umgeformt, gebogen, wärmebehandelt und beschichtet werden müssen. Wir haben also die Technologien, die wir beherrschen, in die neuen Bereiche transferiert und sind heute deswegen in der Lage, sowohl Brennstoffzellenstacks als auch Batteriemodule und -systeme in Serie zu liefern. Oder anders gesagt: Wir haben den Transformationsprozess vorweggenommen und spielen in der „neuen“ Welt schon richtig gut mit.

„Ein weiteres Argument zugunsten der Brennstoffzelle ist die Reichweite, die sich mit einem batterieelektrischen Fahrzeug nie erzielen lässt.“

top: Dass Sie hierfür finanziell erst mal kräftig in Vorleistung gegangen sind, war möglich, weil ElringKlinger in seinem Kerngeschäft gut verdient hat?

Wolf: Ja, das war in der Tat eine solide Grundlage für die notwendigen Investitionen. Trotzdem musste ich immer wieder darum kämpfen, die Mittel genehmigt zu bekommen. Aber ich konnte die Aufsichtsgremien immer wieder von meiner Vision überzeugen. Durch verschiedene äußere Umstände wie etwa den Dieselskandal ist ja dann alles etwas schneller gekommen als ursprünglich gedacht. An unseren Plänen hätten wir aber so oder so festgehalten.

Die Unternehmenszentrale von ElringKlinger in Dettingen/Erms

top: Hätte man angesichts des Klimawandels nicht schon viel früher aktiv werden müssen?

Wolf: Das wäre sicherlich wünschenswert gewesen. Was ElringKlinger anbelangt, haben wir aber auch bei unseren klassischen Produkten viel getan, um die CO2-Emissionen zu reduzieren. Zum Beispiel in Form leichterer Bauteile und die Substitution von Stahl durch Kunststoff. Schließlich verbraucht ein leichteres Fahrzeug weniger Kraftstoff und emittiert damit weniger CO2. Für die Zukunft brauchen wir in diesem Punkt allerdings globale Konzepte, denn die Welt werden wir nicht von Deutschland oder Europa aus retten. Den höchsten CO2-Ausstoß haben die USA, Indien und China. Für uns bei ElringKlinger war und ist es deshalb wichtig, die neuen Technologien gerade auch in diesen Märkten zu propagieren und anzubieten. Unser Joint Venture EKPO Fuel Cell Technologies hat erst dieses Jahr im chinesischen Suzhou eine Tochtergesellschaft gegründet, um die Brennstoffzellenvermarktung in diesem Land voranzutreiben. In den USA weiten wir unsere Aktivitäten in Sachen Brennstoffzelle ebenfalls aus, darüber hinaus haben wir unser Portfolio rund um die Batterietechnologie global aufgestellt. Für uns wie auch für andere Player der Branche in Deutschland erachte ich diese Strategie für unverzichtbar. Denn mit innovativen Technologien tragen wir nicht nur dazu
bei, den CO2-Ausstoß weltweit zu reduzieren, sondern wir sichern damit auch unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit und können so langfristig erfolgreich sein.

top: Wie aufgeschlossen gegenüber alternativen Antrieben sind die von Ihnen genannten Märkte USA, China und Indien tatsächlich?

Wolf: In China werden bereits heute sehr viele batterieelektrische Fahrzeuge zugelassen. Auch die Brennstoffzelle ist in China vor allem im Lkw-Sektor stark im Kommen. In den USA werden relativ kurzfristig zahlreiche Bundesstaaten komplett CO2-frei sein. In Indien, leider eines der größten Armenhäuser dieser Welt, ist es deutlich schwieriger, in Sachen CO2-Neutralität etwas zu bewegen. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich auch dort etwas tut.

Brennstoffzellenstack

top: Welche Technologie sehen Sie im Vorteil: die Batterieelektrik oder die Brennstoffzelle?

Wolf: Ich bin ein großer Verfechter der Brennstoffzelle, weil diese Technologie im Gegensatz zur Batterieelektrik nahezu ohne problematische Materialien wie Lithium oder Kobalt wie auch ohne seltene Erden auskommt. Eine Brennstoffzelle besteht aus chemischen Membranschichten und metallischen Platten, betrieben wird sie mit aus Wasser gewonnenem Wasserstoff. Der Nutzungszeitraum der Brennstoffzelle ist somit eigentlich unbegrenzt. Denn wenn es irgendwann einmal auf der Erde kein Wasser mehr gibt, brauchen wir uns auch übers Fahren keine Gedanken mehr zu machen. Dann haben wir ganz andere Probleme. Als Pufferspeicher für den Wasserstoff braucht man selbstverständlich auch in einem  Brennstoffzellenfahrzeug eine Batterie, die den erzeugten Strom bedarfsgerecht an die Elektromotoren an den Rädern abgibt. Besagte Batterie ist aber sehr klein im Vergleich zu einem batterieelektrisch betriebenen Fahrzeug. Man verliert also beispielsweise in einem Lkw kaum Fläche für die zu transportierenden Güter. Was zudem für die Brennstoffzelle spricht, ist die sehr kurze Ladezeit. In wenigen Minuten ist der Tank wieder befüllt. Ein weiteres Argument zugunsten der Brennstoffzelle ist die Reichweite, die sich mit einem batterieelektrischen Fahrzeug nicht erzielen lässt. Neben der Mobilität auf der Straße gibt es selbstverständlich noch weitere Mobilitätsbereiche, in denen die Batterietechnologie völlig undenkbar ist. Ich rede hier zum Beispiel vom Fliegen. Wir haben 2020 mit Airbus ein Joint Venture gegründet und entwickeln luftfahrttaugliche Brennstoffzellenstacks, die 2030 in die Erprobung gehen und eine Reichweite von bis zu 2.000 Kilometern ermöglichen sollen. Auch in großen Kreuzfahrt- oder Transportschiffen, die auf den Weltmeeren unterwegs sind, hat nur die Brennstoffzelle eine Zukunft.

„Die hohen Energiepreise belasten nicht nur die Privathaushalte, sondern insbesondere auch die Unternehmen massiv.“

top: Ob batterieelektrisch oder mit Brennstoffzelle: Die Ladeinfrastruktur dürfte hier ein entscheidender Knackpunkt sein.

Wolf: Absolut richtig. Leider kann von einer flächendeckend guten Infrastruktur noch lange nicht die Rede sein. Vor allem aber brauchen wir eine europäische Lösung, denn man möchte mit seinem Fahrzeug auch mal ins Ausland in den Urlaub fahren. Da ist auch in vielen angrenzenden Staaten wie auch in Süd- und Osteuropa noch viel Luft nach oben. Unter CO2-Gesichtspunkten wäre es selbstverständlich wünschenswert, dass die Fahrzeuge mit grünem Strom geladen werden. Denn wenn der Strom aus Kohlekraftwerken kommt, wie es aktuell in China zum großen Teil der Fall ist, wird in der Gesamtbilanz mehr CO2 produziert als mit einem Verbrennungsmotor. Ob wir es allerdings in einer überschaubaren Zeit schaffen, genügend  Windkraft- oder Solaranlagen für die Produktion von grünem Strom hinzustellen, mag ich angesichts der mitunter unsäglich langen Genehmigungs- und teilweise auch Klageverfahren mal dahingestellt sein lassen. Vor diesem Hintergrund müssen wir aufpassen, dass wir beim Wasserstoff nicht wie bei der batterieelektrischen Ladeinfrastruktur wieder den Zug verpassen. Die Versorgung mit Wasserstoff ist grundsätzlich nicht so schwierig, denn man kann die entsprechenden Zapfsäulen in bestehende Tankstellen integrieren.

„Ohne uns würde ein großer Teil der Fahrzeugproduktion weltweit stillstehen.“

Für ein gut funktionierendes Netz in Deutschland würden 2.000 intelligent verteilte Wasserstoffzapfsäulen ausreichen.

top: Hat Deutschland in diesem Punkt wertvolle Zeit verstreichen lassen?

Wolf: Leider ja, die Politik hätte den Rahmen hierfür schon viel früher setzen müssen. Allerdings besteht auch seitens der Automobilindustrie Anlass zur Selbstkritik. Viele Hersteller, bei denen es über die Jahre sehr gut lief, sind davon ausgegangen, dass es immer so weitergeht. Dann ist insbesondere durch den Dieselskandal und auch die Klimabewegung eine enorme Dynamik in Richtung Elektromobilität entstanden. Darauf war man nicht genügend vorbereitet, das Versäumte versucht man jetzt aufzuholen. Das gilt auch für die Politik. Alle früheren Bundesregierungen sind immer davon ausgegangen, dass die Energie weiterhin aus Russland zu uns fließt. Jetzt haben wir plötzlich ein Riesenproblem. Die hohen Energiepreise belasten nicht nur die Privathaushalte, sondern insbesondere auch die Unternehmen massiv.

top: Die Unternehmensberatung Horváth hat erst kürzlich Autozulieferer zu ihren steigenden Produktionskosten befragt. Danach könnten 75 Prozent der Zulieferer die enorm gestiegenen Energie-, Rohstoff-und Produktionskosten nur teilweise an die Autohersteller weitergeben und gerieten daher zunehmend in Liquiditätsprobleme. Wie sehen Sie die aktuelle Lage?

Wolf: Ich finde, 75 Prozent sind sogar ein bisschen niedrig gegriffen. Wir sehen ja in der Branche bereits erste Insolvenzen. Weitere werden wahrscheinlich folgen. Das sind dann vorwiegend kleinere und mittlere Familienunternehmen, die keine so hohe Eigenkapitaldecke haben und schon durch die Coronakrise in Mitleidenschaftgezogen wurden. Wir kommen nicht aus dem Schlaraffenland und der Blütezeit in diese Krise, sondern wir haben schon zwei Jahre im Krisenmodus hinter uns. Nun sind durch den Ukrainekrieg neben allem menschlichem Leid auch die Lieferketten gestört, dazu kommt zu allem Überfluss der Halbleitermangel. Wenn jetzt noch China in Taiwan militärisch aktiv werden würde, wäre das in jeder Hinsicht der Super-GAU für eine so global aufgestellte Wirtschaft, in der wir heute agieren.

top: Zu einem Teil rächt sich jetzt aber auch das Billigproduktionsdenken und die damit zusammenhängende Verlagerung wichtiger Bereiche ins Ausland.

Wolf: Da stimme ich Ihnen zweifelsohne zu. Man hat zu wenig die geostrategischen und geopolitischen Risiken betrachtet und sich zu sehr treiben lassen durch zwei Themen: Steuererleichterungen und günstige Löhne.

top: Wie können Sie denn jetzt bei Elring- Klinger die angesprochenen Kostensteigerungen kompensieren?

Wolf: Wir sind mit unseren Kunden in guten konstruktiven Gesprächen und konnten durchaus entsprechende Preiserhöhungen durchsetzen. Die Automobilhersteller sind sich schon der Tatsache bewusst, dass sie ohne die Masse an Zulieferern weder Motoren noch Fahrzeuge bauen. Wenn dann ein oder zwei systemrelevante Zulieferer nichts liefern würden, hätten die Hersteller ein Riesenproblem. Nehmen wir nur mal unser klassisches Produkt der Zylinderkopfdichtungen. Hier sind wir Weltmarktführer. Ohne uns würde ein großer Teil der Fahrzeugproduktion weltweit stillstehen. Denn ohne Zylinderkopfdichtung baut man keinen Motor und damit auch kein Auto.

„Die Politik sollte auf das technisch Machbare schauen und sich von rationalen Argumenten leiten lassen.“

top: Stichwort Zylinderkopfdichtung: Wie viele Jahre geben Sie dem Verbrenner noch?

Wolf: Weltweit betrachtet schon noch sehr viele Jahre. Dass in der Europäischen Union ab 2035 keine Verbrenner mehr zugelassen werden dürfen, halte ich für einen Riesenfehler. Die Fahrzeug und Zulieferindustrie ist eine ganz wesentliche Industrie in Europa und damit wichtig für den Wohlstand. Diesen Wohlstand riskieren wir, weil wir das Verbrennerverbot nicht durch Elektrofahrzeuge substituieren werden. Die Chinesen haben angekündigt, den Verbrennungsmotor möglicherweise ab 2050 zu verbieten, auch in den USA sehe ich in den nächsten 20 oder 30 Jahren mit Ausnahme weniger Bundesstaaten kein solches Verbot. Die Zahlen werden sicherlich sinken, aber wenn es von den für 2024 prognostizierten 95 Millionen in den nächsten 20 Jahren auf weltweit 60 Millionen heruntergeht, dann ist das immer noch viel.

Fertigung von Kunststoff-Leichtbauteilen

top: Für den Übergang wären somit synthetische Kraftstoffe eine Lösung, um keine fossilen Brennstoffe mehr zu verbrennen?

Wolf: Auf jeden Fall, zumal wir neben den Neufahrzeugen ja über die nächsten Jahrzehnte auch noch eine große Zahl an Bestandsfahrzeugen haben werden. Zugleich bin ich mir sicher, dass wir vor dem Inkrafttreten des EU-Verbots von Verbrennern im Jahr 2035 eine Sonderkonjunktur ohne Ende erleben werden, weil die Menschen sich alle noch einmal Auto mit Verbrennungsmotor kaufen. Leider steckt in diesem Thema sehr viel Ideologie. Aber Ideologie war noch nie ein guter Ratgeber. Vielmehr sollte vor allem die Politik auf das technisch Machbare schauen und sich von rationalen Argumenten leiten lassen.

 

ZUR PERSON:

1961 in Oberndorf am Neckar geboren, absolvierte Stefan Wolf nach dem Abitur zunächst eine Banklehre bei der Commerzbank in Stuttgart. Danach folgte das Studium der Rechtswissenschaften an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen mitsamt Promotion am Lehrstuhl von Prof. Oppermann. Von 1994 bis 1997 arbeitete Stefan Wolf als Rechtsanwalt bei der Kanzlei Thümmel, Schütze & Partner, bevor er als Syndikusanwalt in die Elring Klinger GmbH eintrat. Von 1998 bis 2000 war er dort Bereichsleiter Recht und Personal, mit dem Börsengang der ElringKlinger AG im Jahr 2000 übernahm er zusätzlich die Leitung der Abteilung Investor Relations und Kapitalmarktbetreuung. 2004 wurde Stefan Wolf zum Generalbevollmächtigten des Vorstands der ElringKlinger AG berufen und 2005 zum Sprecher des Vorstands ernannt. Seit 2006 ist er Vorsitzender des Vorstands. Ab September 2012 hatte Stefan Wolf außerdem für acht Jahre den Vorsitz von Südwestmetall inne, seit Ende November 2020 ist er Präsident von Gesamtmetall.

Artikel von www.top-magazin.de/stuttgart