Menschen

Elisabeth Seitz Kunstturnerin

28 nationale Meisterschaftstitel, Gold am Stufenbarren und Bronze mit dem Team bei den Turneuropameisterschaften 2022, Bronze bei der WM 2018, drei Olympiateilnahmen: Elisabeth Seitz ist die erfolgreichste deutsche Kunstturnerin. top magazin traf die sympathische Sportlerin, die seit 2015 beim MTV Stuttgart trainiert, zum Gespräch im Kunst-Turn- Forum am Neckarpark.


 
top: Eli, ein kurzer Rückblick auf die WM in Liverpool: Enttäuscht über die knapp verpasste Medaille oder happy, trotz der Corona-Erkrankung zuvor eine solche Leistung abgerufen zu haben?

Seitz: Die Nummer 4 der Welt am Stufenbarren zu sein, macht mich total stolz. Klar hätte ich mich über eine Medaille gefreut, aber mit meiner Leistung bin ich absolut zufrieden. Schließlich war ich nur wenige Wochen nach Covid-19 keineswegs zu 100 Prozent fit. Ich bin ganz unverkrampft und ohne zu hohe Erwartungen ins Finale gegangen – diese Lockerheit hat mir am Ende sehr geholfen. So knapp an der Medaille vorbeigeschrammt zu sein, motiviert mich zugleich für die nächsten Jahre. Mein Fazit fällt also positiv aus, es war eine tolle Erfahrung und hat wieder viel Spaß gemacht, bei einem so hochkarätigen Wettkampf am Start gewesen zu sein und vor allem auch die jüngeren Turnerinnen im Team mitzuziehen.

top: Du bist ja nun schon ziemlich lange im Profisport mit dabei. Wie hat sich denn das Leistungsturnen entwickelt? Ist es sehr viel härter und die Konkurrenz größer geworden?

Seitz: Die Konkurrenz war schon immer groß, entwickelt habe vor allem ich mich selbst. Bei meinen ersten Weltmeisterschaften 2009 war ich knapp 16 Jahre alt und selbstverständlich  noch völlig unerfahren. Schule und Leistungssport in Einklang zu bringen, war eine echte Herausforderung – aber es hat geklappt. Mit nun 29 Jahren sind die Trainings und Wettkämpfe für mich als „Turnoma“ körperlich schwerer geworden, ich weiß aber inzwischen viel besser mit meinem Körper umzugehen und kann sehr gut einschätzen, was ich ihm zumuten darf und was nicht.

top: Das Mehr an Erfahrung bezieht sich sicherlich auch auf die Psyche.

Seitz: Absolut, zu Beginn ist alles neu, man muss sich erst mal mit allen Abläufen vertraut machen. Inzwischen weiß ich sehr genau, wie eine Olympiade, WM oder EM abläuft und wie ich davor zu trainieren habe, damit es möglichst optimal funktioniert. Das ist für den Kopf und die Psyche verständlicherweise sehr viel entspannter. Vor allem kann ich jetzt auch viel besser damit umgehen, dass es neben Höhen, wie meine zahlreichen gewonnenen Titel, eben auch Tiefen gibt. Dazu zählen Verletzungen ebenso wie nicht erfüllte eigene Erwartungen. Auch meine Zeit in Mannheim direkt vor dem Wechsel Anfang 2015 zum MTV Stuttgart war nicht gerade leicht. In Mannheim hat man viel dafür getan, dass ich meine Karriere möglichst beende und den Turnanzug an den Nagel hänge. Im musste stark dafür kämpfen, meine sportlichen Träume weiterleben zu können.

top: Bist Du damals auf den MTV zugegangen?

Seitz: Der Verein hatte sicherlich schon ein Auge auf mich geworfen, wollte mich aber nicht offiziell abwerben. Die Freude beim MTV war jedenfalls sehr groß, als ich erklärte, dass mein Weg in Mannheim zu Ende beziehungsweise ich dort nicht mehr erwünscht sei. Ich wurde in Stuttgart jedenfalls sehr herzlich aufgenommen. Das gilt für den MTV wie auch für das Kunst-Turn-Forum als Bundesstützpunkt und Landesleistungszentrum im Bereich Gerätturnen mit allen dortigen Trainerinnen und Trainern.

„Erfahrene Turnerinnen können, sofern sie richtig und intelligent trainieren, noch deutlich länger als bis Mitte 20 mithalten.“

top: Wo steht denn der deutsche Turnleistungssport der Frauen im internationalen Vergleich?

Seitz: In den letzten Jahren haben wir uns extrem gesteigert und dadurch sehr viel Aufmerksamkeit erlangt. Ich denke, das hat mit der Mannschaftsqualifikation für die Olympischen Spiele 2012 in London begonnen und zieht sich bis heute durch. Unvergessen sind für mich auch die Olympischen Spiele 2016, wo ich mir im Stufenbarrenfinale den vierten Platz und wir uns als Team den sechsten Platz sicherten. Oder jetzt natürlich 2022 bei den Europameisterschaften mit meiner Goldmedaille im Stufenbarren, der Goldmedaille von Emma Malewski auf dem Schwebebalken und der Bronzemedaille im Mannschaftsmehrkampf. Diese Erfolge sprechen für unsere großartige sportliche Entwicklung. Insgesamt sind wir auf einem mehr als guten Weg und ich hoffe natürlich, dass es genauso weitergeht.

Tokyo, Japan, 29.07.21: Turnerin Elisabeth Seitz nimmt an den Olympischen Spielen teil. (Foto: Tom Weller / 24passion)

top: Du hast also, wie von Dir eingangs schon angedeutet, durchaus vor, noch ein paar Jahre dranzuhängen. Wie lange kann man denn den Turnleistungssport betreiben?

Seitz: Im Allgemeinen heißt es, dass Leistungsturnen so bis Mitte 20 auf jeden Fall gut möglich ist. Man sieht längst nicht mehr nur noch Turnerinnen im Alter von 16, 17 oder 18 Jahren und lediglich vereinzelt welche, die über 20 sind. Vielmehr geht der Trend dahin, dass erfahrene Turnerinnen, sofern sie richtig und intelligent trainieren, noch deutlich länger als bis Mitte 20 mithalten und Erfolge erzielen können. Ich bin dafür das beste Beispiel.

top: Wie kamst Du überhaupt zum Turnen? War das für Dich schon immer ein Traum?

Seitz: Eigentlich überhaupt nicht. Meine Mutter hat früher ein bisschen geturnt, mein Vater war eher fußballbegeistert. Ich persönlich habe erst mal mit Tennis angefangen und war anschließend im Ballett. Als ich dann zu Hause sehr oft das Wohnzimmer unsicher gemacht habe, weil ich turnen wollte, kam meine Mutter auf die Idee, es damit mal im Verein zu  probieren. Dort habe ich den Sport dann sehr schnell lieben gelernt.

Foto: Tom Weller / 24passion

top: Und die Begeisterung für den Stufenbarren kam wann?

Seitz: Ich habe schon früh gemerkt, dass mir das Gerät einen Riesenspaß bereitet. Aufgrund einiger Fußverletzungen musste ich dann insgesamt vier Mal operiert werden. In diesen Zeiten konnte ich nie springen, aber trotzdem zumindest am Stufenbarren trainieren. Da hat sich die Liebe zum Stufenbarren, verbunden mit dem Gefühl vom Fliegen, weiter gefestigt.

top: Mit dem „Seitz“ ist ja seit 2011 auch ein Turnelement nach Dir benannt. Erinnerst Du Dich noch, wie es dazu kam?

Seitz: Im Frühjahr 2011 wurden wir als Team Vizeeuropameisterinnen im Mehrkampf – ein historischer Erfolg für Deutschland. Danach kam in mir der Ehrgeiz hoch, ein neues Element zu erfinden, um mich so im „Code de Pointage“ – quasi der Bibel der Turnerinnen und Turner – einzutragen. Die Schwierigkeit daran ist, dass man keine Technikvorgaben hat und man auch nicht weiß, ob ein solches Element in der kompletten Übung überhaupt funktioniert. Denn das ist ja die Grundvoraussetzung. Im Oktober 2011 bei der Turn-WM in Tokio hat es dann tatsächlich geklappt.

top: Wie hat man sich den „Seitz“ vorzustellen?

Seitz: Das Element beginnt mit einem Umschwung am unteren Holm, danach lässt man los, fliegt in Richtung oberen Holm und macht in der Flugphase eine ganze Längsachsendrehung.

„Jede Frau und insbesondere auch die Mädchen müssen das Recht haben, diese Sportart auszuüben, ohne zu viel Haut zeigen zu müssen.“

top: Themenwechsel: Bei der Olympiade 2021 in Tokio hast Du zusammen mit dem Frauenkader dahingehend ein wichtiges Zeichen gegen Sexismus im Sport gesetzt, indem ihr mit langbeinigen Turnanzügen angetreten seid. Wie waren die Reaktionen?

Seitz: Sehr positiv. Das macht deutlich, wie sehr wir mit dieser Aktion ins Schwarze getroffen haben. Mit unseren Unitard-Anzügen wollten wir vor allem zum Ausdruck bringen, dass man immer eine Wahl hat und Sportkleidung tragen soll, in der man sich wohlfühlt. Wir finden es überhaupt nicht in Ordnung, dass eine Frau beim Turnen dazu verpflichtet ist, einen eng und kurz geschnittenen Anzug anzuziehen, der sehr schnell verrutschen kann. Das gilt nicht nur für den Leistungs-, sondern auch für den Breitensport. Jede Frau und insbesondere auch die Mädchen müssen das Recht haben, diese Sportart auszuüben, ohne zu viel Haut zeigen zu müssen. Auch das Publikum soll zuschauen, weil es diese Sportart liebt.

top: Der Deutsche Turner-Bund (DTB) steht auch hinter dieser Aktion?

Seitz: Auf jeden Fall. Ich denke, in den Köpfen vieler Funktionärinnen und Funktionäre hat auch der Netflix-Dokumentarfilm „Athlete A“ über den Missbrauchsfall des ehemaligen US-Arztes Larry Nassar nochmals einiges losgetreten. Neben sexueller Gewalt ist gerade im Leistungssport außerdem die psychische Gewalt ein großes Thema. Insofern ist es sehr  begrüßenswert, dass der DTB den gesamtverbandlichen Kultur-Strukturprozess „Leistung mit Respekt“ initiiert hat, in dem sehr viel darüber diskutiert wird, was verändert werden muss und wie besser vorgebeugt werden kann.

Foto: Tom Weller / 24passion

top: Welchen Ratschlag hast Du für Nachwuchsturnerinnen parat, die sich mit dem Gedanken tragen, Leistungssportlerinnen zu werden?

Seitz: Wichtig ist aus meiner Sicht, dass bei allem hartem Training nie der Spaß am Turnen verloren geht. Der Ehrgeiz und der Wunsch nach Medaillen dürfen nicht über der Freude am Sport stehen. Wenn sich dann noch entsprechende Erfolge einstellen, ist es doch umso schöner.

top: Dein Motto lautet „Make your dreams come true“. Welche Träume hast Du noch?

Seitz: Meine drei Olympiateilnahmen waren schon etwas ganz Besonderes, davon habe ich zu Beginn meiner Karriere eigentlich nie zu träumen gewagt. Eine WM-Medaille und ein Europameistertitel haben sich ebenfalls erfüllt. Aktuell ist es mein Traum, weiter körperlich durchzuhalten und bei der Olympiade 2024 in Paris dabei zu sein. Die Teilnahme an vier Olympischen Spielen ist im Turnsport schon sehr außergewöhnlich.

 

ZUR PERSON: 1993 in Heidelberg geboren, startete Elisabeth Seitz ihre Turnkarriere bei der TG Mannheim, bevor sie 2015 zum MTV Stuttgart wechselte. Bereits seit 2004 ist sie Mitglied des Bundeskaders des Deutschen Turnerbundes und der Nationalmannschaft. Sie gehört außerdem seit 2013 der Sportfördergruppe der Bundeswehr an und studiert seit 2019 an der PH Ludwigsburg Sport und Englisch auf Lehramt. Elisabeth Seitz ist regelmäßiger Gast in Talkshows und setzt sich mit ihrer Initiative „It’s my choice“ für mehr Selbstbestimmtheit im Sport ein. Sie trinkt gerne Kräutertee und liebt den Power-Nap zwischendurch.

 

BUCHTIPP

Elisabeth Seitz:
Charakterstark
– Du hast die Wahl!
Molino Verlag,
144 Seiten, 15 Euro

In ihrem Motivationsbuch zeigt Deutschlands Rekordmeisterin im Kunstturnen, wie sehr wahre Charakterstärke für den Sport notwendig ist, und gibt wertvolle Tipps für mentale und körperliche Fitness. Sie erzählt von den wichtigsten Wegmarken ihrer Karriere, vom olympischen Dorf und davon, dass Turnen manchmal wie Fliegen ist.

Artikel von www.top-magazin.de/stuttgart