Seit sechs Jahren unterstützt die von Serkan Eren gegründete Stuttgarter Hilfsorganisation STELP – der Name steht für STuttgart hELPs – mit einem Netzwerk von Ehrenamtlichen, Partnern und Sponsoren Menschen, überall dort, wo die Not am größten ist. Die Initiative macht sich dabei stark für eine Welt, in der alle Menschen selbstbestimmt in Würde und Sicherheit leben und ihre Zukunft aus eigener Kraft nachhaltig gestalten können. Aktuell leistet der mittlerweile 1,5 Millionen Euro starke Verein Hilfe unter anderem in der Ukraine, in Afghanistan, im Libanon sowie in Uganda, im Jemen, in Kambodscha und in Nepal. top magazin sprach mit Serkan Eren, der im März 2022 von der Volksbank Stuttgart und der Stuttgarter Zeitung zum „Stuttgarter des Jahres 2021“ gewählt wurde, über das Konzept von STELP.
top: Serkan, wenn Du mal zurückblickst: Wie kam es denn zur Gründung von STELP?
Eren: Da spielten gleich eine ganze Reihe von Ereignissen eine Rolle. Ich hatte zum Beispiel einige Jahre vor der Gründung des Vereins einen schweren Autounfall, bei dem meine Aorta durch eine von mehreren gebrochenen Rippen durchstochen wurde. Dass ich den Unfall überlebt habe, war nach Ansicht der Ärzte ein Wunder. Diese Nahtoderfahrung hat mein Leben komplett verändert, über viele alltägliche Dinge habe ich mich nicht mehr aufgeregt. Eines Tages im Jahr 2015 war ich dann in einer Bar, in der sich am Nebentisch ein paar Typen lauthals unterhalten und sexistische wie auch frauen- und ausländerfeindliche Sprüche von sich gegeben haben. Ich bin dann aufgestanden und habe ihnen meine Meinung hierzu gesagt, wofür ich sogar Applaus von den Gästen bekam. Das fühlte sich gut an, irgendwie hatte ich aber das Gefühl, dass die von den Typen vermittelten Meinungen und Werte auch ein Spiegelbild von Teilen unserer Gesellschaft sind. Gleichzeitig habe ich meinen persönlichen Mehrwert für die Gesellschaft hinterfragt. Als ich dann am Abend im Fernsehen eine Dokumentation über frierende und hungernde Kinder in Slowenien gesehen habe, fasste ich den Entschluss, aktiv zu werden, einen Sprinter zu mieten sowie Jacken, Decken und Konserven zu sammeln und vor Ort Hilfe zu leisten. Mein Kumpel Steffen hat mich dann dazu bewogen, die Sache noch größer aufzuziehen und wir sind gemeinsam über den Balkan bis nach Griechenland gefahren. Diese Aktion hat mir gezeigt, dass es für humanitäre Hilfe keine Superhelden braucht, wie man sie immer wieder im Fernsehen sieht. Nein: Jeder Mensch kann etwas gegen die Not und das Elend in vielen Teilen der Erde tun und sich für eine bessere Welt einsetzen.
top: Das war dann schon die Initialzündung für die Vereinsgründung?
Eren: Es war eine wichtige Erfahrung, aber viel entscheidender für die Vereinsgründung war der zweite Einsatz. Ende 2015 sind wir auf die griechische Insel Chios geflogen. Anfangs ging es ausschließlich darum, verängstigte, dehydrierte, unterkühlte sowie hungrige geflüchtete Menschen nach ihrer Überfahrt über das Mittelmeer kurz nach ihrer Ankunft an der Küste mit dem Nötigsten zu versorgen. Aufgrund eines nicht vorhandenen Logistik- und Lagerkonzepts stand uns aber nur selten in akuten Situationen die passende Kleidung in der richtigen Größe zur Verfügung. Wir entwickelten deshalb ein funktionierendes System für das Lager, in dem bis heute Sachspenden aus aller Welt vor Ort zusammengetragen, sortiert und systematisch an Bedürftige verteilt werden. Chios ist unser erstes langfristiges Projekt, dort sind wir nun seit Januar 2016 im Einsatz.
top: Wie werdet Ihr auf mögliche Hilfsprojekte aufmerksam?
Eren: Zum Beispiel über die Medien, die über entsprechende Ereignisse oder humanitäre Katastrophen berichten. Oder über Mitglieder unseres Vereins und deren Freude, die etwa auf Reisen von schrecklichen Missständen in einem Land berichten. Beispielsweise von Kindern, die auf den Philippinen auf Müllhalden Essensreste zusammensuchen. Wir verfügen inzwischen über ein exzellentes internationales Netzwerk. Das ist für Hilfsprojekte jedweder Art von großem Vorteil. Wir sind aktuell in 14 verschiedenen Ländern auf vier Kontinenten aktiv.
top: Und wer trifft am Ende die Entscheidung für oder gegen ein Projekt?
Eren: Die Entscheidung treffen wir jeweils immer gemeinsam im mittlerweile siebenköpfigen Vorstand, zu dem unter anderem auch der ehemalige VfB-Torhüter Timo Hildebrand gehört.
top: Wie kam denn Timo Hildebrand zu STELP?
Eren: Er hat zu einem Zeitpunkt, als er noch eine eigene Stiftung gründen wollte, einen Zeitungsartikel über uns gelesen und Kontakt mit mir aufgenommen. Nach zwei Spendenaktionen für STELP, an denen er beteiligt war, hat er mich gefragt, ob er nicht mal mit auf einen Einsatz gehen könnte. Er war in der Türkei und in Uganda mit dabei und hat dort gesehen, dass wir alles genauso machen, wie er sich das bei seiner eigenen Stiftung vorgestellt hätte. Daraufhin war für ihn klar, dass man das Rad nicht neu erfinden muss. Seitdem ist er bei uns mit an Bord.
top: Was zeichnet STELP Deiner Meinung nach besonders aus?
Eren: Zum einen die Tatsache, dass wir nicht als weise, allwissende Ritter ins jeweilige Land kommen und den Leuten dort erklären, wie der Hase läuft. Vielmehr arbeiten wir mit den Locals vor Ort zusammen, die uns sagen, wie die Menschen ticken und wo sich was wie organisieren lässt. Zum anderen achten wir darauf, dass jeder Euro so effizient wie möglich eingesetzt wird. Schließlich unterstützen uns nicht nur Unternehmen mit einzelnen Großspenden, sondern wir bekommen auch Geld etwa von der alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern. Alles wird bei uns lückenlos dokumentiert.
Serkan Eren und Timo Hildebrand bei der STELP-Gala
top: Ihr lauft ja auch nicht mit der Spendenbüchse durch die Straßen.
Eren: Das stimmt, wir sind kein angestaubter Verein, sondern haben das Thema Hilfsorganisation neu gedacht: als junge, coole und lässige Initiative mit einem frischen Image. Als Verein, der anders auftritt, als man das von anderen Organisationen dieser Art üblicherweise kennt. Zu diesem Zweck haben wir sogenannte Social Businesses auf die Beine gestellt. Beispielsweise eine Eventagentur, die unter anderem unsere Spendengalas und zahlreiche andere Veranstaltungen organisiert. Dazu kommt das von uns im Mai 2021 in der Katharinenstraße in Stuttgart eröffnete Non-Profit-Café Natan. Alles wird fast ausschließlich von Ehrenamtlichen betrieben, der gesamte Gewinn fließt in voller Höhe in unsere Hilfsprojekte. Wer uns finanziell unterstützt, kann immer frei entscheiden, ob sie oder er als Partner in die Struktur des Vereins investieren wollen oder ob das Geld in ein konkretes Projekt fließen soll.
top: STELP ist auch in der Ukraine aktiv?
Eren: Ja, ich war seit Kriegsbeginn schon mehrere Male dort. Seitens STELP haben wir in relativ kurzer Zeit eine Versorgungsbrücke bis in die Ukraine aufgebaut. Die entsprechenden Sachgüter werden direkt unter anderem nach Lwiw geliefert, wo wir mit lokalen Partner-Organisationen ein Umschlaglager betreiben. Von dort gelangen die Hilfsgüter dann in die umkämpften Gebiete, die meist von jeglicher Lebensmittelversorgung abgeschnitten sind. Außerdem liegt unser Fokus auf der Evakuierung schwerverletzter Personen.
top: Was war denn Dein bislang schlimmstes Erlebnis?
Eren: Neben der Ukraine mit Abstand die Explosionskatastrophe am 4. August 2020 im Beiruter Hafen. Unser ursprünglicher Plan war es, in die libanesische Hauptstadt zu reisen, um mehrere Suppenküchen aufzubauen. Dann kam es zu der schweren Explosion mit über 200 Toten und Tausenden von Verletzten, mehr als 300.000 Menschen mussten ihre komplett zerstörten Häuser verlassen. Als wir die Explosion gehört haben, sind wir mit Vollgas ins Zentrum gefahren. Wir hatten die schlimmsten Bilder vor uns, die man sich vorstellen kann, das Blut floss in Strömen durch die Straßen. Wir haben dann schnellstmöglich dabei geholfen, die Menschen aus den Trümmern zu retten, medizinische Hilfe zu leisten und für Notunterkünfte zu sorgen.
top: Wie viele Mitarbeiter hat der Verein mittlerweile?
Eren: Der Vorstand besteht wie schon erwähnt aus sieben Mitgliedern. Mit mir sind wir mittlerweile fünf Festangestellte im Verein, die die Verwaltungs- und Organisationsaufgaben übernehmen und dabei von unserem Innercircle mit rund 80 Volunteers bei allen anfallenden Aufgaben unterstützt werden. Im Natan sind rund 100 Ehrenamtliche für uns tätig. Dazu kommen im In- und Ausland unzählige Volunteers, die uns bereits unterstützt haben oder dies immer noch tun. Eines ist klar: Ohne den Support unserer Community wäre unsere Arbeit, so wie wir sie gerade machen, definitiv nicht möglich.
top: Ist ein weiteres Wachstum geplant?
Eren: Ja, wir wollen STELP 2023 in München und Berlin auf die Beine stellen und dort wie auch in Stuttgart Spendengalas veranstalten. Ich bin fest davon überzeugt, dass unser erfolgreiches Konzept auch dort gut ankommt. Die nächste Gala in Stuttgart steigt übrigens am 29. Oktober 2022 im Kursaal.
top: Was wünschst Du Dir für die Zukunft? Eren: Dass unser Kollektiv aus Mitgliedern, Unterstützern und Sponsoren immer weiter wächst und STELP finanziell immer noch besser aufgestellt ist, um auch weiterhin in der bisher bewährten Manier Hilfe leisten zu können. Meine persönliche Utopie ist es, den Verein zu schließen. Denn dann braucht man uns nicht mehr, wir hätten also unser Ziel erreicht. Aber das wird zu meinen Lebzeiten wohl nicht mehr passieren.
1984 in Villingen-Schwenningen geboren und mit 13 Jahren nach Kehl am Rhein an der französischen Grenze gezogen, kam Serkan Eren 2005 nach Stuttgart, wo er an einer Sportschule eine Ausbildung zum Personal Trainer absolvierte. Ab 2007 arbeitete er bis 2009 als Personal Trainer, nach einem schweren Verkehrsunfall krempelte er sein Leben um und wurde Lehrer an der Merz-Schule. Noch während Serkan Eren dort unterrichtete, gründete er 2016 die Hilfsorganisation STELP. Eren ist außerdem Gründer zweier Social Businesses. Neben der Eventagentur STELP Events UG wurde 2021 in Stuttgart das Non-Profit-Café Natan eröffnet. Im Januar 2022 lud Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Eren zu einem Austausch zum Thema Ehrenamt ins Schloss Bellevue nach Berlin ein. Außerdem wählten ihn die Stuttgarter Anfang des Jahres zum „Stuttgarter des Jahres 2021“. Weitere Infos zu STELP und Spendenmöglichkeit unter www.stelp.eu.