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Alexander Wehrle

Zehn Jahre VfB, neun Jahre Köln, jetzt wieder VfB: Im März 2022 hat Alexander Wehrle von Thomas Hitzlsperger den Posten als VfB-Vorstandsvorsitzender übernommen. Seine neue Aufgabe bezeichnet der gebürtige Schwabe als „Herzensangelegenheit“. top magazin sprach mit dem 47-jährigen Diplom-Verwaltungswissenschaftler über die anstehenden Herausforderungen.


top: Herr Wehrle, wie sehr kamen Sie beim Herzschlagfinale des VfB ins Schwitzen?

Wehrle: Ehrlich gesagt gar nicht, weil wir uns in den Wochen zuvor schon professionell mit der Möglichkeit der Relegation auseinandergesetzt haben. Wir waren der festen Überzeugung, dass 180 Minuten für uns als Bundesligisten ausreichen müssten, um den Klassenerhalt in diesen zwei Spielen gegen den Zweitligadritten zu schaffen. Insgesamt war das Spiel gegen Köln ein Spiegelbild der Saison. Wir sind super reingekommen und haben uns viele Chancen erarbeitet, das 1:0 erzielt, dann aber kein zweites oder drittes Tor geschossen. Wie so oft in der Saison hat das Momentum gefehlt. In der zweiten Hälfte gab es dann einen Rückschlag durch das 1:1, die Mannschaft hat aber bis zuletzt an sich geglaubt. Dass der Siegtreffer dann ausgerechnet in der 92. Minute gefallen ist, wo wir vor dem Spiel die 92er-Meistermannschaft geehrt hatten, ist fast schon kitschig. Das hätte sich ein Regisseur nicht besser ausdenken können. Tatsache ist: Über die ganze Saison gesehen, war der VfB meistens auf Augenhöhe mit den Gegnern oder sogar besser, hat aber die Punkte nicht geholt. Nicht vergessen darf man das große Verletzungspech in der Hinrunde. Keine Mannschaft kann den wochenlangen Ausfall von Leistungsträgern kompensieren.

top: Als langjähriger Geschäftsführer in Köln war dieses Spiel für Sie sicherlich mit vielen Emotionen verbunden.

Wehrle: Es war acht Wochen nach dem Ausscheiden in Köln zweifelsohne ein besonderes Spiel. Dennoch gab es in dieser Konstellation nur eine Option: 3 Punkte für den VfB.

top: Den Kommentar, man hätte sich in Stuttgart über den Klassenerhalt gefreut, als sei man Weltmeister geworden, haben Sie ja umgehend gekontert. War der verbale Seitenhieb aus München typisch für Uli Hoeneß?

Wehrle: Ich bin lange genug dabei, um das richtig einordnen zu können. Seine Steilvorlage musste ich einfach verwandeln. Uli Hoeneß stand sicher noch nie vor der Herausforderung, am Ende einer Saison den Klassenerhalt sichern zu müssen. Vor allem aber waren die Emotionen in Stuttgart echt. Auch von der Lautstärke her habe ich so etwas noch nie erlebt. Das zeigt, welche Bedeutung der VfB für die Fans und die Region hat. Auch schon in zahlreichen Spielen zuvor standen die Fans immer hinter der Mannschaft und haben sie gerade auch nach einem Rückstand enorm nach vorne getrieben.

top: Welche Erfahrungen aus Köln sind aus Ihrer Sicht für Ihre neuen Aufgaben in Stuttgart besonders wertvoll?

Wehrle: Neun Jahre an der Spitze eines Bundesligisten mit vielen Hochs und Tiefs prägen einen verständlicherweise sehr stark. Da möchte ich gar keine einzelnen Punkte herausgreifen. Ich habe jedenfalls eine intensive Zeit hinter mir, die ich nun in meine Führungsaufgaben und die strategische Ausrichtung des VfB einfließen lassen werde.

top: Sie kennen den VfB aus Ihrer Tätigkeit in den Jahren 2003 bis 2013 wie Ihre eigene Westentasche. Welche Entscheidungen hätte man in den letzten Jahren möglicherweise anders treffen müssen?

Wehrle: Mit Ferndiagnosen ist man immer schlecht beraten. Es wäre auch viel zu einfach, im Nachhinein Entscheidungen in Frage zu stellen. Das ist nicht mein Stil. Es gab durch verschiedenste Anlässe viel Unruhe beim VfB. Deswegen ist es ein wichtiges Ziel, gemeinsam mit meinen Kollegen im Vorstand und im Präsidium für Ruhe und Kontinuität zu sorgen. Wir wollen als VfB Stuttgart ein verlässlicher Partner sein.

„Eine wichtige Zielsetzung ist es, den VfB als Kulturgut wieder stärker in die Stadtgesellschaft zu integrieren.“

top: Lässt sich zur strategischen Ausrichtung schon etwas sagen?

Wehrle: Wir werden uns dazu äußern, wenn Entscheidungen gefallen sind. Aktuell besprechen wir die Handlungsfelder mit den einzelnen Fachabteilungen. Im Vordergrund stehen Themen wie Infrastruktur, Partnersuche, sportliches Konzept und die Integration junger Spieler in den Lizenzspielerkader. Die U19 ist dieses Jahr schließlich Pokalsieger geworden, die U17 Vizemeister. Eine wichtige Zielsetzung ist es außerdem, den VfB als Kulturgut wieder stärker in die Stadtgesellschaft zu integrieren. In diesem Zusammenhang bietet auch die Fußball-Europameisterschaft 2024 große Chancen.

top: Wo sehen Sie für die nächsten Jahre die größten Herausforderungen für den VfB?

Wehrle: Entscheidend wird es darauf ankommen, den VfB dauerhaft in der 1. Bundesliga zu etablieren. Darüber hinaus wird es darum gehen, die coronabedingten finanziellen Verluste peu à peu zu kompensieren. Wie schon angedeutet, soll auch die Jugend- und Nachwuchsarbeit nochmals verstärkt werden. Und wir begeben uns auf die Suche nach strategischen Partnern, die zu uns passen und die Ausrichtung des VfB mittragen.

top: Wie eng ist der Austausch mit Sven Mislintat und Pellegrino Matarazzo im Hinblick auf spielerische Verstärkungen?

Wehrle: In der Transferperiode tauschen wir uns nahezu täglich aus. Nach dem letzten Spiel haben wir die Saison analysiert. Ziel muss unterm Strich ein wettbewerbsfähiger Kader sein, mit dem wir möglichst früh in der Saison 40 Punkte zusammenhaben, um nicht wieder bis zur letzten Minute gegen den Abstieg zu spielen. Bis in den August hinein wird sich hier noch einiges tun, mehr kann ich dazu noch nicht sagen.

„Man muss es respektieren, wenn junge Spieler anderswo die nächsten Schritte in ihrer Karriere machen wollen.“

top: Eine Frage über den VfB hinaus: Wie sehen Sie als Vorstandsvorsitzender die Entwicklungen auf dem internationalen Transfermarkt? Macht das viele Geld nicht die Spieler und den Fußball kaputt?

Wehrle: Angebot und Nachfrage regulieren jeden Markt. Der europäische Fußball muss allerdings aufpassen, dass er sich durch einzelne Transfers oder Vertragsverlängerungen nicht zu weit von der Basis entfernt und das Rad möglicherweise überdreht. Wir spielen für die Fans und die Menschen, die sich für den Fußball begeistern. Und die dürfen wir nicht verlieren.

top: Es gibt aber nach wie vor kein richtiges Korrektiv.

Wehrle: Das stimmt, wir haben aber in der „Taskforce Zukunft Profifußball“ der Deutschen Fußball-Liga (DFL), deren Präsidium ich aktuell angehöre, eine ganze Reihe von Themenfeldern identifiziert, die alle Beteiligten umtreiben. Die DFL allein kann zweifelsohne keine Veränderungen herbeiführen, gemeinsam mit der Politik wollen wir aber auf europäischer Ebene für Reformen eintreten und eine Vorreiterrolle einnehmen. Das gilt insbesondere in Bezug auf die Deckelung von Spielergehältern, die konsequente Umsetzung eines verschärften Financial Fairplay, die strengere Reglementierung und Kontrolle des Spielerberaterwesens, die Etablierung von Clearing-Stellen für Spieler-Transfers und alle betreffenden Zahlungen sowie die gleichmäßigere Verteilung der UEFA-Gelder an die Clubs.

top Magazin im Gespräch mit Alexander Wehrle

top: Sind in diesen Punkten alle Clubs in Deutschland auf einer Linie?

Wehrle: Es gibt zwischen den 36 Proficlubs der beiden Ligen zwar unterschiedliche Ausgangssituationen und Ansprüche. Insgesamt ist man sich aber einig, dass zum Beispiel auch die im April 2021 ursprünglich von zwölf Fußballclubs in England, Italien und Spanien angestoßenen Überlegungen für eine europäische Super Ligue das Fundament des Fußballs – und das sind letztlich die Fans – konterkarieren. Erfreulicherweise haben sich bis auf Juventus Turin, Real Madrid und den FC Barcelona alle Vereine von dem Vorhaben zurückgezogen.

top: Ist die Verbundenheit der Spieler zu einem Verein noch so gegeben, wie man es aus früheren Zeiten einmal kannte?

Wehrle: Es gibt nach wie vor viele Spieler, die sich klar zu ihrem Club bekennen und ihm über einen langen Zeitraum die Treue halten. Das gilt gerade auch für Spieler aus dem Nachwuchsbereich. Auf der anderen Seite muss man es aber auch respektieren, wenn junge Spieler anderswo die nächsten Schritte in ihrer Karriere machen wollen. Das ist immer eine individuelle Entscheidung, die man keinem Spieler verübeln darf. Damit gehen wir professionell um.

top: Nach dem letzten Spiel im Mai haben die Umbauarbeiten der Mercedes-Benz Arena zu einer der modernsten Fußballarenen in Europa begonnen. Bis zur Fertigstellung 2024 finden die Spiele letztlich auf einer Baustelle statt. Haben Sie nicht Angst, dass dadurch die Stimmung leidet? In dieser Richtung hat sich ja erst kürzlich Hansi Müller geäußert.

Wehrle: Nein, überhaupt nicht. Es gab ja über die Jahre und Jahrzehnte schon mehrere Umbauten. Trotzdem war immer Stimmung. Daran wird sich in Zukunft nichts ändern. Die aktuellen Maßnahmen bringen vorübergehend einen maximalen Kapazitätsverlust von 10.000 Zuschauern mit sich, es passen also immer noch 50.000 ins Stadion. Vor allem die Cannstatter Kurve, die Gegentribüne und die Untertürkheimer Kurve werden weiter mächtig Gas geben und die Mannschaft unterstützen.

„Schon als Jugendlicher habe ich Schuhe gesammelt.“

top: Themenwechsel: Sie designen auch Schuhe. Wie kam es denn hierzu?

Wehrle: Mich als Schuhdesigner zu bezeichnen, ist übertrieben. Aber ich mag Schuhe und über entsprechende Apps kann man ihnen nach der persönlichen Präferenz ein ganz individuelles Aussehen verpassen. Schon als Jugendlicher habe ich Schuhe gesammelt. Das macht mir einfach Spaß.

top: Was war Ihr bisher „verrücktestes“ Design?

Wehrle: Ein Schuh für den Kölner Karneval. Passend zu meiner Kostümierung als Schiedsrichter habe ich mir auf die Schuhe meine beiden Gesichtshälften mit den Brillengläsern drucken lassen. Nach dem Motto: Vier Augen sehen besser als zwei.

top: Wie viele Schuhe haben Sie zu Hause?

Wehrle: Über 500 dürften es sein. Ich gebe aber immer wieder auch Schuhe ab oder spende sie. Das wird sicher jetzt auch nach meinem Umzug der Fall sein.

top: Nach dem Umzug von Köln zurück nach Stuttgart: Was ist der Unterschied zwischen den beiden Städten und den Menschen?

Wehrle: Ich mag beide Städte sehr gerne. Stuttgart ist meine Heimat, hier lebt meine Familie. Ich schätze die vermeintlich zurückhaltende Mentalität der Schwaben. Wenn man aber einmal deren Herz erobert hat, dann für immer. Die Kölner sind für ihre Leichtigkeit und Fröhlichkeit bekannt, man feiert dort gerne und alles. Nachdem ich gespürt habe, dass dies nicht oberflächlich ist, sondern wirklich von Herzen kommt, schätze ich auch die kölsche Art sehr.

Zur Person:

Alexander Wehrle wurde 1975 in Bietigheim-Bissingen geboren. Er studierte in Konstanz und im irischen Limerick Verwaltungswissenschaften sowie Public Policy and Management und begann seine berufliche Karriere 2003 beim VfB Stuttgart. Dort war er bis 2013 Referent des Vorstands, bevor er zum damaligen Zweitligisten 1. FC Köln wechselte. In seine Zeit als Geschäftsführer des FC fiel 2017 die erste Europapokal-Teilnahme des rheinischen Traditionsclubs seit 25 Jahren. Alexander Wehrle etablierte den FC als eine der stärksten Marken der Bundesliga, die unabhängig von sportlichen Erfolgen ein stetiges Wachstum bei Sponsoring und Merchandising verzeichnet, Vorreiter bei Innovation und Digitalisierung ist und – wie der VfB – für gesellschaftliche Werte wie Toleranz, Diversität und Nachhaltigkeit einsteht. Seit August 2019 ist Alexander Wehrle Mitglied des DFL-Präsidiums und seit Ende April 2022 außerdem Aufsichtsratsvorsitzender der DFB GmbH & Co. KG.

Artikel von www.top-magazin.de/stuttgart