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Sven Mislintat, VfB Stuttgart

Erfolgreicher Start im DFB-Pokal, durchwachsener Auftakt in der Bundesliga: Der VfB Stuttgart steht wieder vor einer spannenden Saison mit vielen Herausforderungen. Wie es die zu meistern gilt und worauf es auch in Sachen Kaderzusammenstellung ankommt, darüber sprachen wir mit Sportdirektor Sven Mislintat.


top: Herr Mislintat, durch die im Juli auf der Mitgliederversammlung erfolgte Wiederwahl des bisherigen Präsidenten Claus Vogt konnte der VfB auf allen wichtigen Positionen im Präsidium und Vereinsbeirat Ruhe reinbringen. Das dürfte auch zu Ihrer Zufriedenheit sein – oder haben Sie die vielen Querelen im Vorfeld in Ihrer Arbeit nicht sonderlich tangiert?

Mislintat: Meine Hauptansprechpartner in der täglichen Arbeit sind Thomas Hitzelsperger in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender, Markus Rüdt als Direktor Sportorganisation und natürlich Pellegrino Matarazzo, unser Cheftrainer. Unser Augenmerk lag und liegt immer auf dem Sport, auf der Entwicklung der Mannschaft und auf der Optimierung der Rahmenbedingungen. Nichtsdestotrotz ist Ruhe immer von Vorteil und erst recht, dass die offenen personellen Fragen im Verein beantwortet wurden und wir uns nun geschlossen den großen Herausforderungen
stellen können, die kurz- und mittelfristig auf uns warten.

top: Sie sind beim VfB seit April 2019 als Sportdirektor im Amt. Wie fällt Ihre Bilanz nach inzwischen zweieinhalb Jahren aus?

Mislintat: Nach dem Abstieg war es unser Ziel, möglichst schnell mit einer entwicklungsfähigen Mannschaft den Wiederaufstieg in die Bundesliga zu realisieren und zusätzlich – auch in Anlehnung an die Tradition beim VfB beispielsweise mit dem magischen Dreieck und den Jungen Wilden – eine fußballerische Identität zu schaffen. Mit jungen, hungrigen Spielern und einer insgesamt mutigen Ausrichtung im sportlichen Bereich. Davon konnten wir einiges umsetzen, wir sind deshalb nicht unzufrieden mit der bisherigen Entwicklung. Aber wir wissen auch, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben.

top: Was hätte aus Ihrer Sicht besser laufen können?

Mislintat: Ganz grundsätzlich betrachtet, kann man sich immer verbessern und Prozesse sowie Abläufe optimieren. Der Profifußball hat viele Facetten und beinhaltet auch komplexe Eigenheiten und Abläufe. Fehler wie auch Zufall gehören dazu, davor ist keiner gefeit. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht. Wir analysieren unsere Arbeit sehr intensiv, diskutieren hart und mitunter auch emotional. Am Ende muss es dabei immer – und das ist nach meiner Überzeugung ganz entscheidend – um die Sache gehen, nie um persönliche Eitelkeiten.

top: Wie sieht Ihr Erfolgsrezept für die gerade angelaufene Saison aus?

Mislintat: Wir haben, wie schon angedeutet, gemeinsam einen Weg definiert und eingeschlagen, den wir kontinuierlich weitergehen wollen. Die vergangene Saison hat gezeigt, dass wir mit unseren Qualitäten und unseren Tugenden in der Bundesliga bestehen können. Wir dürfen und werden aber keinesfalls nachlassen, weil die Bundesliga ein knallharter Wettbewerb ist.

top: Als Ziel haben Sie den Klassenerhalt ausgegeben. Ist das nicht ein bisschen wenig?

Mislintat: Wer so denkt, begeht den ersten und einen großen Fehler. Die neue Saison geht bei Null los, das ist keine Floskel, sondern die Realität. In der Vergangenheit wurden beim VfB des Öfteren große Ziele formuliert. Dadurch wurde viel Vertrauen im Umfeld des Clubs verspielt. Dieses Vertrauen müssen wir uns nun wieder verdienen. Mit ehrlicher Arbeit, mit der notwendigen Demut und Bescheidenheit und mit realistischen Saisonzielen.

top: Kommt man sich als Sportdirektor auch mal mit dem Sportvorstand und dem Cheftrainer in die Quere oder wie ist die Zusammenarbeit?

Mislintat: Unsere Zusammenarbeit ist so, wie sie sein sollte. Geprägt von großem Vertrauen, aber auch von der Überzeugung, dass uns nur eine offene und ehrliche Diskussionskultur weiterbringt. Thomas Hitzlsperger, Pellegrino Matarazzo, Markus Rüdt und ich haben das gemeinsame Ziel, mit dem VfB erfolgreich zu sein. Dass es auf diesem Weg auch mal unterschiedliche Meinungen gibt, ist völlig normal. Alles andere wäre ungewöhnlich und brächte auch nicht das bestmögliche Ergebnis.

„Für mich ist mitentscheidend, dass ein potenzieller Neuzugang mindestens ein besonders hervorstechendes Merkmal mitbringt – sozusagen eine Waffe, die er im Spiel gewinnbringend für uns einsetzen kann.“

top: Wie hat Corona das Scouting verändert?

Mislintat: Das Scouting an sich hat sich durch Corona nicht wesentlich verändert. Zu Beginn gab es nur die Einschränkung, dass Scouts wegen der Zuschauerbeschränkungen teilweise nicht in den Stadien vor Ort sein durften. Das hat die Abläufe aber nicht entscheidend beeinflusst. Viel eklatanter sind die Auswirkungen von Corona auf die Budgets der Clubs, weil über einen langen Zeitraum große Einnahmen weggebrochen sind und sich die finanziellen Spielräume dadurch teilweise extrem verändert haben.

top: Welche Rolle spielt beim Scouting die Datenanalyse?

Mislintat: Eine sehr wichtige Rolle. Die Hintergründe sind in wenigen Sätzen aber kaum zu beantworten, weil dieser Themenbereich sehr komplex ist. Wir beschäftigen uns sowohl beim Thema Scouting als auch bei der Spiel- und Trainingsanalyse sehr intensiv mit den erhobenen Daten. Ganz wichtig ist und bleibt aber natürlich auch immer der persönliche Eindruck. In Kombination entsteht so ein möglichst umfassender Gesamteindruck.

top: Was sind für Sie die wichtigsten Kriterien bei einem Transfer? Worauf liegt Ihr Augenmerk ganz besonders?

Mislintat: Für mich ist mitentscheidend, dass ein potenzieller Neuzugang mindestens ein besonders hervorstechendes Merkmal mitbringt – sozusagen eine Waffe, die er im Spiel gewinnbringend für uns einsetzen kann. Am Ende muss aber natürlich das Gesamtpaket stimmen. Dazu gehören unter anderem das Alter, das Entwicklungspotenzial und natürlich auch der finanzielle Rahmen.

“Der Konkurrenzkampf im Nachwuchsbereich hat in den vergangenen Jahren enorm zugenommen.”

top: Die Mannschaft des VfB ist sehr jung. Das dürfte nicht von ungefähr kommen. Schließlich war der Verein über viele Jahre für seine hervorragende Jugendarbeit bekannt. Wie ist der aktuelle Stand?

Mislintat: Der Konkurrenzkampf im Nachwuchsbereich hat in den vergangenen Jahren enorm zugenommen. Wir haben beim VfB auf diese Entwicklung reagiert und uns sowohl personell als auch strukturell neu aufgestellt. Diese Entscheidungen werden sich auszahlen, davon sind wir überzeugt. Insbesondere bei der Ausbildung von Spielern ist aber auch Geduld gefragt, die erhofften Resultate werden sich also nicht von heute auf morgen einstellen.

top: Kurz vor Schließung der Transferliste hat sich der VfB mit dem 22-jährigen Omar Marmoush und dem erst 18-jährigen Wahid Faghir zwei auf dem Markt heiß begehrte Spieler gesichert. Was versprechen Sie sich von den beiden Youngstern und wie passen sie zum Kader?

Mislintat: Omar Marmoush kann im Offensivbereich flexibel eingesetzt werden und ist mit seinen Eigenschaften und Fähigkeiten eine wertvolle Verstärkung für unseren Kader. Er hat seine Qualitäten in der vergangenen Zweitligasaison beim FC St. Pauli und auch in der laufenden Saison bei seinen Einsätzen für den VfL Wolfsburg unter Beweis gestellt. Wahid Faghir haben
wir schon über einen längeren Zeitraum beobachtet. Sein bisheriger Weg ist sehr vielversprechend und wir sehen bei ihm noch viel Entwicklungspotenzial. Wir freuen uns, dass sich Omar und Wahid trotz mehrerer Angebote von anderen Clubs für uns und den Weg des VfB entschieden haben.

top: Eine Frage über den VfB hinaus: Wie sehen Sie als Sportdirektor die Entwicklungen auf dem internationalen Transfermarkt? Macht das viele Geld die Spieler und den Fußball nicht auf Dauer kaputt?

Mislintat: Der finanzielle Aspekt hat im Profifußball schon immer eine wichtige Rolle gespielt. In den vergangenen Jahren haben sich insbesondere auf internationaler Ebene, aber selbst auf internationaler Ebene neben den Werksclubs mit zum Beispiel RB Leipzig und Hoffenheim durch Investoren die finanziellen Kräfteverhältnisse deutlich verschoben. Wo diese Entwicklung hinführt, lässt sich nicht abschließend bewerten. Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass sich alle Beteiligten ihrer Verantwortung für den Fußball auch wirklich bewusst sind.

top: Ist die Verbundenheit der Spieler zu einem Verein noch so gegeben, wie man es aus früheren Zeiten einmal kannte?

Mislintat: Die Verweildauer der Spieler bei einzelnen Clubs ist im Vergleich zu früher sicherlich kürzer geworden. Man tut den Spielern aber aus meiner Sicht Unrecht, wenn man ihnen die Identifikation mit den Clubs pauschal abspricht. Ich kenne viele Beispiele von Spielern, die sehr wohl wissen, was es bedeutet, für einen bestimmten Club zu spielen. Und es gibt ja auch heute
durchaus Spieler, die ihre gesamte Karriere bei nur einem Club verbringen.

top: Wenn Ihre Zeit beim VfB eines Tages endet, soll sie wofür stehen?

Mislintat: So weit möchte ich ehrlich gesagt eigentlich nicht nach vorne schauen. Fußball ist viel zu schnelllebig. Wenn man irgendwann nach meiner Zeit über meine Zeit bei diesem großartigen Club redet, würde ich mich natürlich freuen, es fänden sich positive Beschreibungen und meine Art, Fußball zu arbeiten und zu leben, hätte Einfluss genommen auf eine positive Entwicklung. Sicher ist: Ich werde immer alles geben, um hier jederzeit willkommen zu sein.

Artikel von www.top-magazin.de/stuttgart