Wirtschaft

200 Jahre Universität Hohenheim

2018 wird in Stuttgart nicht nur der 200. Geburtstag des Cannstatter Volksfest gefeiert. Auch die Universität Hohenheim kann auf ihr 200-jähriges Bestehen zurückblicken. Im November 1818 legte der württembergische König Wilhelm I. den Grundstein für eine bis heute ungebrochen innovative und erfolgreiche Bildungsanstalt.


Luftbild vom Hohenheimer Schloss, von Norden aus gesehen

 

Indonesien im April 2015, schon seit einigen Jahren brodelt es kräftig im Vulkan Tambora, und dann bricht er endlich aus. Die Auswirkungen sind verheerend, weltweit kommt es zu einer massiven Verdunklung des Himmels, Tonnen von Asche und Staub in der Erdatmosphäre beeinträchtigten monatelang die Sonneneinstrahlung. Der Sommer 1816 fiel quasi aus, Ernteausfälle in großem Ausmaß und Hungersnöte brachten in der Folge auch hierzulande Not, Hunger und Elend für die Bevölkerung. Dies veranlasste König Wilhelm I. und seine ohnehin bildungsaffine Königin Katharina dazu, zu investieren – und zwar in Bildung und Forschung. Als „Landwirtschaftliche Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt“ ging die Neugründung und Vorläuferin der heutigen Universität Hohenheim am 20. November 1818 in Hohenheim an den Start.

 

Rektor Prof. Dr. Stephan Dabbert bei der Auftaktveranstaltung zum 200-jährigen Jubiläum der Universität Hohenheim

 

Bis heute ist sie ihrem ursprünglichen Bildungsauftrag treu geblieben und stellt Forschung sowie Lehre in den Dienst, um Lösungen für die vielen globalen Herausforderungen zu fi nden. Im jüngsten Ranking der Agrarforschung und Food Science 2018 steht die Universität gar in glänzendem Licht da: In Deutschland ist sie als führende Universität auf Platz eins, im europäischen Kontext auf Platz sechs und in der Liste, die 500 der weltweit besten Universitäten publiziert, auf Platz 21. Dabei werden die internationalen wissenschaftlichen Veröffentlichungen ausgewertet und nach wissenschaftlicher Produktivität, Exzellenz und wissenschaftlichem Einfluss gewertet.

 

Umfangreiches Spektrum und zahlreiche Sonderforschungsprojekte

Dominik Wüst und Markus Gölz im Labor des Instituts für Agrartechnik bei der Kunststoffherstellung aus Chicorée-Salat-Abfällen

Heute bietet die Hochschule unter dem Dach der drei Fakultäten Agrarwissenschaften, Naturwissenschaften sowie Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Heimat für 12 verschiedene Bachelor- und 29 Master-Studiengänge sowie drei Promotionsabschlüsse. An 32 Instituten und zahlreichen weiteren spezialisierten Untereinrichtungen und Fachgruppen wird studiert, gelehrt und geforscht. Knapp 10.000 Studierende zählte die Universität im letzten Wintersemester, dabei machten die Lernenden der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit über 50 Prozent die Hälfte aus. Knapp 30 Prozent studierten Agrarwissenschaften und knapp 20 Prozent Naturwissenschaften. Die Anzahl der Studienanfänger lag bei rund 2.600, davon waren rund 1.500 Frauen und 1.100 Männer. Das wissenschaftliche Personal umfasst knapp 1.000 Personen. Im Januar dieses Jahres waren hiervon 114 Professorinnen und Professoren, wobei der prozentuale Anteil der Professorinnen bei knapp 25 Prozent und damit sowohl über dem Landes- als auch über dem Bundesdurchschnitt lag.

Die herausragende Stellung der Universität erklärt sich nicht zuletzt aus dem hohen Praxisbezug und der unmittelbaren Nähe zur aktuellen Forschung. Um eine ganze Reihe brisanter und komplexer Themen in Forschung und Lehre abdecken zu können, hat die Universität mehrere übergreifende Forschungsschwerpunkte benannt: die Bioökonomie, die Gesundheitswissenschaften sowie die Globale Ernährungssicherung und Ökosystemforschung. Gearbeitet wird in den dafür eingerichteten, gleichnamigen fakultätsübergreifenden Forschungszentren und dem Food Security Center. Durch diese Expertise ist Hohenheim zu einem gefragten Kooperationspartner geworden. Die Forschungszentren koordinieren zudem meist internationale Forschungsverbünde und haben hierbei die Führungsrolle übernommen. Die DFG fördert seit Jahren regelmäßig Forschungsschwerpunkte der Universität.

Aktuell laufen Sonderforschungen beispielsweise zu folgenden Themen: „Growing Advanced industrial Crops on Marginal Lands for Biorefi neries (Grace)“ – das Projekt koordiniert 22 Partner aus Universität, Agrarunternehmen und Industrie zum Thema Biomassenanbau, neue Sorten, innovative Anbaumethoden und der Erschließung ungenutzter Flächen. Oder: „Regionale Forschungsallianz: Ertragsstabilität in dynamischen Umwelten“ – zur Erforschung der Ertragsstabilität unter zunehmend extremen Wetterverhältnissen sollen Erkenntnisse der molekularen Grundlagenwissenschaften erstmals systematisch für den praktischen Züchtungsprozess nutzbar gemacht werden. Oder: „Rapid evolutionary adaptation: Potential and constraints” – im Verbund aus empirischen Studien und theoretischen Analysen werden auf der Basis interdisziplinärer Ansätze (Evolutionsbiologie, Populationsgenetik und Ökologie) und mittels moderner DNA-Sequenziertechnologien sowie der Entwicklung neuer Bioinformatikwerkzeuge Antworten auf die Fragen gesucht: Wie schnell passen sich die Lebewesen (vom Menschen bis zum Mikroorganismus) an veränderte Lebensräume an und welche evolutionären Prozesse sind dabei wichtig?

Einmalig in Deutschland ist die Universität Hohenheim in ihrer Ausrichtung als landwirtschaftliche Versuchsstation. Fünf Standorte und 483 Hektar Land machen sie zur größten in Deutschland. Gemeinsam mit weiteren zentralen Forschungseinrichtungen werden so Infrastruktur und Technik für die Forschung und Lehre serviceorientiert zusammengeführt. Das Land Baden-Württemberg betreibt zusammen mit der Universität drei weitere Landesanstalten – Landesanstalt für Agrartechnik und Bioenergie, Landesanstalt für Bienenkunde, Landessaatzuchtanstalt –, die neben der Forschung auch Aufgaben in Beratung und Forschungstransfer übernehmen.

 

Versuchsanordnung im Hörsaal bei einem Tag der Offenen Tür

 

Bewegte Geschichte

Die Versuchsanstalt gehört somit zu den ältesten Teilen der Universität, steckte ihr Name doch schon im Gründungsdokument der Einrichtung von 1818. In den Folgejahren ergänzten verschiedene weitere Einrichtungen den Gründungs-Agrarschwerpunkt in Hohenheim: 1819 entwickelten Wissenschaftler in der Hohenheimer Ackergerätefabrik maßstabsgerechte funktionsfähige Modelle und versandten diese in alle Welt, 1820 erfolgte die Gründung der niederen Forstschule, 1825 die Erweiterung um die akademische Forstausbildung, 1840 wurde die Gartenbauschule dem Institut angegliedert und 1847 wurde das Landwirtschaftliche Institut per königlichem Erlass zur Landwirtschaftlichen Akademie erhoben.

Bereits 1854 kamen das Fach Agrikulturchemie hinzu, 1875 das Fach Volkswirtschaftslehre. 1904 erfolgte die Umbenennung der Anstalt in Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim. 1905 wurde die Landessaatzuchtanstalt der Universität zugeordnet, 1918/19 erhielt die Universität das Promotions- und Habilitationsrecht, 1922 trat das Rektoratsgesetz in Kraft, nachdem die Universität künftig aus den Reihen der Professoren ihren Rektor wählte. Die Universität zählte rund 1.000 Studierende. Mit der Ernennung von Margarete Baronesse von Wrangel im Januar 1923 zur Professorin in Hohenheim setzte die Hochschule ein klares Zeichen: Die Naturwissenschaftlerin war nicht nur die erste ordentliche Professorin in Hohenheim, sondern an einer deutschen Universität überhaupt. 1933 wurde die Universität mittels eines der NS-Regierung genehmen Rektors gleichgeschaltet, letzte Spuren dieser unrühmlichen Zeit waren die Verpflichtung von rund 250 Zwangsarbeitern in den 1940er-Jahren sowie die Zerstörung von Gebäuden bei den Bombenangriffen 1944.

Nach der Schließung durch die Alliierten im Jahr 1945 gelang bereits 1946 die Wiedereröffnung mit Inkraftsetzung der Verfassung von 1922. Die Anfang des 20. Jahrhunderts eingerichteten Versuchsbetriebe Eckartsweier, Heidfeldhof, Ihinger Hof, Oberer und Unterer Lindenhof, Hof Enzmad und Schuhmacherhof wurden zusammen mit der Hohenheimer Gutswirtschaft (eine reine Ertragswirtschaft) in landwirtschaftliche Laboratorien umgewandelt und dem Institut für Landwirtschaftliche Betriebslehre unterstellt.

1964 wurden gleich zwei Fakultäten eingerichtet, die Naturwissenschaftliche und die Agrarwissenschaftliche, und 1967 folgte als dritte Fakultät die Wirtschafts und Sozialwissenschaftliche Fakultät. Zum 150-jährigen Bestehen der Hochschule änderte man den Namen in „Universität Hohenheim (Landwirtschaftliche Hochschule)“. Der Zusatz in Klammer ist per Universitätsgesetz mittlerweile gestrichen. Bauliche Veränderungen erfolgten zum einen in der Sanierung und dem Wiederaufbau der historischen Gebäude wie dem Schloss und der Flügelbauten in den Jahren 1960 bis 1987. Mit einem Biologiegebäude wurde der Unicampus 1973 erweitert. Seit den 1990er-Jahren erfolgten unzählige Sanierungen weiterer historischer Gebäude sowie der Bau neuer Komplexe wie etwa zuletzt 2016 der große Hörsaal, das Audimax, und seit 2017 das Forschungsgewächshaus.

Die Feier des Jubiläums ist mit umfangreichen größeren und kleineren Forschungsaufträgen zur eigenen Geschichte begleitet worden. Nicht zuletzt gibt es auch eine breit angelegte Aufarbeitung zur NS-Zeit und der Person von Günther Franz, NS-Agrarhistoriker, SS-Hauptsturmführer und 1963 bis 1967 Rektor der Universität.

Absolut eindrücklich ist die Universität Hohenheim aber auch in ihrem landschaftlichen Umfeld. Die historisch gewachsenen Gärten mit ihrem 200 Jahre alten Baumbestand und ihrer Vielgestaltigkeit mit über 4.000 Pflanzenarten laden Besucher zu allen Jahreszeiten zum Staunen und Genießen ein. Ob Botanischer Garten oder das Landesarboretum Baden-Württemberg mit Exotischem Garten und Landschaftsgarten: Auf 30 Hektar bietet das Parkgelände immer neue Anblicke. Interessierte Besucher werden dabei mittels einer Gehölzdatenbank und einem Online-Pflanzenkatalog mit Detailinformationen versorgt. Die Gärten dienen nach wie vor als wissenschaftliche Einrichtung der Universität und stehen täglich zum freien Besuch offen.

 


 

Herausragende Wissenschaftler der Universität Hohenheim

 

Prof. Dr. Johann Nepomuk Hubert von Schwerz (1759–1844)
In Hohenheim von 1818 bis 1828
Pionier der Landwirtschaftswissenschaft und Gründungsdirektor des Landwirtschaftlichen Instituts Hohenheim

Prof. Dr. Heinrich Wilhelm von Pabst (1798–1897)
In Hohenheim von 1845 bis 1850 Direktor der Akademie Hohenheim. Einer der vielseitigsten Agronomen seiner Zeit, später als Ministerialrat Chef des Departments für Landeskultur im Ministerium für Handel und Volkswirtschaft in Wien.

Prof. Dr. Herrmann von Nördlinger (1818–1897)
In Hohenheim von 1845 bis 1852 und 1855 bis 1881
Führender Forstwissenschaftler in Württemberg.

Prof. Dr. Emil Theodor von Wolff (1818–1896)
In Hohenheim von 1854 bis 1895
Begründer der Agrikulturchemie in Hohenheim.

Prof. Dr. Wilhelm Conrad Röntgen (1845–1923)
In Hohenheim von 1875 bis 1876
Nobelpreis für Physik 1901.

Prof. Dr. Oskar von Kirchner (1851–1925)
In Hohenheim von 1881 bis 1917
Führender deutscher Botaniker und Phytomediziner.

Prof. Dr. Carl Fruwirth (1862–1930)
In Hohenheim von 1897 bis 1907
Führender Pflanzenzüchtungs-, Saatgut- und Pflanzenbauwissenschaftler des 20. Jahrhunderts.

Prof. Dr. Friedrich Aereboe (1865–1942)
In Hohenheim von 1919 bis 1922
Maßgeblicher Forscher im Bereich der Landwirtschaftlichen Betriebslehre.

Prof. Dr. Margarete von Wrangell (1877–1932)
In Hohenheim von 1923 bis 1932
Agrikulturchemikerin, erste ordentliche Professorin an einer deutschen Hochschule, Begründerin des Instituts für Pflanzenernährung in Hohenheim.

Prof. Dr. Ernst Klapp (1894–1975)
In Hohenheim von 1934 bis 1936
Acker- und Pflanzenbauwissenschaftler, Begründer einer Grünlandlehre auf der Grundlage der Pflanzensoziologie.

Prof. Dr. Walther Brouwer (1895–1979)
In Hohenheim von 1945 bis 1963
Pflanzenbauwissenschaftler, Herausgeber der Standardwerke zur Samenkunde und zum Speziellen Pflanzenbau.

Prof. Dr. Heinrich Walter (1898–1989)
In Hohenheim von 1945 bis 1966
Geobotaniker und Öko-Physiologe, Begründer des Weltklimaatlas.

Prof. Dr. Heinz Ellenberg (1913–1997)
In Hohenheim von 1948 bis 1953
Biologe, Botaniker und Landschaftsökologe, Wegbereiter der Ökosystemforschung in Deutschland.

Prof. Dr. Josef Knoll (1899–1976)
In Hohenheim von 1961 bis 1966
Pflanzenbauwissenschaftler, Pionier des Landbaus in den Tropen und Subtropen.

Prof. Dr. Burkhardt Frenzel (1928–2010)
In Hohenheim von 1967 bis 1996
Botaniker – Pionier der Vegetationsgeschichte und der Klimaforschung.

Prof. Dr. Horst Marschner (1929–1996)
In Hohenheim von 1977 bis 1996
Agrikulturchemiker auf dem Gebiet der Pflanzenernährung, führender Forscher zum Mineralstoffwechsel der Pflanzen.

Prof. Dr. Bernd Becker (1941–1994)
In Hohenheim von 1983 bis 1994 Botaniker –
Pionier auf dem Gebiet der Dendrochronologie.

 

Quelle: Prof. Dr. U. Fellmeth und Eugen Dierenbach, Universität Hohenheim
Artikel von www.top-magazin.de/stuttgart