Menschen

Der Große Schneidewind 2.0

Günter Schneidewind ist Journalist mit Leib und Seele – und Musikliebhaber. Der sympathische SWR-Moderator kennt Anekdoten und Fakten über Musiker, die so bislang in keinem Rock- oder Poplexikon zu lesen waren. Einen Teil davon präsentierte der 65-Jährige erstmals in seinem 2011 erschienen Buch „Der Große Schneidewind – Rock & Popgeschichten“. Nun hat er einen zweiten Teil nachgelegt: In „Hits & Storys“ erzählt er Geschichten von Songs, die zu Welthits wurden, über deren Entstehung und Hintergrund aber nicht viel bekannt ist.


 

top: Herr Schneidewind, können Sie sich noch an Ihr allererstes Interview erinnern?

Schneidewind: Aber klar doch. Das war mit Samantha Fox für DT64, das Jugendradio der DDR, irgendwann Ende der 1980er Jahre und wurde dann auch sogar gesendet. Mein erstes Interview für den damaligen SDR habe ich 1991 mit Katrina and the Waves geführt. Mir blieb damals wenig Zeit zur Vorbereitung und ich wusste nur, dass sie beim Grand Prix erfolgreich war und gerade ihren Hit „Walking on sunshine“ hatte. Das Interview fand während einer Live-Sendung statt und irgendwann ging die Türe auf und da stand sie. Ich war sehr aufgeregt, sodass ich sie zum Schluss aus Versehen auf Deutsch verabschiedete. Sie antwortete mir prompt in perfektem Deutsch. Es stellte sich dann heraus, dass Katrina Leskanich in Sindelfingen aufgewachsen war, als Tochter eines amerikanischen Offiziers. Hätte ich vorher besser recherchiert, wäre mir das vielleicht aufgefallen.

 

top: Für Ihr neues Buch „Hits & Storys“ haben Sie allerdings unglaublich gut recherchiert. Wie zufrieden sind Sie persönlich mit dem Ergebnis?

Schneidewind: Ich finde es erstaunlich, dass ich es überhaupt zustande gebracht habe. Denn eigentlich wollte ich nach dem ersten kein weiteres mehr schreiben. Ich wurde aber von meinem Verleger sehr gut motiviert und ja, dieses Buch ist besser geworden, als gedacht.

 

top: Haben Sie etwa daran gezweifelt?

Schneidewind: Wie bereits gesagt, stand für mich eigentlich fest, dass ich nie einen zweiten Band schreiben werde. Darum habe ich alle großen Namen schon in das erste Buch gepackt. Allerdings bezieht sich „Hits & Storys“ mehr auf die Songs und deren Entstehungsgeschichte, während in „Rock & Popgeschichten die Künstler und deren Karrieren im Vordergrund standen. Unter diesem Aspekt betrachtet, denke ich, dass ich es ganz gut hinbekommen habe, die Leser mit einigen Überraschungsmomenten zu großen Welthits zum Staunen zu bringen.

 

top: Erzählen Sie uns doch bitte einen dieser Überraschungsmomente.

Schneidewind: Sie kennen doch bestimmt den Song „It never rains in southern California“ von Albert Hammond. Das Lied hatte am Anfang einen improvisierten Refrain, nämlich ‚On the railways of Southern California‘, der dann durch einen Verhörer zu dem wurde, was wir heute kennen. Als Hammond den Song dann einigen Musikerkollegen vorspielte, empfanden sie ihn als den schlechtesten seiner Karriere. Und trotzdem wurde daraus ein Welthit. So kann’s manchmal eben gehen!

 

top: Eine sehr nette Geschichte.

Schneidewind: Ja, leider hat Albert Hammond sie mir erst Anfang 2017 bei einem Mini-Konzert auf dem Stuttgarter Fernsehturm erzählt. Sonst wäre sie bestimmt auch schon im ersten Buch gelandet.

 

Vom Gag zum echten Buch

top: Welches waren die größten Unterschiede für Sie beim Schreiben der beiden Bücher?

Schneidewind: Als ich damals den ersten Band geschrieben habe, hatte ich sehr große Zweifel und habe fast ein Jahr pausiert, weil ich nicht wirklich davon überzeugt war, dass das irgendjemanden interessiert. Mein Verleger meinte aber, ich müsse das Buch auf jeden Fall fertig schreiben. Diese Zweifel hatte ich beim zweiten Teil nicht, den habe ich in einem Rutsch durchgeschrieben. „Hits & Storys“ ist mit 270 Seiten auch wesentlich dünner, als der erste Band. Der hatte knapp 400 Seiten.

 

top: Wie kamen Sie eigentlich zu Ihrem Spitznamen „Der Große Schneidewind“?

Schneidewind: Die Idee entstand durch meinen Kollegen Thomas Schmidt, während der SWR1-Hitparade, als er bei einem Song aus Spaß sagte, er müsse mal kurz im ‚Großen Schneidewind’ nachschlagen. Dieser Witz wurde dann quasi ein Selbstläufer, denn viele Hörer haben damals im Sender angerufen und gefragt, ob es dieses Buch wirklich gibt. Und so entstand auch die Idee zum ersten Buch. Eigentlich passt der Name gar nicht zu mir, da ich eher ein bodenständiger und bescheidener Typ bin. Leider verpflichtet ja so ein Name wie ‚Der Große Schneidewind‘ auch, weil man ständig Antworten auf alle möglichen gestellten Fragen der Hörer haben muss.

 

top: Ihre Radiokarriere begann bei DT64, dem damaligen Jugendradio der DDR. Einige Monate vor der Wiedervereinigung kamen Sie dann im August 1990 im Rahmen des gemeinsamen Projektes Top 2000 D, das zwischen dem damaligen SDR und DT64 veranstaltet wurde, nach Stuttgart und moderieren heute bei SWR 1. Was macht für Sie, nach all diesen Jahren, immer noch die Faszination des Mediums Radio aus?

Schneidewind: Diese Faszination ist schon im Kindesalter entstanden. Ich glaube, für alle, die wie ich aus den 1960er Jahren kommen, war das Radio etwas sehr faszinierendes und besonderes. Diese Musik zu hören, von den Beatles oder Elvis, war grandios. Damals hätte ich mir ja nie träumen lassen, einige dieser Menschen kennenlernen zu dürfen.

 

top: Ist denn aber Radio in Zeiten von YouTube, Facebook oder iTunes überhaupt noch zeitgemäß?

Schneidewind: Für mich persönlich auf jeden Fall, weil ich bis heute immer noch ein „analog guy“ bin. Mit diesen modernen sozialen Medien kann ich nicht viel anfangen. Bei Facebook bin ich deshalb auch nur, weil es heutzutage für die Arbeit erforderlich ist, aber so richtig wohl fühle ich mich damit nicht. Auch bei YouTube bin ich selten unterwegs. Meistens nur zusammen mit meinem Enkel, der sich dort immer gerne Videos von Dampfzügen anschaut. Den Tatort gucke ich mir auch immer sonntags an, wenn er läuft und nicht in irgendeiner Mediathek.

 

Die Beatles sind schuld

Günther Schneidewind
mit Jon Bon Jovi …

top: Kommen wir nochmal zu Ihren Büchern. Darin findet man viele Interviews mit nationalen und internationalen Musikgrößen. Welches davon ist Ihr persönliches Highlight?

Schneidewind: Aus dem ersten Band ganz klar das Treffen mit Paul McCartney. Denn die Beatles sind an allem schuld. Die haben mich 1964, im Alter von elf Jahren, mit dem Pop-Virus infiziert. Davon habe ich mich bis heute nicht erholt. Auf meinem allerersten Foto, dass ich von den Beatles hatte, sah mich Paul so an, als würde er mir sagen, bis später irgendwann … Und im Jahr 2001 war es dann soweit: Ich traf McCartney zum Interview in Berlin und ein großer Traum ging für mich damit in Erfüllung. Paul war sehr nett und fand es interessant, jemanden aus Ostdeutschland kennen zu lernen. Er hat mich damals dann gefragt, wie ich mich nach der Wende fühlen würde, denn man hätte mir ja quasi mein Land platt gemacht. Ich antwortete ihm, dass ich die DDR nicht vermissen würde. Beim zweiten Treffen fragte McCartney mich dann: Vermisst du immer noch nichts? Das fand ich damals wirklich sehr amüsant. Mein persönliches Highlight aus dem zweiten Buch war das Treffen mit Jimmy Page von Led Zeppelin, obwohl ich mit ihm eigentlich nicht viel anfangen konnte, da er ja „nur“ der Gitarrist und nicht der Sänger ist. Ein Sänger ist ja meistens auch der Frontmann einer Band, dessen Stimme man kennt und der auch am meisten zu erzählen hat. Aber wie ist dieser Gitarrist, der sich ja doch eher im Hintergrund hält, aber andererseits der musikalische Architekt von Led Zeppelin ist und alle deren Songs, einschließlich „Stairway to Heaven“, geschrieben hat? Ich war dann erstaunt, wie schüchtern und wie leise dieser Mensch ist. Das fand ich sehr spannend und auch eine ziemlich große journalistische Herausforderung. Als ich ihn dann ein Jahr später wieder traf, erinnerte er sich und sagte: „Deine Interviews gehen ja immer etwas länger. Ich glaube, ich gehe vorher besser nochmal aufs Klo“! Das werde ich nie vergessen (lacht).

 

top: Es gibt da auch noch eine nette Anekdote von Ihnen, Paul McCartney, seiner Frau und einem Buttermesser.

Schneidewind: Stimmt. Das war bei selbigem Interview, von dem ich gerade erzählt habe. Heather Mills war damals seine Gattin und begleitete ihn. Paul und ich saßen in seiner Garderobe und das Interview dauerte etwas länger, als geplant, während Heather dort Brötchen für die Band schmierte. Plötzlich fing sie an, rum zu motzen und mischte sich in unsere Unterhaltung ein. Daraufhin machte ihr Paul eine gewaltige Szene und blaffte sie an, dass er sich nicht unterhalten könne, wenn sie dauernd dazwischen quatschen würde und sie solle sich doch gefälligst ums Essen kümmern. Das ließ Heather natürlich nicht auf sich sitzen, kam angerannt, fuchtelte Paul und mir mit dem verschmierten Buttermesser vor unseren Gesichtern herum und schrie: „Dafür wirst du bezahlen!“ Tja, keiner konnte damals wissen, dass es später wirklich 30 Millionen Pfund werden sollten (lacht).

 

top: Muss man sich eigentlich eine Genehmigung von den Stars geben lassen, wenn man solche Geschichten, die ja doch sehr privat sind, in einem Buch niederschreibt?

Schneidewind: Das ist eine berechtigte Frage. Ich habe im ersten Buch bewusst geschrieben, dass ich eigentlich keine Genehmigungen hatte, solche Sachen zu veröffentlichen. Der Sender, der Verlag und ich haben aber beschlossen, dass wir es trotzdem tun und sollte es hart auf hart kommen, haben sie mir volle Rückendeckung zugesichert. Und bis jetzt kamen auch noch keine Beschwerden.

 

… Jimmy Page …

top: Jetzt möchte ich Ihnen gerne eine Frage von Kollege zu Kollege stellen … Wenn man solche großen internationalen Stars zu Interviews trifft, wie bereitet man sich da am Besten vor?

Schneidewind: Mit viel Leidenschaft, Akribie und einer guten Portion Neugierde. Ich habe mich bei allen meinen Interviewpartnern immer gleich intensiv vorbereitet, egal, ob das nun Philipp Poisel, Paul McCartney, Herbert Grönemeyer, Joe Cocker oder Udo Lindenberg waren. Man muss auch spontan sein, denn oftmals sind diese Persönlichkeiten bei einigen Themen ziemlich wortkarg, das werden Sie selber als Journalist ja auch kennen. Da muss man den Gesprächspartner eben verbal geschickt dorthin lenken, wo man ihn haben will. Das geht aber nur, wenn man wirklich gut vorbereitet ist und wenn man weiß, in welcher Situation der andere gerade steckt: Hat er eine neue Platte veröffentlicht? Läuft da gerade eine Scheidung? Oder befindet er sich momentan eventuell in einer schöpferischen Krise? All das ist wichtig.

 

Von Stars und Sternchen

… Carlos Santana …

top: Brian May, der Gitarrist von Queen, hat einmal über Sie gesagt: „Günter Schneidewind ist ein wahrlich glänzender Interviewer. Er schafft es tatsächlich, dass man viel tiefer in sich selber schaut.“ Das klingt fast so, als seien Sie nicht nur Journalist, sondern auch Psychologe.

Schneidewind: (lacht) Das hat er auf eine ganz bestimmte Interviewsituation bezogen. Damals kam Brian May mit einer jungen Frau Hand in Hand zum Interview. Er war verheiratet, die junge Frau war aber nicht seine Gattin, sondern seine Geliebte, was mir relativ schnell klar wurde. Es ging dann in dem Interview unteranderen um den Queen-Song „Too much love will kill you“, von dem ich dachte, dass er ihn für Freddie Mercury geschrieben hatte, so von wegen mit Männern und mit Frauen, egal, ich nehm’ sie alle, was ihn dann am Schluss umgebracht hätte, aufgrund seiner Aidserkrankung. May hat dann aber von sich aus angefangen zu erzählen, dass es in dem Song eigentlich darum geht, dass jede Trennung wie ein kleiner Tod ist und ein Teil von Dir dabei stirbt. Und wenn so etwas häufiger in deinem Leben vorkommt, stirbt irgendwann alles in dir – im übertragenen Sinne natürlich. Er hat mich da während unseres Gespräches in dieses Thema reingezogen. Vielleicht haben Sie ja recht und ich habe ihn unterbewusst dazu gebracht, mir das alles zu erzählen.

 

top: Gab es denn bei Ihnen auch Interviews, von denen Sie im Nachhinein sagen würden, dass sie ziemlich aus dem Ruder gelaufen sind?

Schneidewind: So direkt nicht, allerdings wäre es fast beim Interview mit Marianne Faithfull so weit gekommen. Sie hatte mich damals nach Paris in ihre Privatwohnung eingeladen, was ja eigentlich schon mal ein Nachteil ist, sollte beim Interview irgendwas schiefgehen. Natürlich hätte sie mich jederzeit rausschmeißen können, aber es ist einfacher, von einem fremden Tisch aufzustehen und zu gehen. Bei diesem Interview ging es unter anderem um ihre aktuelle Platte und ihren Auftritt bei den Jazz-Open, aber eben auch um ihre Beziehung zu Mick Jagger. Allerdings hat sie bei dem Thema total dicht gemacht, wurde sehr energisch und meinte, dass ich das alles doch in ihrem Buch nachlesen könne. Ich habe damals richtig gespürt, wie die Stimmung angefangen hat, zu kippen und hätte wirklich damit gerechnet, dass sie mich demnächst vor die Tür setzt. Zum Glück kam es dann doch nicht so und wir konnten das Interview in Ruhe zu Ende führen.

 

… und Sir Cliff Richard.

top: Sie haben einmal gesagt, dass Sie die Erfahrung gemacht hätten, dass die wirklich großen Stars beim Interview eher entspannter sind, als die Sternchen. Ist das wirklich so?

Schneidewind: Ja, auf jeden Fall. Ich bilde mir auch ein, die Gesetzmäßigkeit hinter diesem Phänomen erkannt zu haben: Wenn die großen Stars keinen Bock haben, dann sagen Sie einfach ab mit irgendeiner Begründung. Aber wenn sie zum Interview erscheinen und sich für einen Zeit nehmen, dann bedienen sie einen im journalistischen Sinne auch ganz gut. Bei den Newcomern oder Sternchen ist es eben so, dass sie denken, sie sind jetzt gerade auf einem totalen Erfolgstrip, der ewig anhalten wird und wollen deswegen auch nur von den Größten der Branche interviewt werden. Und wenn du das nicht bist, hast du eben Pech gehabt.

 

Blick in die Zukunft

Günter Schneidewind mit Boris Mönnich

top: Welche Stars haben denn noch kein Häkchen auf der Interview-Wunschliste des Großen Schneidewinds?

Schneidewind: Also, Bruce Springsteen hätte ich natürlich noch gerne, bevor ich in den Ruhestand gehe. Und Bob Dylan wäre auch großartig, aber leider gibt er ja keine Interviews. Dann wäre Mark Knopfler noch jemand, mit dem ich mich mal gerne unterhalten würde. Ich kann Ihnen sagen, meine Wunschliste wäre so lange, dass ich gar nicht alle Interviews bis zu meinem Ruhestand schaffen würde.

 

top: 2018 ist es bei Ihnen soweit. Was für Pläne haben Sie für die Zeit nach ihrer aktiven Radiokarriere?

Schneidewind: Ein drittes Buch wird es definitiv nicht geben, falls Sie darauf anspielen (lacht). Ansonsten werde ich meine freie Zeit sehr genießen, vor allem im Kreis der Familie. Wie vorhin schon erwähnt, habe ich einen dreijährigen Enkelsohn, dem ich mich vermehrt widmen werde. Mit meiner Frau zusammen möchte ich noch viel verreisen und mir die Welt anschauen. Und ich werde natürlich auch weiterhin auf Lesetour gehen, um nicht ganz einzurosten.

 


 

ZUR PERSON

Günter Schneidewind wurde 1953 in Hoym, einem Ortsteil der Stadt Seeland im südwestlichen Salzlandkreis in Sachsen-Anhalt geboren. Zu DDR-Zeiten unterrichtete er als Lehrer für Deutsch und Englisch an der Paul-Schreier-Oberschule (später Adolph-Diesterweg-Oberschule) in Hennigsdorf. Seine Radiolaufbahn begann bei DT64, dem Jugendradio in der DDR. Einige Monate vor der Wiedervereinigung kam er im August 1990 im Rahmen des gemeinsamen Projektes Top 2000 D, das zwischen SDR3 und DT64 veranstaltet wurde, nach Stuttgart. Für das Hörfunkprogramm SWR1 moderiert er aktuell die Sendung „Guten Abend, Baden-Württemberg“. Günter Schneidewind ist verheiratet und hat eine Tochter.

Artikel von www.top-magazin.de/stuttgart