Wirtschaft

Stuttgart verändert an vielen Stellen sein Gesicht

Die Stadtentwicklung Stuttgarts ist vielen Bürgerinnen und Bürgern ein Dorn im Auge. Großbaustellen, Verkehrschaos und der Verlust historischer Gebäude prägen häufig die Diskussion. Mitunter ist sogar von „Abrissfuror“ die Rede. Nach Ansicht von Peter Pätzold, Bürgermeister für Städtebau und Umwelt, durchläuft die Stadt dagegen einen Prozess des positiven Wandels, wie er im Gespräch mit top magazin erläutert.


 

top: Herr Pätzold, der Stuttgarter Marktplatz liegt Ihnen im Rathaus quasi vor den Füßen. In vielen Städten ist dieser Platz das Aushängeschild der Stadt, der hiesige wird von vielen als öde und hässlich empfunden. Was ist da falsch gelaufen?

Pätzold: Der Platz hat Mängel und ist in die Jahre gekommen, weswegen er ja in den nächsten Jahren auch saniert werden soll. Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass sich in den letzten Jahren die Gebäude am Marktplatz stark verändert haben, sie wurden saniert und es zogen neue Läden ein. Sicherlich war es dem Platz auch abträglich, dass das Café Scholz nicht mehr da ist. Aber das lag eben auch an den hohen Mietpreisen, die von den Immobilieneigentümern aufgerufen werden. Da haben wir als Stadt kaum Handlungsspielraum.

 

top: Sie haben von der Sanierung des Marktplatzes gesprochen. Wie soll diese aussehen?

Pätzold: Wir haben dem Gemeinderat vorgeschlagen, den Bodenbelag und die Beleuchtung zu erneuern sowie den aktuell in einer Mulde zwischen Platanen sitzenden Brunnen anzuheben, damit er mit dem Baumcarré eine Ebene bildet. Außerdem soll die Rathausgastronomie wieder belebt werden, darüber hinaus sind wir mit Breuninger über ein geplantes Café in der ehemaligen BW-Bank-Filiale im Gespräch. Insgesamt sind wir zuversichtlich, dass sich das Erscheinungsbild des Marktplatzes in den nächsten Jahren deutlich verbessern wird. Wenn die Haushaltsmittel genehmigt werden, kann schon 2018 mit den konkreten Planungen und 2019 mit den entsprechenden Baumaßnahmen begonnen werden.

 

„Ich hatte in der letzten Zeit nicht das Gefühl, dass weniger Menschen nach Stuttgart kommen“

 

top: Stichwort Breuninger: Wie gefällt Ihnen denn als Architekt das Dorotheen-Quartier?

Pätzold: Ich empfinde den Komplex als städtebauliche Bereicherung für Stuttgart. Mit dem Dorotheen-Quartier ist ein erfrischend neuer Bau von großer Anziehungskraft entstanden – vor allem im Vergleich zur vorherigen Situation. Meiner Ansicht nach ist es wichtig, dass Menschen durch so attraktive Einkaufsmöglichkeiten nach Stuttgart kommen, um hier zu verweilen, zu flanieren, zu shoppen und die Gastronomie zu genießen. Die Stadt lebt davon, dass es so viele unterschiedliche Geschäfte und Angebote gibt. Was mir Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass sich immer mehr Ketten ansiedeln und die inhabergeführten Einzelhandelsgeschäfte peu à peu verschwinden. Daran hat der Online-Handel einen nicht unerheblichen Anteil. Die Leute lassen sich zwar vor Ort beraten, kaufen aber dann häufig im Internet ein, weil sie die jeweiligen Produkte dort unter Umständen billiger bekommen. Das ist in meinen Augen eine absolute Fehlentwicklung. Wer ein Interesse daran hat, die Vielfalt an besonderen Geschäften vor Ort zu erhalten, muss auch dort einkaufen.

 

Der Radfahrer Peter Pätzold vor der Radfahrzählanlage

Der Radfahrer Peter Pätzold vor der Radfahrzählanlage

top: Ein wichtiges Kriterium speziell für den Einzelhandel in der City ist die Erreichbarkeit. In Stuttgart drohen auf kurz oder lang Fahrverbote, die Zahl der Parkplätze soll reduziert werden. Können Sie verstehen, dass der Einzelhandel auf die Barrikaden geht?

Pätzold: Tatsache ist, dass wir die vorgeschriebenen Grenzwerte einhalten müssen. Und da haben wir schon einiges vor und schon viel gemacht. Dessen ungeachtet ist die Innenstadt sehr gut erreichbar. Der ÖPNV ist gut ausgebaut, es gibt die größte elektrische Car2Go-Flotte weltweit, die Hauptradroute 1 führt direkt durch die Innenstadt und bald kommt noch die P-Buslinie hinzu, die im Fünf-Minuten-Takt von Bad Cannstatt in die Innenstadt fährt. Ich hatte in der letzten Zeit außerdem nicht das Gefühl, dass weniger Menschen nach Stuttgart kommen. Im Gegenteil, es werden immer mehr, weil das Angebot, auch bei der Kultur, so attraktiv ist. Und was das Thema Parkplätze anbelangt: Unter die ehemalige Rathausgarage kommt eine Tiefgarage, im Dorotheen-Quartier gibt es eine neue Tiefgarage und in vielen weiteren Parkhäusern mitten in der City kann man händlernah sein Auto abstellen. Unser neues Parkleitsystem, das voraussichtlich im Frühjahr 2018 an den Start geht, wird auch die Suche nach freien Parkplätzen und damit den Verkehrsfluss weiter verbessern. Wir haben in der Innenstadt rund 12.000 Stellplätze in Parkhäusern und Tiefgaragen – das ist immer noch eine beachtliche Zahl.

 

top: Die Händler in der Markthalle sehen den Wegfall der Parkplätze aber trotzdem kritisch.

Pätzold: Ich denke, dass die Markthalle allein schon aufgrund des einzigartigen Angebots auch in Zukunft keine Kunden verlieren wird. Ich sehe nicht im Wegfall der Parkplätze das Problem. Vielmehr hat sich eine neue Konkurrenzsituation ergeben, da quasi um die Ecke ein Supermarkt mit einem ebenfalls sehr guten Angebot seine Pforten geöffnet hat. Vieles ist vielleicht auch eine Frage des Kundenservices. In der Tübinger Straße haben sich zum Beispiel während des Feinstaubalarms einige Händler zusammengetan und die Waren ihren Kunden per VeloCarrier noch am selben Tag nach Hause geliefert. Vielleicht wäre das auch für die Markthalle eine Option.

 

Auf dem früheren Gelände des Bürgerhospitals sind rund 600 Wohnungen und ein Park geplant.

Auf dem früheren Gelände des Bürgerhospitals sind rund 600 Wohnungen und ein Park geplant.

top: Welche sind denn nun aus Ihrer Sicht die herausragenden Projekte der nächsten Jahre?

Pätzold: Das auf längere Sicht größte Entwicklungsprojekt der Stadt ist neben Stuttgart 21 zweifelsohne das Rosensteinviertel auf den freiwerdenden Gleisflächen mit einer Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Freizeit respektive kultureller Nutzung. Stark beschäftigen werden uns unter anderem auch die Kulturmeile an der B14, die Entwicklung neuer Wohnviertel, zum Beispiel auf dem früheren Gelände des Bürgerhospitals, im früheren Schoch-Areal in Feuerbach oder im NeckarPark sowie die bauliche Neuordnung an der Eberhardstraße rund um den Anbau des Galeria Kaufhof-Gebäudes über der Steinstraße. Nicht vergessen werden darf die 2027 geplante Internationale Bauausstellung (IBA), die das Potenzial besitzt, Stuttgart und die Region nachhaltig zu gestalten und damit Vorbild zu sein für andere Ballungsräume weltweit. Tatsache ist: Stuttgart verändert an vielen Stellen zum Positiven hin sein Gesicht. Dazu tragen auch „kleinere“ Projekte wie der Umbau des Europahaus hinterm Rathaus hin zu einem Designhotel oder die Eberhardhöfe bei, um nur zwei weitere Beispiele zu nennen.

 

top: Stichwort Stuttgart 21: Sie sind nach wie vor ein Gegner des Projekts?

Pätzold: Stuttgart 21 ist über den Volksentscheid entschieden. Insofern bin ich daran interessiert, dass die Baustelle nun so schnell und ordentlich wie möglich abgeschlossen wird, damit wir auch die Flächen so schnell wie möglich für die Umgestaltung des Rosensteinviertels zur Verfügung haben – insbesondere für bezahlbaren Wohnungsbau.

 

„Die Diskussion um die Qualität und Akzeptanz städtebaulicher Entwicklungen erachte ich für ungemein wichtig, da sie jedes Projekt stärkt“

 

Aus dem Europahaus hinterm Rathaus wird ein designorientiertes Boutique-Hotel.

Aus dem Europahaus hinterm Rathaus wird ein designorientiertes Boutique-Hotel.

top: In der Diskussion ist aktuell auch der Interimsbau für die Stuttgarter Oper. Zahlreiche Vorschläge liegen auf dem Tisch – haben Sie einen bevorzugten Standort?

Pätzold: Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt nur den Standort nennen, den ich nicht bevorzuge: den Eckensee. Meiner Meinung nach ist diese Parkfläche mitten in der Stadt zu wertvoll, um sie für einen Interimsbau zu nutzen. Viel wichtiger erscheint es mir, das Opernprojekt als Ganzes im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Staatstheater und die Entwicklung der Kulturmeile zu sehen. Zusammen mit der Diskussion über die Zukunft der B14 eröffnet sich durch die Sanierung der Oper die Chance, endlich die beiden Straßenseiten zwischen Oper und Staatsgalerie zu verknüpfen. Der Wettbewerb hierfür ist in Vorbereitung und wir sind offen für alle möglichen Vorschläge wie zum Beispiel eine Boulevard-Lösung.

 

top: Wo ist denn Ihr Lieblingsplatz in Stuttgart?

Pätzold: Mir gefällt besonders gut der Marienplatz. Das Areal beim Kaiserbau mit den Cafés, den Treppen und dem Brunnen ist ein schöner Ort zum Verweilen, gerade im Sommer.

 

top: Und der hässlichste Ort?

Pätzold: Das „Loch“ des so genannten Österreichischen Platzes unter der Paulinenbrücke. Erfreulicherweise stehen auch hier Veränderungen an. Unser Vorschlag seitens der Stadtverwaltung lautet, die Parkplätze zu entfernen und der Bürgerinitiative „Stadtlücken“ die Gelegenheit zu geben, einen Prozess im Hinblick etwa auf eine kulturelle Zwischennutzung in Gang zu bringen.

 

Auf dem Mailänder Platz im Europaviertel soll bis 2020 ein weiterer Turm entstehen. Als Nutzungen befindet sich in den unteren Etagen ein Hotel, in den oberen Stockwerken ein Boardinghaus sowie untergeordnet Einzelhandel und Gastronomie.

Auf dem Mailänder Platz im Europaviertel soll bis 2020 ein weiterer Turm entstehen. Als Nutzungen befindet sich in den unteren Etagen ein Hotel, in den oberen Stockwerken ein Boardinghaus sowie untergeordnet Einzelhandel und Gastronomie.

top: Sie wurden 2015 zum Bürgermeister für Städtebau und Umwelt gewählt. Können Sie sich vorstellen, das Amt auch über die jetzige Wahlperiode hinaus auszuüben?

Pätzold: Ich habe noch sechs Jahre vor mir, daher stellt sich die Frage jetzt nicht. Aber es ist ein toller Job und eine großartige Aufgabe, die Zukunft der Stadt mitgestalten zu können. Was mir besonders gut gefällt, ist auch die engagierte Bürgergesellschaft in Stuttgart. Dazu kommt, dass wir in Stuttgart so viele Wettbewerbe durchführen wie kaum eine andere Stadt in Deutschland. All dies nimmt viel Zeit in Anspruch. Aber die Diskussion um die Qualität und Akzeptanz städtebaulicher Entwicklungen erachte ich für ungemein wichtig, da sie jedes Projekt stärkt.

 


 

Zur Person

Top-Stuttgart-Stuttgart-veraendert-an-vielen-Stellen-sein-Gesicht-11968 in Nürtingen geboren, hat Peter Pätzold seine Kinder- und Jugendjahre in Oberschwaben verbracht. Nach dem Abitur am Gymnasium Weingarten studierte er an der Universität Stuttgart Architektur und Stadtplanung. Nach zwei Jahren als angestellter Architekt machte sich Peter Pätzold 2001 selbstständig, bis zur Wahl zum Bürgermeister für Städtebau und Umwelt der Stadt Stuttgart am 1. September 2015 arbeitete er als Freier Architekt. Von 2001 bis 2004 war Peter Pätzold Mitglied des Bezirksbeirats Stuttgart-Süd für Bündnis90/Die Grünen, anschließend Mitglied des Gemeinderats der Stadt Stuttgart und von 2011 bis 2015 außerdem Vorsitzender der Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Gemeinderat. Der bekennende Buddhist und begeisterte Radfahrer ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

 

Artikel von www.top-magazin.de/stuttgart