Karl Ernst Osthaus will schon 1900 die Region durch Kunst und Kultur beleben – vor 100 Jahren hält seine Idee in Essen Einzug
„Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“, sagte kein Geringer als Karl Ernst Osthaus. Er ist der Begründer der Folkwang Idee, nennt das Museum für seine ganz besondere Kunstsammlung eben Folkwang – nach dem Saal der nordischen Schönheits und Liebesgöttin Freya. Vor 100 Jahren hielt diese Idee mit dem Erwerb der OsthausSammlung in Essen Einzug. Im Jubiläumsjahr Grund genug für eine besondere Reminiszenz: „Essen – die Folkwangstadt“ prangt nun in riesigen Lettern über der City. Wandel durch Kultur – die Veränderungen von der reinen Industrieregion hin zu einem modernen, lebenswerten Standort, das kann ein Karl Ernst Osthaus, 1921 mit nur 46 Jahren gestorben, zu seiner Zeit noch nicht absehen. Aber der gebürtige Hagener will die heimische, durch Industrie geprägte Region durch Kunst und Kultur mit neuen Akzenten versehen, sie beleben.
Karl Ernst Osthaus, 1874 geboren, stammt aus einer Banker und Industriellenfamilie, erbt beim Tod seiner Großeltern 1886 ein bedeutendes Vermögen, mit dem er eine Kunstsammlung, die ihresgleichen sucht, aufbaut. Kunst und Kunstgewerbe, naturkundliche Stücke, aber dann auch die bewusste Unterstützung damals junger unbekannter, heute berühmter Architekten, prägen seinen Weg als Kunstmäzen, Kulturvermittler und Museumsgründer. Denn ihm reicht es nicht, die Welt zu bereisen, voller Inspiration und neuer Ideen zurückzukehren. Er bekommt eine naturkundliche Sammlung, interessiert sich für moderne Kunst, vor allem die zeitgenössische Malerei. Seine Sammlung umfasst bald alle heute wirklich großen Namen: Von Cézanne und Gauguin über Manet und Renoir, Kircher und Kandinsky bis zu Munch und van Gogh.
Und wieder will der Mann mehr: „Das große Problem der Zeit war die Zurückführung der Kunst ins Leben“, schreibt er selbst in einer Vita von 1918. Basis für sein Museum Folkwang, das dieser Aufgabe „sich seither zu widmen versucht“. Den Namen dafür entlehnt er aus der nordischen Sagensammlung „Edda“. Folkwang heißt dort der Saal von „Freya“, der Göttin der Liebe und der Schönheit. Kunst als Schönheit ist für Osthaus mehr als dekorativ, die Begegnung aller Bürger mit ihr im Folkwang ist für ihn auch eine „volkserzieherische Forderung“. Im Inneren die Kunst, aber auch der Museumsbau selbst soll den Ansprüchen von Osthaus entsprechen. So scharrt er Architekten von Ruf um sich – und viele, die im Laufe ihres Schaffens unterstützt durch Osthaus, eben diesen Ruf noch erwerben werden. Das Ursprungsmuseum entwirft Carl Gérard, später ergänzt durch Henry van de Velde. Durch ihn trifft der Mäzen mit vielen aufstrebenden jungen Architekten zusammen: Peter Behrens, Le Corbusier, Walter Gropius oder auch Bruno Taut arbeiten durch die Vermittlung von Karl Ernst Osthaus in Hagen.
Kultur durch Wandel – „Dichtung, Musik und Tanzkunst fanden im Folkwang vielfältige Pflege“, stellt Osthaus in seiner Vita von 1918 fest. Und das Museum der Dinge bescheinigt dem großen Mäzen: „Durch seine unermüdliche Arbeit hat Osthaus Hagen Anfang des 20. Jh. zu einem Zentrum für neue künstlerische Tendenzen in Deutschland gemacht.“ Als Osthaus stirbt, wechselt seine Sammlung nach Essen. Hier entsteht neben dem Museum Folkwang die Folkwang Schule der Künste und macht Essen heute zur Folkwangstadt. Damit will die Stadt ein Zeichen zum 100jährigen Museumsjubiläum und zum Beginn der „Folkwang-Dekade“ setzen, mit der sich in Essen auch die Gründung der Folkwang Universität der Künste sowie die städtische Folkwang Musikschule verbindet – ein Zeichen für die Bedeutung der Kultur in der Gegenwart – 100 Jahre nach Gründung des Museum Folkwang in Essen.
Essen ist Kunststadt, Fotostadt und Stadt der Bildung. All das vereint im Museum Folkwang, das dieses Jahr auf seine 100jährige Geschichte in der Ruhrstadt zurückblickt. Hier wird im Sinne von Karl Ernst Osthaus, dem Gründer der FolkwangIdee, Kunst und Kultur allen Bürgern „ungeachtet ihres Standes“ zugänglich gemacht. Klar also, dass bis heute die Türen zur Dauerausstellung ohne Eintritt offen stehen. Zu den Werken, die das Museum hütet und den Menschen zeigt, gehören eine große fotografische und eine relevante impressionistische Sammlung. Ihre Grundsteine gehen auf Karl Ernst Osthaus zurück, der bereits um die Wende zum 20. Jahrhundert gänzlich gegen den Trend der Zeit Arbeiten von Renoir oder van Gogh sammelte. Heute gesellen sich Schwerpunkte wie Expressionismus, aber auch Plakate dazu.
Und ganz im Sinne des Gründers präsentiert sich das Museum in einer besonderen Architektur: Finanziert von der Alfried Krupp von Bohlen und HalbachStiftung“ entstand ein neues modernes Museums-Gebäude nach den Plänen von Sir David Chipperfield, der sich nicht nur mit seinem Plan für die Berliner Museumsinsel empfohlen hatte. Passend zum Kulturhauptstadtjahr kann die Stadt Essen das neue Gebäude einweihen, in dem nun der runde Geburtstag angemessen begangen wird.
Was Osthaus bereits als wertvolle Kunst im Sinne seines aufklärerischen Anspruchs erkannte, zeigt das Museum Folkwang in seinem Jubiläumsjahr in einer großen Sonderschau „Renoir, Monet, Gauguin – Bilder einer fließenden Welt“. Hier vereint das Museum die Ursprünge des Folkwang Gründers mit der Sammlung des Japaners Kojiro Matsukata. Rund 120 Werke, darunter Cézanne, Gau guin, Manet, Monet, Renoir, Rodin und van Gogh, zeigen in dieser Ausstellung, wie sich der Impressionismus nach anfänglich kritischen Urteilen zum Beginn der modernen Kunst entwickelte. Dafür sind zum ersten Mal seit den 1950erJahren Teile der Sammlung Matsukata aus dem National Museum of Western Art in Tokio in Europa zu sehen. Neben Meisterwerken des Impressionismus gibt es in der Ausstellung zeitgenössische Installationen der japanischen Künstlerinnen Chiharu Shiota und Tabaimo. Sie läuft bis zum 15. Mai. Wie sehr der Alltag zur Kultur, und die Kultur zum Alltag gehört, lässt sich an der Plakatausstellung unter dem Titel „We want you“ ablesen. Im Jubiläumsjahr befasst sie sich vom 6. April bis 28. August mit der Wahrnehmung dieses Mediums. „Von den ersten Erscheinungsformen des Plakats bis in seine digitale Gegenwart und Zukunft wirft die Ausstellung anhand von wichtigen Exponaten der Plakatgeschichte, u. a. von Lucian Bernhard, Isolde Baumgart, Hans Hillmann, Alfons Maria Mucha, Henri de ToulouseLautrec und Charles Paul Wilp, einen kultur und medienhistorischen Blick auf die Welt der Werbung“, kündigen die Ausstellungsmacher an.
Nach einem Ausflug im Sommer in den urbanen Raum (21. Mai bis 7. August) beschließt eine Ausstellung mit dem 2. Förder und Sammelschwerpunkt des FolkwangGründers das Jahr. „Expressionisten am Folkwang. Entdeckt – Verfemt – Gefeiert“ lässt ab 20. August eines der bedeutendsten Kapitel in der Geschichte des Museum Folkwang lebendig werden: Karl Ernst Osthaus, aber auch sein Nachfolger Ernst Gosebruch, pflegen enge Kontakte zu den wichtigsten Expressionist:innen. Früh stellen sie Werke u. a. von Ernst Ludwig Kirchner, Franz Marc, Paula ModersohnBecker oder Emil Nolde aus und erwerben von ihnen zentrale Arbeiten.