Ruhrrevier

Die Folkwangstadt

Karl Ernst Osthaus will schon 1900 die Region durch Kunst und Kultur beleben – vor 100 Jahren hält seine Idee in Essen Einzug


Ein Haus mit ganz besonderer Geschichte: 1913 als Hotel eröffnet, wurde der Handelshof Jugendheimat des 1902 in Essen geborenen Schauspielers Heinz Rühmann. Seine Eltern Margarethe und Hermann waren die ersten Inhaber. Heute ist das inzwischen denkmalgeschützte Gebäude im Herzen der City, direkt gegenüber vom Hauptbahnhof, zum Wahrzeichen der Stadt geworden. Der Schriftzug „Die Folkwangstadt“ löst im Jubiläumsjahr „Die Einkaufsstadt“ ab.

 

„Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“, sagte kein Geringer als Karl Ernst Osthaus. Er ist der Begründer der Folkwang­ Idee, nennt das Muse­um für seine ganz besondere Kunst­sammlung eben Folkwang – nach dem Saal der nordischen Schönheits­ und Liebesgöttin Freya. Vor 100 Jah­ren hielt diese Idee mit dem Erwerb der Osthaus­Sammlung in Essen Ein­zug. Im Jubiläumsjahr Grund genug für eine besondere Reminiszenz: „Es­sen – die Folkwangstadt“ prangt nun in riesigen Lettern über der City. Wandel durch Kultur – die Verän­derungen von der reinen Industrie­region hin zu einem modernen, le­benswerten Standort, das kann ein Karl Ernst Osthaus, 1921 mit nur 46 Jahren gestorben, zu seiner Zeit noch nicht absehen. Aber der gebürtige Hagener will die heimische, durch In­dustrie geprägte Region durch Kunst und Kultur mit neuen Akzenten ver­sehen, sie beleben.

Karl Ernst Osthaus, 1874 geboren, stammt aus einer Banker­ und Indus­triellenfamilie, erbt beim Tod seiner Großeltern 1886 ein bedeutendes Vermögen, mit dem er eine Kunst­sammlung, die ihresgleichen sucht, aufbaut. Kunst und Kunstgewerbe, naturkundliche Stücke, aber dann auch die bewusste Unterstützung da­mals junger unbekannter, heute be­rühmter Architekten, prägen seinen Weg als Kunstmäzen, Kulturvermitt­ler und Museumsgründer. Denn ihm reicht es nicht, die Welt zu bereisen, voller Inspiration und neuer Ideen zurückzukehren. Er bekommt eine naturkundliche Sammlung, interes­siert sich für moderne Kunst, vor al­lem die zeitgenössische Malerei. Sei­ne Sammlung umfasst bald alle heute wirklich großen Namen: Von Cézanne und Gauguin über Manet und Renoir, Kircher und Kandinsky bis zu Munch und van Gogh.

Und wieder will der Mann mehr: „Das große Problem der Zeit war die Zu­rückführung der Kunst ins Leben“, schreibt er selbst in einer Vita von 1918. Basis für sein Museum Folkwang, das dieser Aufgabe „sich seither zu widmen versucht“. Den Namen dafür entlehnt er aus der nordischen Sagen­sammlung „Edda“. Folkwang heißt dort der Saal von „Freya“, der Göttin der Liebe und der Schönheit. Kunst als Schönheit ist für Osthaus mehr als dekorativ, die Begegnung aller Bürger mit ihr im Folkwang ist für ihn auch eine „volkserzieherische Forderung“. Im Inneren die Kunst, aber auch der Museumsbau selbst soll den Ansprü­chen von Osthaus entsprechen. So scharrt er Architekten von Ruf um sich – und viele, die im Laufe ihres Schaffens unterstützt durch Osthaus, eben diesen Ruf noch erwerben wer­den. Das Ursprungsmuseum entwirft Carl Gérard, später ergänzt durch Henry van de Velde. Durch ihn trifft der Mäzen mit vielen aufstrebenden jungen Architekten zusammen: Peter Behrens, Le Corbusier, Walter Gro­pius oder auch Bruno Taut arbeiten durch die Vermittlung von Karl Ernst Osthaus in Hagen.

Kultur durch Wandel – „Dichtung, Musik und Tanzkunst fanden im Folkwang vielfältige Pflege“, stellt Osthaus in seiner Vita von 1918 fest. Und das Museum der Dinge beschei­nigt dem großen Mäzen: „Durch sei­ne unermüdliche Arbeit hat Osthaus Hagen Anfang des 20. Jh. zu einem Zentrum für neue künstlerische Ten­denzen in Deutschland gemacht.“ Als Osthaus stirbt, wechselt seine Sammlung nach Essen. Hier ent­steht neben dem Museum Folkwang die Folkwang Schule der Künste und macht Essen heute zur Folkwang­stadt. Damit will die Stadt ein Zeichen zum 100­jährigen Museumsjubilä­um und zum Beginn der „Folkwang­-Dekade“ setzen, mit der sich in Essen auch die Gründung der Folkwang Universität der Künste sowie die städ­tische Folkwang Musikschule verbin­det – ein Zeichen für die Bedeutung der Kultur in der Gegenwart – 100 Jahre nach Gründung des Museum Folkwang in Essen.

 

Der Gründer des Museum Folkwang im Alter von 29 Jahren – Ida Gerhardi, Portrait Karl Ernst Osthaus, 1903, Öl auf Leinwand, Osthaus Museum, Hagen

 

 

100 JAHRE MUSEUM – KUNST IST MEHR ALS DEKORATIV

Museum Folkwang – Außenansicht Neubau

 

Essen ist Kunststadt, Fotostadt und Stadt der Bildung. All das vereint im Museum Folkwang, das dieses Jahr auf seine 100­jährige Geschichte in der Ruhrstadt zurückblickt. Hier wird im Sinne von Karl Ernst Osthaus, dem Gründer der Folkwang­Idee, Kunst und Kultur allen Bürgern „ungeachtet ihres Standes“ zugänglich gemacht. Klar also, dass bis heute die Türen zur Daueraus­stellung ohne Eintritt offen stehen. Zu den Werken, die das Museum hütet und den Menschen zeigt, gehören eine große fotografische und eine relevante impressionis­tische Sammlung. Ihre Grundsteine gehen auf Karl Ernst Osthaus zu­rück, der bereits um die Wende zum 20. Jahrhun­dert gänzlich gegen den Trend der Zeit Arbeiten von Renoir oder van Gogh sammelte. Heute gesellen sich Schwer­punkte wie Expressio­nismus, aber auch Plaka­te dazu.

Und ganz im Sinne des Gründers präsentiert sich das Museum in ei­ner besonderen Archi­tektur: Finanziert von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach­Stiftung“ entstand ein neues modernes Muse­ums­-Gebäude nach den Plänen von Sir David Chipperfield, der sich nicht nur mit seinem Plan für die Berliner Mu­seumsinsel empfohlen hatte. Passend zum Kul­turhauptstadtjahr kann die Stadt Essen das neue Gebäude einweihen, in dem nun der runde Ge­burtstag angemessen be­gangen wird.

Was Osthaus bereits als wertvolle Kunst im Sinne seines aufkläreri­schen Anspruchs erkannte, zeigt das Museum Folkwang in seinem Jubilä­umsjahr in einer großen Sonderschau „Renoir, Monet, Gauguin – Bilder einer fließenden Welt“. Hier vereint das Museum die Ursprünge des Folk­wang­ Gründers mit der Sammlung des Japaners Kojiro Matsukata. Rund 120 Werke, darunter Cézanne, Gau­ guin, Manet, Monet, Renoir, Rodin und van Gogh, zeigen in dieser Aus­stellung, wie sich der Impressio­nismus nach anfänglich kritischen Urteilen zum Beginn der modernen Kunst entwickelte. Dafür sind zum ersten Mal seit den 1950er­Jahren Teile der Sammlung Matsukata aus dem National Museum of Western Art in Tokio in Europa zu sehen. Neben Meisterwerken des Impressionismus gibt es in der Ausstellung zeitgenös­sische Installationen der japanischen Künstlerinnen Chiharu Shiota und Tabaimo. Sie läuft bis zum 15. Mai. Wie sehr der Alltag zur Kultur, und die Kultur zum Alltag gehört, lässt sich an der Plakatausstellung unter dem Titel „We want you“ ablesen. Im Jubiläums­jahr befasst sie sich vom 6. April bis 28. August mit der Wahrnehmung die­ses Mediums. „Von den ersten Erschei­nungsformen des Plakats bis in seine digitale Gegenwart und Zukunft wirft die Ausstellung anhand von wichtigen Exponaten der Plakatgeschichte, u. a. von Lucian Bernhard, Isolde Baum­gart, Hans Hillmann, Alfons Maria Mucha, Henri de Toulouse­Lautrec und Charles Paul Wilp, einen kultur­ und medienhistorischen Blick auf die Welt der Werbung“, kündigen die Ausstellungsmacher an.

Nach einem Ausflug im Sommer in den urbanen Raum (21. Mai bis 7. Au­gust) beschließt eine Ausstellung mit dem 2. Förder­ und Sammelschwer­punkt des Folkwang­Gründers das Jahr. „Expressionisten am Folkwang. Entdeckt – Verfemt – Gefeiert“ lässt ab 20. August eines der bedeutends­ten Kapitel in der Geschichte des Museum Folkwang lebendig werden: Karl Ernst Osthaus, aber auch sein Nachfolger Ernst Gosebruch, pflegen enge Kontakte zu den wichtigsten Expressionist:innen. Früh stellen sie Werke u. a. von Ernst Ludwig Kirch­ner, Franz Marc, Paula Modersohn­Becker oder Emil Nolde aus und er­werben von ihnen zentrale Arbeiten.

Artikel von www.top-magazin.de/ruhr