Reise

Il Carnevale

Die Karnevalszeit war in Venedig traditionell die Hauptspielzeit des Theaters. So wurde die Commedia dell’arte zum Vorbild und Paten für die modernen Karnevalsauftritte. Immer schon gab es rauschende Kostümfeste zur Freude der Einheimischen in den schönsten Bauten Venedigs, und auf den Gassen wurden die schönsten Masken präsentiert. Das ist bis heute Kult geblieben.


Ein ausladender Reifrock muss es schon sein, wenn sich die Damen in die standesgemäßen Kostüme des venezianischen Karnevals hüllen. Sie alle sind den Gewändern des alten Adels nachempfunden.

 

Eine Gondelfahrt über die Kanäle gehört in Venedig zu den absoluten Highlights des Karnevals. Daniele delle Vedove als Cavaliere di San Marco und seine Frau Maria haben sich dafür von Maestro Zornetta standesgemäß mit Originalkostümen ausstatten lassen lassen.

Zu einem offiziellen Ritter von San Marco gehört natürlich ein würdiger Ornat, wenn er sich in den berühmten venezianischen Karneval begibt. Und damit kann die Stadt mit ihrer langen Historie des Carnevale di Venezia selbstverständlich dienen – nicht nur ihren Rittern, sondern allen Gästen. Denn Tradition verpflichtet, weiß Daniele, dass die Stadt nach einigen Überlieferungen den karnevalistischen Brauch schon seit dem 11. Jahrhundert durch die gesamte wechselvolle Geschichte hochhält und pflegt. Zum Beginn des venezianischen Karnevals feierten die Menschen am Donnerstag vor Aschermittwoch nämlich den Sieg der Republik über das verfeindete Aquileia und läuteten damit die feierlichen bunten Tage bis zum Aschermittwoch ein. Auf dem Markusplatz spielte unter dem Campanile de San Marco das Marionettentheater, bei dem immer neue Stücke mit den bunten Masken inszeniert wurden. Es gab Lotterien, Akrobaten und Seiltänzer, Zähne wurden gezogen, Astrologen weissagten die Zukunft und Quacksalber verkauften alle möglichen Heilmittel.

 

Der Löwe von San Marco ist auch das Wappentier der Cavaliere di San Marco. Daniele delle Vedove hat die Ehre, zu diesen Rittern zu zählen.

 

Die prächtigen Lampen aus den Manufakturen von Murano sind rund um Venedig allgegenwärtiger Blickfang. So auch in Mira in der Villa Foscari, geschaffen vom berühmten italienischen Architekten Andrea Palladio.

Aus dem Jahr 1548, erzählt Daniele weiter, stammt eine bis heute erhaltene Attraktion: der Engelsflug. Noch immer schwebt zehn Tage vor Aschermittwoch die Königin des Karnevals mit Engelsflügeln an einem Seil vom 99 Meter hohen Glockenturm des Markusdoms über den Platz und eröffnet damit offiziell das bunte Treiben. Dann laden Artisten und Künstler auf unzähligen Bühnen in der ganzen Stadt zum Zuschauen ein. Venezianer, und vor allen Dingen die vielen Besucher, flanieren in den traditionellen Kostümen durch die Gassen oder lassen sich von den Gondolieri über die Kanäle fahren. In den Hotels und Palazzi steigen rauschende Feste. Höhepunkt ist der historische Umzug mit geschmückten Booten auf den Kanälen.

 

 

Das alles sind einfach unvergessliche Tage, und wenn die Zeiten es erlauben, dann lohnt sich ein Trip zum Carnevale di Venezia allemal, verspricht Daniele. Das Hauptspektakel spielt sich im Bereich zwischen dem Markusplatz und der Rialtobrücke ab. Dort drängen sich normalerweise im Karneval die Menschen so dicht an dicht, dass selbst ein Paar aufpassen muss, nicht getrennt zu werden, auch wenn es nicht so frivol zugeht, wie im 18. Jahrhundert, zu Zeiten des legendären Giacomo Casanovas. Der Frauenheld als Hauptfigur von Fellinis Film „Casanova“ ist es auch, der in den 1970er-Jahren den Startschuss für den Karneval als absolute Touristenattraktion gibt.

 

Die schönsten Jungfrauen der Stadt bei der Marienfeier im Al Colombo mit Daniele delle Vedove, Restaurantchef Domenico Stanziani, Künstler Giorgio Bortoli und Tristano, ein Typ wie Al Capone persönlich

 

Die Menschen feiern in den traditionellen historischen Kostümen, schmunzelt Daniele, und natürlich dürfen dazu auch die traditionellen Masken nicht fehlen. Die sind natürlich auch schon aus der Geschichte überliefert und waren einst vor allen Dingen diesem bunten und fröhlichen Treiben vorbehalten. Ab dem 26. Dezember, dem St. Stefano-Tag, durfte man sie in Venedig tragen – um Mitternacht am Faschingsdienstag, dem „Martedì grasso“ war der Zauber dann wieder vorbei. Aber auch zu offiziellen Banketten oder großen Festen der Seerepublik Venedig waren Masken erlaubt. Verarmte Patrizier schätzten außerdem ihren Schutz, wenn sie als Bettler verkleidet um Almosen betteln gingen. Heute sind die Masken längst ebenso Kult wie nahezu unverzichtbares Souvenir aus der Lagunenstadt.

 

 

Um ein Dutzend schöner Jungfrauen rankt sich eine typisch venezianische Legende, die jedes Jahr zum Karneval immer wieder neu inszeniert und zelebriert wird. Mit einer „Festa delle Marie“, einer Marienfeier, hier im Traditions-Restaurant Al Colombo. Damit wird der Befreiung der schönsten venezianischen Jungfrauen, die einst von kroatischen Piraten geraubt wurden, gedacht. 600 Jahre ist das her, die Feier mit den schönsten Frauen, den zwölf Marias in traditioneller Tracht, ist seither als ein vom Verein Venedig für Kunst, Kultur und Geschichte organisierter Schönheitswettbewerb – gepflegte Tradition und Bestandteil des Karnevals.

 

 

Die Schönste ihres Jahrgangs wird ausgewählt und dann in einem offiziellen Akt geehrt. Als Lohn bekommt sie eine Krone mit einem venezianischen Löwen, die Giorgio Bortoli geschaffen hat. Bortoli ist der Spross einer bekannten alteingesessenen Familie, Künstler und in seiner Heimat Venedig und in ganz Italien eine echte Berühmtheit (vgl. TOP RUHR Frühjahr 2020). Er ist wie viele Einheimische, zum Beispiel Tristano, gerne im Al Colombo zu Gast. Denn obwohl das Haus mitten im Zentrum der Stadt, ganz nahe an der Rialtobrücke liegt, gibt es hier keinesfalls eine Touristen-Fütterung. „Hierher kommen die Venezianer zum Essen“, weiß Daniele delle Vedove. In dem alten heimeligen Gemäuer mit unglaublich viel Kunst an den Wänden gibt es genauso gut einen schnellen kleinen Imbiss mit Brot, Käse, Schinken, Salami und köstlichem Mustarda aus Äpfeln, Senfkörnern und ein wenig Chili dazu, wie ein üppiges Essen mit Vorspeisen, Risotto, Spaghetti Muscheln und delikatem frittiertem Fisch, der nicht nur den schönen Marien-Darstellerinnen zur Ehre gereicht. Das gute Essen im Al Colombo hat eine Jahrhunderttradition. Direkt am Theater, an der Calle del Teatro o de la Commedia, kehrten hier auch immer schon die Künstler ein. Nicht nur Schauspieler in ihren malerischen Bühnenkostümen, auch Maler und Bildhauer, wie heute Bortoli, wussten Colombo, das „Täubchen“, zu schätzen. Auch wenn sie sich oft genug den Luxus gar nicht leisten konnten. Also, lächelt Restaurantchef Domenico Stanziani, bezahlten sie mit ihrer Kunst. Eine gerne akzeptierte Währung – dicht an dicht pflastern bis heute Bilder die Wände. Opulente Gemälde in allen nur denkbaren Größen, kleine farbige Tupfer dazwischen, ein buntes Sammelsurium, das hier zu einem einzigen großen Kunstwerk verschmilzt.

 

Venedigs Straßenkarneval verlockt auch zum pompösen Auftritt mit Brokat, Spitze und Geschmeide plus goldener Maske. Viele Gäste betreiben gerne den besonderen Aufwand und hoffen, bei der Preisvergabe für das schönste Kostüm des Jahres nicht leer auszugehen.

 

Und wie könnte es in der Stadt des Karnevals anders sein – immer wieder hat der Pierrot auf diesen Kunstwerken seinen besonderen Platz. Bunt als Harlekin, oder im klassischen Schwarz-Weiß, dieser Pierrot eben, der als Figur des französischen Theaters ja eigentlich ähnlichen Masken des italienischen Straßen- und Jahrmarkttheaters und der Commedia dell’arte des 15. Jahrhunderts entstammt. Und das spiegelt sich in seiner ganzen Farbenvielfalt bis in die heutige Zeit beim Straßenkarneval wider.

 

Wer sich in das bunte Getümmel zwischen Rialtobrücke, Dogenpalast und Markusplatz stürzt, gönnt sich für diese besonderen Tage auch ganz besondere Kostüme, die viel mehr als einfach eine Verkleidung sind. Und der Aufwand hat sogar ein Ziel und einen Lohn: Am Karnevalssonntag wird das schönste Kostüm feierlich prämiert. Und wer standesgemäß in Brokat und Spitze, mit Rüschen und Dreispitz dabei sein möchte, findet vor Ort eine breite Auswahl. Oder besucht einen der letzten echten Kostümschneider und lässt sich dort ganz persönlich einkleiden für den Carnevale di Venezia.

 

 

HARRY’S BAR UND DER BELLINI

Klassiker: Arrigo Cipriani im blauen Zweireiher mit dem typischen Glas, in dem in seiner Bar der Bellini serviert wird

Eine Legende ist in Venedig Harry’s Bar, unweit des Markusplatzes hat sie als Treffpunkt vieler berühmter Menschen Kultstatus erlangt. 1931 von Duo Guiseppe Cipriani und Harry Pickering gegründet, gaben sich hier Größen wie Ernest Hemingway, Charly Chaplin oder Orson Welles dem Genuss eines Besuchs hin. Einen Siegeszug um die ganze Welt hat von hier aus der Bellini angetreten: Eine Mischung aus trockenem Prosecco, gemixt ursprünglich mit einem pürierten halben weißen Pfirsich, entwickelt von Ciprinai 1948 zu einer Ausstellung des Malers Giovanni Bellini. Heute wird er mit Pfirsich-Mark gemacht, ist aber ein Klassiker in Bars rund um die Welt. In Harry’s Bar in Venedig wird es in gedrungenen kleinen Gläsern serviert. „Unsere Gläser sind klein, aber stilvoll. Und wir spielen hier keine Musik. Unsere Musik ist das Geplauder unserer Gäste“, erklärt der heutige Inhaber Arrigo Cipriani. Er hat die Bar 1957 von seinem Vater übernommen und führt sie mit seinen 88 Jahren bis heute nach dem gleichen Konzept. Und das geht auf: Die Plätze in der schlichten Kult-Location sind heiß begehrt und kaum zu haben.

 

Harry’s Bar in Venedig ist Kult, nicht nur zum Karneval
Artikel von www.top-magazin.de/ruhr