Kultur

Hans Martz trifft – Muchtar Al Ghusain

Kulturmanager mit arabischen Wurzeln, Pianist, Grenzgänger zwischen den musikalischen Welten und überzeugter Verfechter einer Beteiligungskultur, die die Bürger bei den wichtigen Entscheidungen mitnimmt. Mit dem neuen Dezernenten für Jugend, Bildung und Kultur sprach Hans Martz, Vorsitzender des Freundeskreises Theater und Philharmonie Essen.


Muchtar Al Ghusain sucht gerne Kirchenräume auf, hier: den Kreuzgang des Essener Doms

 

Herr Al Ghusain, Sie lebten zuletzt noch in Würzburg, sind mit einer deutschen Frau, die Sie beim Studium in Hamburg kennengelernt haben, verheiratet und haben zwei Töchter. Ihr Name verrät, dass Sie arabische Wurzeln haben. Erzählen Sie uns bitte etwas aus Ihrer Biografie.

Ja gerne, ich spreche diese Frage auch gerne aktiv an, weil ich oft höre: Wo kommt der Mann denn her, spricht der überhaupt deutsch, ist der ein Muslim? Also: Es ist
richtig, ich bin in Kuwait geboren. Mein Vater ist 1948 von Palästina über Jordanien nach Deutschland gekommen, um hier zu arbeiten. Er hat meine Mutter, die damals in München lebte und gebürtige Erfurterin war, kennengelernt. Nach der Hochzeit sind meine Eltern zunächst nach Kuwait gezogen, und dort bin ich 1963 auch geboren. Einige Jahre später sind wir dann nach Würzburg gezogen.

Würzburg war also die Stadt, in der Sie aufgewachsen sind und auch studiert haben?

Ja, richtig, ich habe dort Musik studiert und bin eigentlich Pianist. Danach habe ich in Hamburg Kulturmanagement studiert und wurde anschließend Musikschulleiter, dann Kulturamtsleiter in Schwäbisch Gmünd. Die nächste Station war im Niedersächsischen Kulturministerium in Hannover und in den letzten 12 Jahren war ich in meiner alten Heimat, in Würzburg als Dezernent zuständig für Kultur, Schule und Sport. Jetzt freue ich mich sehr auf das Ruhrgebiet.

 

Muchtar Al Ghusain tritt für eine aktive Beteiligung der Bürger ein

 

Sprechen Sie noch Arabisch?

Leider nicht, nur noch ein paar Worte. Die Sprache ist mir zwar noch sehr vertraut, aber da wir zu Hause immer Deutsch gesprochen haben, ist Deutsch eben meine Muttersprache.

Sie haben zu Anfang des Gesprächs gesagt, dass Sie Musik studiert haben. Was war der Grund, diesen Weg nicht weiterzugehen, sondern stattdessen den Weg des Kulturmanagements zu wählen?

Nun, als Konzertpianist lebt man natürlich in der Konkurrenz vieler guter und sehr guter Musiker. Und wenn man ehrlich zu sich selbst ist, muss man sich fragen, ob man sich auf dem gleichen Level bewegt und damit sein Berufsleben bestreiten könnte. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich noch andere Talente und Interessen habe und dass ich das, was ich im Studium gelernt habe, auch anders einbringen kann.

Und diesen Gedanken haben Sie dann weiterverfolgt?

Ja, ich hatte das Glück, nach dem Studium sofort eine verantwortungsvolle Leitungsfunktion zu bekommen, und so war der Weg ins Management geebnet.

Sie sind ja sehr vielseitig, denn Sie spielen neben Klavier auch Blockflöte und Gitarre – was bedeutet Musik für Sie?

Ich genieße es, Grenzgänger zwischen den verschiedenen musikalischen Welten zu sein. Egal, ob es Barockmusik oder klassische Musik, bis hin zur aktuellen populären Musik ist, ich bin vielseitig interessiert.

Sie haben zwei Töchter. Spielt Musik auch im Hause Al Ghusain eine Rolle?

Ja, das habe ich jahrelang mit meinen Kindern gepflegt, und da bin ich auch ein bisschen stolz drauf, denn wir haben es wirklich geschafft, neun Jahre lang jeden Morgen vor der Schule zusammen zu üben. Mir war es schon als Musikschulleiter wichtig, den Eltern der Kinder zu sagen: „Sie müssen das Üben als gemeinsame Familienzeit gestalten. Sie dürfen die Kinder nicht in ein Zimmer schicken und sie dann dort alleinlassen“. Ich habe das mit meinen Kindern lange durchgehalten und heute ist die Musik auch für meine Kinder ein fester Bestandteil geworden.

Wie erleben Sie die kulturelle Situation hier in Essen im Vergleich zu Würzburg?

Essen ist eine lebendige Großstadt und bewegt sich auf nationaler und internationaler Ebene. In diesem Jahr war das bundesweit bekannte Festival „Tanzplattform“ in Essen zu Gast, und die Verleihung des Deutschen Tanzpreises war ein wirklicher Höhepunkt. Aber auch mit dem Weltkulturerbe Zollverein, einem vibrierenden und spannenden kulturellen Ort, hat Essen eine internationale Position erlangt.

Was wäre nach Ihrer Ansicht verbesserungsfähig oder -würdig?

Ich finde, hier in Essen ist vieles richtig und gut, aber wie in anderen Städten auch, könnte die Wahrnehmung und Wertschätzung der freien Kulturszene besser werden. Wir sind natürlich stolz auf unsere hochkarätigen und international anerkannten Kultureinrichtungen, ob es das Museum Folkwang, das Aalto-Theater oder die Philharmonie sind. Aber es gibt gleichzeitig eine unglaubliche Fülle an freien Kulturträgern, die mit professionellen Künstlern arbeiten, die aber am Existenzminimum leben, keine sicheren Strukturen und kein sicheres Einkommen haben. Ich würde mir hierfür eine größere Balance wünschen, denn hier wird ein wichtiger Beitrag für die Gesellschaft erbracht.

Sie sprechen das Thema Förderung an. Müsste sich nicht auch bei der Bundes- oder Landesförderung etwas ändern?

Grundsätzlich finde ich es sehr erfreulich, dass sowohl der Bund wie auch das Bundesland Nordrhein-Westfalen ihre Kulturförderung kontinuierlich und deutlich ausgebaut haben. Die Städte wie auch die Künstler und die Kulturinstitutionen brauchen aber große Freiheit in der Umsetzung. Die Forderung nach Qualität und Innovationsbereitschaft in Verbindung mit soliden Besucherzahlen reicht als politische Vorgabe oft schon aus. Nicht jedes Jahr oder alle drei Jahre wieder alles in Frage stellen und neue Anträge schreiben müssen, das würde viel Ruhe hineinbringen und Verlässlichkeit und zugleich Existenzängste nehmen.

Sie sind als Kulturmanager bei der Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel immer im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen der Kultur, der Jugendarbeit und anderer Bereiche der Gesellschaft. Alle fordern zu Recht, dass sie möglichst einen großen Anteil der zur Verfügung stehenden Mittel erhalten. Wie erleben Sie diese Diskussion?

Man darf die unterschiedlichen Politikfelder nicht gegeneinander in Stellung bringen. Kultur, Soziales, Sport, Infrastruktur – alles gehört zur Stadtgesellschaft dazu. Es ist die Kunst der Politik und der Verwaltung, diese vielen unterschiedlichen Aufgaben so auszugleichen, dass der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gewahrt bleibt. Der Kompromiss ist eine wunderbare Errungenschaft der Menschheit. Er ist das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses. Aber viele wollen heute keine Kompromisse mehr und polarisieren durch aggressive Zuspitzung zur Durchsetzung ihrer jeweils eigenen Interessen. Wir müssen aber allen berechtigten Interessen die gleiche Wertschätzung entgegenbringen, Kompromisse finden und einen transparenten, nachvollziehbaren Entscheidungsprozess organisieren.

Sie haben das Stichwort „Infrastruktur“ genannt. Es gibt ja eine große Diskussion um die Infrastruktur: sanierungsbedürftige Schulen, zu große Klassen, zu wenig Lehrer. Ist das für Sie eine Herausforderung?

Ja, in der Tat. Erinnern wir uns: Der Wohlstand in der Bundesrepublik ist maßgeblich auch durch die Menschen im Ruhrgebiet erwirtschaftet worden. Das Ruhrgebiet hat sich in den letzten Jahrzehnten aber erheblich verändert, und heute brauchen wir große Investitionen in unsere Schulen, Kitas und öffentlichen Gebäude. Und wir brauchen Menschen, die diese Häuser mit Engagement und Kreativität nutzen und gestalten. Die Berufe im Handwerk, in der Pädagogik, im Sozialbereich und auch in der Kultur verdienen eine höhere gesellschaftliche Anerkennung. Nur dann sind junge Menschen auch bereit, diese Berufe zu ergreifen. Wir sind alle gefordert, daran mitzuwirken, ein Klima der Wertschätzung und des Respekts aufzubauen. Wir brauchen Zeichen der Ermutigung, um diese Herausforderungen zu meistern.

Sie haben mal gesagt: „Unser Schulsystem läuft komplett am Anschlag.“ Was meinen Sie damit?

In den letzten Jahrzehnten war das Schulsystem einem ständigen Veränderungsdruck ausgesetzt: neue Lerninhalte und Methoden, Inklusion von Behinderten, Integration von Migranten, G9-G8-G9, Mittagessen, Ganztagsschule, Schulsozialarbeit, allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen. Dazu kommen Schulgebäude in teilweise prekärem Zustand und ein aktuell besonders dramatischer Mangel an Schulraum. Es ist eigentlich erstaunlich, dass vieles noch so gut gelingt und viele Pädagogen sich immer wieder mit großem Engagement und Beharrlichkeit für ihre Schüler einsetzen. Bei allem Veränderungsdruck braucht es aber eine gute Balance zwischen Besonnenheit und guten Konzepten auf der einen Seite und Entscheidungsfreude und Tatkraft auf der anderen Seite.

Essen war 2010 Kulturhauptstadt. Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für Essen und für die gesamte Region gehabt?

Ich denke, eine ganz große Bedeutung. Und zwar über die Jahre hinweg, denn wer einmal Kulturhauptstadt war, der bleibt immer Kulturhauptstadt. Das ist ein Prädikat, das immer mit der Stadt verbunden bleiben wird und das der Stadt ein Alleinstellungsmerkmal gibt.

Vor dem Hintergrund begrenzter finanzieller Mittel gab es in der Vergangenheit immer mal wieder Diskussionen über die Sparten der TUP. Ist das aktuell ein Thema?

Ich kann nicht erkennen, dass dieses Thema im politischen Raum diskutiert wird. Die Landesregierung erhöht bis 2022 ihre Förderung für die kommunalen Theater um 30 Millionen Euro. Der Rat der Stadt Essen hat im Gegenzug beschlossen, keine Kürzung vorzunehmen. Das sind doch ermutigende Signale!

Was beschäftigt Sie zurzeit am meisten?

Es gibt so vieles … Ich nenne die Fragen rund um Schulentwicklung und Kita-Ausbau. Das hat Priorität. Wir müssen und werden hier eine Menge investieren, aber wir müssen es auch richtig machen. Dazu gehört: Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen. Deshalb ist es mir ein großes Anliegen, in meinem Verantwortungsbereich eine Beteiligungskultur zu etablieren, in der Kinder und junge Menschen, ebenso wie Eltern und Erzieher und Pädagogen mitreden und mitentscheiden dürfen – denn Beteiligung schafft mehr Akzeptanz und damit auch mehr Zufriedenheit in unserer Stadt.

 


 

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Artikel von www.top-magazin.de/ruhr