Menschen

Hans Martz trifft Jessica Muirhead

Donna Anna, Agathe, Pamina, Mimi, Musetta, Micäela, Violetta hat sie schon gesungen. An großen Opernhäusern ist sie zu Hause und seit 2015 festes Ensemblemitglied am Aalto-Theater in Essen. Die sympathische und sehr begabte Künstlerin erhält den Aalto-Bühnenpreis. Auf dem Weg zu einer großen Karriere sprach Hans Martz*, Vorsitzender des Freundeskreises Theater und Philharmonie Essen mit ihr. * Vorsitzender des Freundeskreises Theater und Philharmonie Essen e.V.


Jessica Muirhead freut sich über den Aalto-Bühnenpreis

 

Frau Muirhead, Sie sind in Lancashire, England, geboren und mit drei Jahren zusammen mit Ihren Eltern nach Kanada gegangen. Was verbindet Sie mit Kanada?

Kanada ist meine Heimat! Ich bin in Aurora (Ontario) aufgewachsen, mit 18 Jahren nach Montreal gegangen und habe dort meinen Bachelor und den Master of Music an der McGill University gemacht.

Gibt es eine familiäre Vorbelastung, die Sie frühzeitig mit der Musik in Kontakt gebracht hat?

Ja, meine Mutter singt und hat eine wunderbare Stimme, mein Vater spielt Gitarre und die ganze Familie hat viel zu Hause gesungen. Das war ganz normal für uns, denn wir sind eine große Familie – ich habe fünf Geschwister – und was kann man dann zu Hause gemeinsam tun, wenn die finanziellen Möglichkeiten begrenzt sind? Wir haben eben viel Musik gemeinsam gemacht.

Was haben Sie gedacht, als Hein Mulders Sie nach Essen geholt hat?

Mein erster Kommentar war: „Oh my god, where is Essen?“ Jetzt fühle ich mich sehr wohl hier. Ich mag die Menschen – sie sind sehr offen und freundlich und die Stadt ist sehr sympathisch, aber man muss sich auf sie einlassen und sie kennenlernen – bei mir war es eine Liebe auf den zweiten Blick.

Welche Hobbys haben Sie? Wie verbringen Sie Ihre Freizeit, wenn Sie nicht auf der Bühne stehen?

Oh je, Hobbys – eigentlich war singen mein Hobby. Aber ich mache auch alles gerne, was draußen in der Natur stattfindet. Als ich in Wien wohnte, war ich immer im Wiener-Wald. Hier in Essen bin ich oft im Essener-Stadtwald, denn ich wohne hier um die Ecke im Südostviertel und ich finde, der Stadtwald ist eine wunderbare Oase mitten in der Stadt. Außerdem ist er nahe an meinem Arbeitsplatz, dem Aalto-Theater.

Sprechen wir über Ihre bisherigen Engagements. Das Aalto-Theater, in dem Sie in „The Greek Passion“ debutierten, ist ja eine von einer ganzen Reihe von Stationen, die Sie schon in viele Teile dieser Welt geführt hat. Können Sie kurz Ihren beruflichen Lebensweg schildern?

Ja, jetzt muss ich überlegen: Also ich hatte mein europäisches Debüt als Pamina in „Die Zauberflöte“ an der Volksoper Wien. Habe dann in Kanada an der Canadian Opera Company verschiedene Hauptrollen gesungen, danach an der Bayerischen Staatsoper in München u. a. die Musetta in „La Boheme“ gesungen. Dann folgten Stationen in Wien, Dresden an der Semper-Oper, in Hamburg und natürlich in Lissabon, das war auch super schön. Dort könnte ich – ebenso wie in Wien – für immer und ewig wohnen. Aber ehrlich gesagt, mein Herz wird immer in Kanada sein.

Sie haben auch bei Festspielen gesungen, u. a. die „Alice“ in „Falstaff“ in Glyndebourne, Sussex (England). Dieses Festival ist ja bestimmt ein besonderes Erlebnis?

Ja, auf jeden Fall, das war toll. Es hat dort eine ganz besondere Atmosphäre. Das Festspielhaus ist super und die Pausen sind dort 1,5 Stunden lang und es ist unglaublich: Das gesamte Publikum sitzt dann festlich gekleidet mit Picknickkörben auf der Wiese, hat Spaß und feiert die Festspiele im Freien.

Ein magisches Erlebnis, das mich besonders beeindruckt und begeistert hat. Wenn Sie auf Ihre bisherige Karriere zurückblicken – was ist dann der bisherige Höhepunkt gewesen? Gibt es irgendein Haus, eine Oper, eine Rolle, die Sie besonders mögen?

 

Jessica Muirhead – nicht nur auf der Bühne – auch in der Natur zu Hause

 

Oh Gott, das ist ganz schwer zu sagen, denn ich hatte viele Höhepunkte in meiner bisherigen Karriere und nach einem Höhepunkt kam immer noch ein neuer. Okay, ich habe mit Anna Netrebko gesungen. Das war sicher ein Höhepunkt, aber ich habe so viele wunderbare Sachen gemacht und mit so vielen wunderbaren Menschen.

Für Sängerinnen und Sänger gibt es ja immer Rollen, die besonders anspruchsvoll sind. Was sind für Sie die Partien, die Sie für sehr schwierig halten?

Also ich glaube die „Vitellia“ in der Oper „La clemenza di Tito“ oder die „Rosalinde“ in der „Fledermaus“ – beide sind soo schwer! „Rosalinde“ hört nie auf und am Anfang des ersten Aktes ist es besonders anspruchsvoll. Als Zuschauer hört man das nicht unbedingt, aber jedes Terzett oder Duett ist so unendlich lang – fast wie eine Arie – und fordert einen unglaublich. Und die Arie „Klänge der Heimat“ ist eine der schwierigsten im lyrischen Sopranrepertoire.

Was ist denn Ihre Liebslingsrolle?

Puh – auch schwierig – ich habe gerade hier die „Elsa“ gesungen, das war fantastisch, aber wahrscheinlich ist es die „Margaretha“ in „Faust“.

Worin werden wir Sie denn hier am Aalto-Theater in der nächsten Spielzeit noch sehen?

Ich singe die „Micäela“ in „Carmen“, die „Agathe“ in „Der Freischütz“, die „Mimi“ noch mal in „La Boheme“, die „Donna Anna“ in „Don Giovanni“ (singe ich auch sehr gerne!) und ! (ganz stolz) ich mache mein Debut als „Rusalka“ und als „Luisa Miller“. Das sind zwei ganz wichtige Rollen für mich.

Wie lange braucht man, um so eine Rolle einzustudieren?

Also für „Rusalka“ so lange wie möglich, denn das singe ich auf tschechisch und das ist sehr schwierig. Ich habe jetzt schon angefangen, zu lernen, obwohl die Oper erst in einem Jahr auf dem Spielplan steht. Ja, ich glaube man braucht so etwa ein Jahr, um die Rolle zu verstehen und zu lernen.

Und: Wie behält man die Texte?

Das ist kompliziert. Es hängt aber auf jeden Fall zusammen mit der Musik. Nur Text zu lernen ist sehr anstrengend, aber in einigen Opern auch notwendig. In Fledermaus oder Freischütz gibt es auch Dialoge zwischendurch und bei mir bleiben sie nie im Kopf. Ich muss sie immer wieder neu lernen. Wenn ich den Text aber mit einer Melodie verbinden kann, geht das viel einfacher.

Lernen Sie alle Partien und Texte allein oder haben Sie dabei Unterstützung?

Also, grundsätzlich arbeite ich schon allein, um die Texte und die Musik einzustudieren. Ich gehe aber auch zu einem Sprachcoach und zu einem Repetitor. Aber danach gehe ich noch zu meiner Lehrerin – sie ist 95 Jahre alt und wohnt New York. Ich finde, es ist wichtig für mich, „mit anderen Ohren“ zu arbeiten, denn als Sängerin hört man sein Instrument, die Stimme, anders als das Publikum.

Was finden Sie denn am Aalto-Theater so besonderes – was begeistert sie an dem Haus?

Alles! Es fängt mit dem Pförtner an. Man kann schon am Bühneneingang erkennen, wie die Atmosphäre an einem Haus ist. Die ganze Mannschaft, das ganze Team ist wirklich fantastisch. Natürlich ist die Akustik sensationell. Ich finde, das Haus hat genau die richtige Größe – es ist perfekt – nicht zu klein und nicht zu groß. Ich habe hier das Gefühl, dass ich alles, was ich mit meiner Stimme zum Ausdruck bringen will, tun kann. Das Haus trägt die Stimmen von Solisten und Chor wunderbar und es gibt einem als Sängerin auch ein sehr gutes Gefühl dafür, wie man beim Publikum ankommt. Alles ist eng beieinander und es gibt nicht so viel Distanz zwischen der Bühne und dem Publikum und das spürt man auch auf der Bühne. Auch die Architektur ist etwas ganz Besonderes. Das Aalto-Theater ist sicher eines der schönsten Opernhäuser Deutschlands. Und natürlich muss ich das Orchester nennen. Die Essener Philharmoniker mit Thomas Netopil sind ein wahnsinnig gutes Orchester, mit dem es sehr viel Spaß macht, zusammenzuarbeiten.

 

Singing in the Rain im Park von Schloß Hugenpoet

 

Was sagen Sie zum Essener Publikum? Ehrlich!

Die Menschen sind wunderbar, nicht nur im Theater. Ich fühle mich inzwischen hier sehr wohl, denn die Menschen sind neugierig, offen und freundlich, das ist nicht überall in Deutschland so.

Frau Muirhead, haben Sie „Lampenfieber“ vor der Vorstellung?

(lacht) Lampenfieber, – das Wort kenne ich wirklich nicht. Was ist das?

Ich meine damit: Sind Sie aufgeregt vor der Vorstellung? Viele Künstler haben ja in der Garderobe bestimmte Rituale vor einem Auftritt – Sie auch?

Nein, das habe ich nicht mehr. Natürlich ist der Adrenalinspiegel hoch, aber ich habe keine Angst mehr vor dem Auftritt. Für mich ist jeder Auftritt etwas Besonderes, aber eigentlich auch etwas ganz Normales: Ich komme zur Arbeit, gehe in die Maske und dann auf die Bühne. Aber nach der Vorstellung bin ich sehr aufgeregt, denn ich identifiziere mich voll mit der Rolle, habe mein Herz und meine Seele geöffnet und kann dann nicht schlafen.

Wenn Sie heute entscheiden könnten, würden Sie etwas anders machen in Ihrem Leben?

Nein, ein ganz klares Nein. Ich wollte zwar mal Apothekerin werden, aber das ich mich entschieden habe, Sängerin zu werden, war absolut richtig. Ich hatte nie einen Lebensplan und ich habe immer noch keinen. Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass nicht ich entscheide, was passiert, sondern dass das schon in meinem Lebensplan entschieden ist. Ich nehme das Leben so, wie es kommt und wie es für mich bestimmt ist.

Natürlich ist die klassische Musik Ihr Leben, aber gibt es darüber hinaus noch Musik, die Sie gerne hören?

Aber klar, ich liebe Justin Timberlake, Billy Joel oder Celine Dion – ich bin ein großer Fan von ihr und natürlich ist sie auch Kanadierin!

Haben Sie eine Lebensweisheit, ein Motto?

(denkt nach) Ja, „Go with the flow!“ – Sei offen! Ja, ich glaube, das ist es.

Was bedeuten Kritiken für Sie? Freuen und ärgern Sie sich bei guten oder schlechten Kritiken?

Na ja, ich versuche, die Kritiken nicht an mich heranzulassen – das geht natürlich nicht immer, besonders bei den sozialen Medien heute. Manchmal komme ich aus einer Vorstellung und meine, das war eine gute Vorstellung und ich habe alles gegeben. Und dann lese ich die Kritik und bin sehr enttäuscht.

Mit welchem Regisseur oder Dirigenten arbeiten Sie denn besonders gerne?

Mit Tatjana Gürbaca, wow – mit ihr habe ich „Lohengrin“ in Essen gemacht – sie war toll. Als Dirigent schätze ich Marko Letonja. Ich habe mit ihm und dem Bayerischen Rundfunkorchester ein Carmen-Konzert live im Radio und auch meine erste „Mimi“ in Maribor gemacht. Es gibt nicht viele Dirigenten, die sowohl mit dem Orchester als auch mit Sängern gut arbeiten können. Er kann es und ist ein großer Künstler.

Frau Muirhead, vor wenigen Tagen hat Ihnen der Freundeskreis Theater und Philharmonie den Aalto-Bühnenpreis verliehen. Der Preis ist in diesem Jahr von der Goldschmidt Thermit GmbH gespendet worden. Für dieses Engagement sind wir sehr dankbar. Mit dem Aalto-Bühnenpreis werden bekanntlich Künstler für besondere Leistungen in der Oper, im Ballett, im Schauspiel oder im Orchester ausgezeichnet. Auch Torsten Kerl, der eine Weltkarriere gemacht hat und mit dem Sie im Juli in Japan singen werden, ist Träger dieses Preises. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?

Für mich ist es eine große Ehre! Ich liebe meinen Job, meine Kollegen und mein Publikum. Das ist schon Preis genug! Aber das der Freundeskreis Theater und Philharmonie Essen an mich gedacht hat, finde ich unglaublich schön.

 


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Artikel von www.top-magazin.de/ruhr