Kultur

DAS LEBENSGEFÜHL DER ZWISCHENZEIT

STEFANIE CARP IST DIE NEUE INTENDANTIN DER RUHRTRIENNALE – IHRE ERSTE SPIELZEIT STARTET AM 9. AUGUST


 

Für die nächsten drei Jahre hat Stefanie Carp als Intendantin die künstlerische Leitung der Ruhrtriennale

Die fundamentalen gesellschaftlichen Umbrüche und Aufbrüche der Gegenwart stehen im Fokus der ersten Ruhrtriennale der neuen Intendantin Stefanie Carp, die gemeinsam mit dem Artiste associé Christoph Marthaler bis 2020 die künstlerische Leitung hat. Zum Auftakt stehen 33 Produktionen und Projekte, davon 20 Eigen- und Koproduktionen, 16 Uraufführungen, Neuinszenierungen, Deutschlandpremieren und Installationen zwischen dem 9. August und 23. September in den ehemaligen Industriehallen des Ruhrgebietes und an weiteren Orten auf dem Programm.

„Noch nie haben wir so stark empfunden, dass sich innerhalb kurzer Zeit alle unsere Lebensumstände verändern werden“, formuliert die neue Intendantin ihre Motivation. „Wir befinden uns in einem Stadium der Zwischenzeit. Flüchtende, vertriebene und migrierende Menschen durchziehen die Kontinente, werden ausgegrenzt, durch ewige bürokratische Prozesse am Leben gehindert. Verteilungskriege von unvorstellbarer Grausamkeit zerstören ganze Gesellschaften und Kulturen. Die Zwischenzeit ist unsere Chance, die Veränderung aller sozialen und kulturellen Verhältnisse kreativ mitzugestalten, statt in Furcht und Abwehr zu verharren“, appelliert Stefanie Carp.

Sinnbild für das Stadium der Zwischenzeit ist das neue Festivalzentrum der Ruhrtriennale: ein Flugzeug, das die Künstler- und Architektengruppe raumlabor berlin für den Vorplatz der Jahrhunderthalle Bochum entworfen hat. Ob die Maschine abgestürzt ist oder sich gerade in der Konstruktion befindet, lässt sich nicht eindeutig sagen. Fest steht aber, dass dieser spektakuläre Veranstaltungsraum mit dem Titel „Third Space“ während der nächsten drei Jahre unter Mitwirkung des Publikums immer wieder neu zusammengesetzt und ausgebaut werden kann.

Eröffnet wird die Ruhrtriennale am 9. August in der Kraftzentrale Duisburg mit der Produktion „The Head and the Load“ von William Kentridge. In der Kreation aus Musiktheater, Tanz und Bildender Kunst setzt sich der südafrikanische Regisseur mit der Rolle Afrikas im Ersten Weltkrieg auseinander: Zwischen 1914 und 1918 wurden mehr als zwei Millionen Menschen aus dem afrikanischen Kontinent von den Kolonialmächten gezwungen, für sie in den Krieg zu ziehen. Zuvor hält die indische Atomphysikerin und Aktivistin Vandana Shiva in der Gebläsehalle Duisburg die Eröffnungsrede. Unter dem Titel „Earth Democracy Now“ spricht die Trägerin des Alternativen Nobelpreises über ihre Vision für die globale Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.

Die zentrale Produktion von Christoph Marthaler als Artiste associé für die Ruhrtriennale 2018 ist die Musiktheater-Kreation „Universe, Incomplete“, die am 17. August in der Jahrhunderthalle Bochum uraufgeführt wird. Marthaler als Regisseur präsentiert dies gemeinsam mit Dirigent Titus Engel und Bühnenbildnerin Anna Viebrock. Zum Ensemble dieses Klangereignisses gehört auch das Orchester der Bochumer Symphoniker.

Eine weitere Produktion aus dem Bereich des Musiktheaters ist Hans Werner Henzes „Das Floß der Medusa“, eine Metapher für die Unterdrückung der Dritten Welt durch die Reichen und Mächtigen. Der ungarische Film- und Musiktheaterregisseur Kornél Mundruczó wird das vor 50 Jahren unter Tumulten uraufgeführte Werk in der Bochumer Jahrhunderthalle als inszeniertes Konzert auf die Bühne bringen. Den musikalischen Rahmen kreiert der ausgewiesene Henze-Experte Steven Sloane, der die Bochumer Symphoniker gemeinsam mit Chorwerk Ruhr, der Zürcher Sing-Akademie und dem Knabenchor der Chorakademie Dortmund dirigiert.

Das Stadium der Zwischenzeit wird auch in dem von Matthias Osterwold kuratierten Musikprogramm zur Ruhrtriennale reflektiert: Die Reihe „MaschinenHausMusik“ in Essen stellt in ihren audiovisuell geprägten Konzerten Musiker in den Mittelpunkt, die ihre Wurzeln nicht nur primär in Europa haben.
Besonders freut sich Stefanie Carp im Bereich Tanz auf den aus Burkina Faso stammenden Choreografen Serge Aimé Coulibaly, mit ausdrucksstarkem Tanztheater, das immer auch politisch motiviert ist. In „Kirina“, das seine Deutschlandpremiere in der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck feiert, setzt er sich mit der Migration innerhalb Afrikas auseinander. Musikalisch begleitet von Rokia Traoré aus Mali. Das Segment Schauspiel startet mit „The Factory“, einer neuen Produktion des in Damaskus geborenen Dramatikers Mohammad Al Attar und des ebenfalls aus Syrien stammenden Regisseurs Omar Abusaada bei PACT Zollverein. Ein sechsstündiges Theaterereignis bietet die Uraufführung von „Diamante. Die Geschichte einer Free Private City“ in der Kraftzentrale Duisburg. Die Maschinenhalle Zweckel und das Muiktheater im Revier Gelsenkirchen (Marthalers „Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter“) zählen zu weiteren Spielorten.

Unter dem Leitsatz „Wir haben keine Angst. Wir wollen alles“ steht das Stadtprojekt #nofear der Jungen Triennale. In den kommenden drei Jahren setzen sich dabei 40 Jugendliche aus dem Ruhrgebiet mit ihren Ängsten auseinander und legen dabei den Fokus jedes Jahr auf ein neues Thema. 2018 ist es Sexualität, Schauplatz dafür der Essener Stadtteil Katernberg. Unter dem Titel „Appeal to the Youth of All Nations“ realisiert der amerikanische Konzeptkünstler Olu Oguibe, der zuletzt bei der documenta 14 in Kassel durch einen sechs Meter hohen Obelisken für Aufsehen sorgte, im Bochumer Westpark eine Skulptur, die einen universellen Aufruf an die Jugend aller Länder darstellt.

Weitere Informationen zum Programm unter www.ruhrtriennale.de

Artikel von www.top-magazin.de/ruhr