Kultur

Der Mönch, der den Himmel teilte

Exklusiv-Interview mit Martin Luther zum 500. Jahrestag des Thesenanschlags. Wulf Mämpel sprach mit dem mutigen Reformer, der vor 500 Jahren die christliche Welt revolutionierte.


Der abtrünnige Mönch Martin Luther veröffentlicht 1517 seine 95 Thesen und begründet damit die Reformation. 500 Jahre später wird darum das „Lutherjahr“ begangen.

 

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Die erste vollständige Bibelübersetzung von Martin Luther 1534, Druck Hans Lufft in Wittenberg

Als der kritische Augustinermönch Martinus Luther im Jahr 1517 sei ne 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg nagelte, löste er damit die fundamentale Spaltung der christlichen, abendländischen Welt aus. Martin Luther teilte vor 500 Jahren den Himmel, denn die bisher römisch katholische Welt wurde erschüttert, denn aus der geplanten Reformation wurde eine Revolution. Die evangelische, die reformierte Kirche entstand aus der Kritik am Feudalismus, der von Rom ausging und sich in Europa eben nicht nur an den Höfen des Adels, sondern auch in den Palästen der Kirchenfürsten ausbreitete. Bis heute hat Dr. Martin Luther die christliche Welt nachhaltig beeinflusst. Wulf Mämpel sprach mit Martin Luther aus Anlass des Luther Jahres 2017. Beide trafen sich in dem Zimmer der Wartburg in Eisenach, in dem Luther voller Verzweiflung das Tintenfass gegen den Teufel schleuderte und die Wand traf.

 


 

Mämpel: Haben Sie Erinnerungen an diese Stube, in der sie 1521 für ein Jahr Zuflucht fanden?

Luther: Aber natürlich. Ich wurde praktisch aus dem Verkehr gezogen, da die Anfeindungen gegen mich Überhand zu nehmen drohten. Hier begann ich inkognito unter dem Decknamen Junker Jörg die ersten Teile der Bibel zu übersetzen. Es war nicht leicht für mich, obwohl ich sehr motiviert war und hier meine Ruhe fand. Doch Satan stürzte sich immer wieder auf mich, ich warf sogar ein Tintenfass nach ihm. Aber Spaß beiseite: Ich war so gut in Form, dass ich in nur elf Wochen das Neue Testament ins Deutsche übersetzte. Aber: Dass die Pilger heute immer noch hierher kommen, wundert mich doch. Es ist kein attraktiver Raum. Und dann noch Weltkulturerbe – das konnte ich damals nicht ahnen!

Mämpel: Der Anschlag Ihrer 95 Thesen in Wittenberg hat die christliche, die abendländische Welt erschüttert, die Spaltung war da durch eingeleitet. War das wirklich Ihr Ziel?

Luther: Nein, um Gottes willen, nein! Ich wollte ja nur die Umstände, die Auswüchse innerhalb der katholischen Kirche, die ja meine Kirche war, reformieren. Das war das Ziel: die Erneuerung des Glaubens und die Rückbesinnung auf das Wort Gottes. Die Bibel sollte wieder das Buch der Bücher sein. Ich war gegen den unerträglichen Ablasshandel meines Mitbruders Tetzel, der Geld eintrieb, damit der Papst in Rom den Petersdom bauen konnte. Das brachte mich auf die Barrikaden, aber auch das feudale Leben der Kirchenmänner, die Scheinheiligkeit und bigotte Heuchelei.

 

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Auf die Wartburg in Eisenach schickt der mächtige Kurfürst Friedrich den Reformator im Jahre 1521, auch um ihn aus dem Rampenlicht zu nehmen und die Angriffe auf die Reformation dadurch zu mildern

Mämpel: Wie beurteilen Sie die evangelische Kirche heute im Jahr des Jubiläums?

Luther: Darf überhaupt eine Kirche feiern, deren Mitgliederzahlen rückläufig sind? Die nicht länger Volkskirche ist, sondern eine Minderheit der Gesamtbevölkerung abbildet, für die Glaube, Kirche und Gott wenig Relevanz hat? Ich persönlich halte gerne dagegen: Ja – wir haben allen Grund zu feiern. Im Mittelpunkt steht für mich die Lerngeschichte einer Kirche, die veränderungserfahren und veränderungsmutig ist! „Hab Mut zur Veränderung – es ist diese Botschaft, die ich damals und heute den Christen zurufe. Gewissensfreiheit, Interpretationsfreiheit, Unabhängigkeit von der Deutungsmacht papsttreuer Theologen und die Gleichheit vor Gott – das waren die Erkenntnisse, die ich in die Debatten vor 500 Jahren einbrachte. Heute aber feiern wir kein heldenverehrendes Lutherjubiläum, sondern wir feiern, dass wir die Judenfeindschaft überwunden haben. Wir feiern, dass gerade in einer Zeit des Fundamentalismus Glaube und Bildung zusammengehören. 500 Jahre später wissen wir als Protestanten und Katholiken: Es ist gut, gemeinsame Wege nach vorn zu gehen. Wir feiern, dass wir eine Lerngeschichte der Reformation haben und nicht bei 1517 stehengeblieben sind. Wo müssen wir heute den Grenzübertritt wagen, um die Botschaft von der freien Gnade Gottes an das Volk auszurichten? Welche neue Sprache und Spiritualität müssen wir lernen, damit der Geist Gottes wirken kann? Reformation ist kein Zustand, sondern eine Bewegung, ein Prozess, den wir alle gemeinsam gestalten. Jede Kirche, gleich welcher Konfession, ist semper reformanda – immer neu zu reformieren. Aber: Ich wünsche der evangelischen Kirche mehr Freude im Alltag und in den Gottesdiensten. Es wird zu wenig gelacht in unseren Gottesdiensten. Unser Gott ist nicht nur streng, er ist auch ein lachender Gott!

Mämpel: Werden eines Tages die christlichen Kirchen wiedervereint sein?

Luther: Es gibt da viele gute Ansätze, die mich optimistisch stimmen. Ich bete für eine Wiedervereinigung weltweit. Papst Franziskus ist auf einem guten Weg, ich schätze ihn und seine Gedanken sehr.

Mämpel: Sollten Pfarrer und Priester heiraten?

Luther: Ja, ich selbst bin ein glücklicher Familienvater.

Mämpel: Was würde Jesus sagen, wenn er heute auf die Welt zurückkäme und sähe, was in seinem Namen 2000 Jahre passiert ist?

Luther: Das ist eine harte Frage. Aber ich glaube, er wäre nicht sehr enttäuscht. Vieles hat sich doch zum Guten gewendet, auch wenn es immer neue Probleme zu lösen gilt. Das ist unser Schicksal, unsere ständige Prüfung. Doch als gottesfürchtiger Optimist sage ich: Das Gute wird immer das Böse überwinden. So war es, so wird es immer sein. Hätte das Böse gesiegt, wir lebten schon lange nicht mehr auf unserem schönen Erdball. Ich denke also: Er wäre zufrieden! Denn Probleme sind dazu da, gelöst zu werden. Immer und überall in der Welt! Vieles, von dem wir glauben, es sei sooo bedeutend, ist doch schnell sehr vergänglich. Das gilt für Besitz, für Politiker und Manager. Wie sagt man heute: up and down! Der Mensch sucht sich immer neue Götzen: Gold, Öl, Besitz, das dolce farniente. Doch was kommt danach? Die Leere derjenigen, die alles besitzen, macht nicht glücklich. Ohne mitmenschliche Aufgaben, ohne Solidarität den Schwachen gegenüber ist das moderne Leben sinnlos. Neid und Hass wachsen immer dann, wenn ein großer Teil der Menschen sich verlassen fühlt. Dann haben die Populisten das Sagen. Die Menschen brauchen Teilhabe am Wohlstand, dann sind sie zufrieden. Also gebt ihnen Teilhabe!

Das Neue Testament übersetzt Luther in seiner „Verbannung“ auf der Wartburg in nur elf Wochen aus dem Griechischen ins Deutsche

Das Neue Testament übersetzt Luther in seiner „Verbannung“ auf der Wartburg in nur elf Wochen aus dem Griechischen ins Deutsche

Mämpel: Sind Sie ein politischer Kopf?

Luther: Eigentlich nicht. Eher ein musikalischer, ein wortliebender Mensch. Wer aber Politik machen will, muss Macht haben, sonst herrscht das Chaos. Doch immer ist Vorsicht geboten: Die Rattenfänger sind unterwegs, die modernen Gurus, die die Leichtgläubigen auf ihre Leimspur locken. Daher ist ein fester Glaube eine feste Burg für jeden. Sorge bereitet mir die Gleichgültigkeit der Eli ten. Sie müssten mehr Verantwortung innerhalb der Gesellschaft übernehmen und sich nicht nur um ihr Gold sorgen. Sie müssten Vorbild sein für die Menschen, die sich immer mehr von Gott abwenden und aus der Kirche austreten. Vorbild bedeutet ja immer auch Wegweiser, denn Gott ist nach wie vor eine sichere Bank. Das galt damals, das gilt auch noch heute. Die Kirche muss den Menschen dienen, nicht die Menschen der Kirche.

Mämpel: Luther und die Frauen – Sie sind ja kein Eremit …

Luther: … weiß Gott nicht. Ich liebe das pralle Leben. Als Mönch träumte ich da von, als Ehemann genoss ich die Lust des Fleisches. Jeder Mann sollte eine Familie gründen. Aber Scheidungen sind Aus druck von Flucht aus der Verantwortung. Ein handfester Krach gehört zu einem gesunden Eheleben.

Mämpel: Viele Menschen verlassen heute die Kirche. Steuert das Abendland in einen Abgrund?

Luther: Wer aus der Kirche austritt, flieht vor Gott. Warum tut er das? Ein Leben ohne Gott muss scheitern. Ich bin aber sicher, dass es eines Tages eine Renaissance des christlichen Glaubens geben wird. Kein Mensch kommt ohne Gott aus, gerade heute nicht!

Mämpel: Wie finden Sie Deutschland heute?

Luther: Mein Heimatland ist eine starke Nation im neuen Europa der 28 Staaten. Wer an einem gemeinsamen Tisch sitzt und diskutiert, der schießt nicht. Also: Nur das ver einte Europa freier Staaten hat Zukunft. Die Kleinstaaterei produziert nur kleine Geister. Die Welt ist enger zusammengerückt, da kommt es auf Kooperation und nicht auf Konfrontation an. Wo Menschen wirken, werden Fehler gemacht. Wir alle sind Sünder. Doch aus Fehlern muss man lernen, wir sollten sie nicht wiederholen. Ist das denn so schwierig? Noch immer gilt: Ohne Herkunft keine Zukunft!

Mämpel: Was wünschen Sie sich für das Jahr 2017, das ja Ihr ganz spezielles Jahr wird?

Luther: Ich wünsche mir die Freiheit aller Menschen auf der Welt. Mehr Toleranz und weniger Hass. Mehr Liebe und weniger Streit. Mehr Solidarität und weniger Egoismus. Mehr Bildung für alle und weniger Dummheit in der Welt. Vor allem aber wünsche ich mir, dass die christlichen Kirchen wieder näher zusammenrücken. Wir glauben doch alle an einen Gott, das sollte uns einen und nicht trennen. Vielleicht hat meine Reformation dann doch etwas bewirkt, wenn wir wieder zurückkehren zum wahren Glauben, mutig, gottesfürchtig und stark. Denn nur so können wir den Populisten und Rattenfängern begegnen. Ein Christ ist kein Angsthase, sondern ein Mensch mit Menschenrechten. Das war mein Ziel. Wartet nicht weitere 500 Jahre auf die Verwirklichung der Ökumene. Also: Wer etwas anfangen will, der sollte es beizeiten tun!

Lieber Herr Dr. Luther, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Artikel von www.top-magazin.de/ruhr