Ruhrrevier

Weiße Flotte: Nur Fliegen ist schöner

Wenn die Taube weit ihre Flügel ausbreitet und sich in den Himmel erhebt, ist Franz-Josef Ewers glücklich. Das ist das Bild, das er jeden Morgen und jeden Abend einfach genießt. Wenn seine Brieftauben vom Dach des Schlages abheben und ihre Kreise ziehen. Erst klein, noch mit Blickkontakt. Dann weiter, immer weiter und schließlich zu ihm zurückkommen.


Franz-Josef Ewers: Chef der Weißen Flotte und Brieftaubenvater

200 Tauben sind es inzwischen, die Franz-Josef Ewers in seinem Schlag zählt. Nicht nur zählt, vor allem füttert, versorgt und trainiert. Nicht einfach Tauben, Brieftauben, nach allen Regeln der Kunst gezüchtet, sorgsam ausgewählt, liebevoll aufgezogen und mit viel Engagement in Form gebracht. Denn die kleinen Körper erbringen Hochleistungen, wenn wie jetzt ihre Saison ansteht. Viele hundert Kilometer folgen sie durch die Luft ihrem ganz eigenen Radar, der sie aus fernen Städten, aus Holland oder Österreich nach Hause führt. In den heimischen Schlag zu ihm zurück und ihm damit sein Vertrauen beweisen.

Am heimischen Schlag in der Schrebergartenanlage Walpurgistal wartet Franz-Josef Ewers auf seine Vögel. Jeder, den er nach solch einer Reise erspäht, löst eine kleine Euphorie aus. Jeder stimmt bei ihm – denn der Mann, der im Hauptberuf die Weiße Flotte am Baldeneysee managt, schickt nur seine männlichen Tauben auf die Reise. „Alttauben“, also die erfahrenen Luftrenner, im Frühjahr. Die „jungen Wilden“ sind dann ab dem Spätsommer/Herbst soweit, es den Altvorderen nachzutun.

Um die Strapazen solcher Flüge über mehrere hundert Kilometer heile zu überstehen, müssen die kleinen grauen Sportler absolut fit sein. Genau dafür tritt Franz-Josef Ewers jeden Morgen und jeden Abend bei seinen gefiederten Freunden an. Sie fit zu machen und zu halten, ist seine Aufgabe und sein Hobby. Sechs Kilo Futter pro Tag gehören ebenso selbstverständlich dazu, wie Tierarztbetreuung und bei Bedarf die erforderliche Medizin. Vor allen Dingen aber geht es um Einsatz, um Zuwendung und das buchstäbliche Know-how. Zu diesem „gewusst wie“ gehört der geschulte Blick für den richtigen Flügel und das gute Auge des tierischen Freundes. Ewers fühlt buchstäblich an den kleinen Körpern, wie es um die Kondition und Flugtauglichkeit bestellt ist. Und er weiß, wie er die Reisenden, die er ja keinesfalls gänzlich ziehen lassen will, auch wieder zurückholt in den eigenen Schlag.

Dazu dient die buchstäbliche Treue der Tauben: Die Tiere sind monogam und kennen obendrein ihren eigenen Platz im Schlag genau. So hat jeder Vogel in seiner Heimat sein eigenes Weibchen – das macht sich Franz-Josef Ewers zunutze, wenn der Abschied ansteht, um den Vögeln die Rückkehr schmackhaft zu machen. Und er weiß:


Die Taube muss sich wohlfühlen in ihrem Heim. Dann kommt sie gerne zurück, buchstäblich nach Hause.


Gelernt hat Franz-Josef Ewers das alles von klein auf. Letztlich, weiß er heute, hat ihn der Vater mit dem Virus Brieftauben infiziert. Erstaunlich genug, denn als Junge hasste er es, wenn die Kumpels Fußball spielten und „ich buchstäblich die Scheiße wegmachen musste“. Trotz alledem: Als er schon als erwachsener Mann neben der väterlichen Parzelle einen eigenen Garten im Walpurgistal pachtet, „da hab ich doch wirklich zuerst einen eigenen Schlag gebaut“, schmunzelt er heute.

Nicht nur die Tauben, letztlich auch den Grundstein für seine heutige Aufgabe als Flottenchef der Weißen Flotte am Baldeneysee weiß Franz-Josef Ewers bei seinem Vater. Der überzeugt einst den Sohn, eine Verwaltungslaufbahn bei der Stadt Essen einzuschlagen und dort macht er seinen Weg. Ausbildung, Weiterqualifizierung, Engagement in der Personalvertretung bis zum Vorsitz des Personalrates. Dann, nach vielen Jahren, will der gebürtige Essener und bekennende „Ruri“ noch einmal eine neue Herausforderung anfassen – und bekommt sie auch prompt gestellt: Franz-Josef Ewers wird neuer Geschäftsführer der Weißen Flotte. Sieben Jahre steht er in dieser Rolle mittlerweile auf der symbolischen Brücke und hat seine Fahrgastschiffe in dieser Zeit in eine erfolgreiche Fahrrinne geführt. Innerhalb von nur zwei Jahren steuert er das Unternehmen aus tiefroten Zahlen in die Gewinnzone. Das gelingt ihm mit dem gleichen Engagement, das er auch für seine Tauben aufbringt, gepaart mit der festen Überzeugung:


„Die Weiße Flotte gehört der Stadt und damit dem Bürger“.


Dafür wirft Franz-Josef Ewers gerne seinen Einsatz in die Waagschale. Und seine Ideen, die die Flotte finanziell wieder flottgemacht haben.

Denn immer neue Ideen sorgen Jahr für Jahr dafür, dass die Menschen mit der MS Kettwig, der Steele oder der Heisingen, der Stadt Essen oder der Baldeney buchstäblich „in See“, den Baldeneysee, stechen. Die Schiffe, sie tragen die Namen ihrer Heimat und sie tragen sie mittlerweile auch hinaus ins Land. Bis nach Berlin führt einmal im Jahr eine ganz besondere Reise. Hin geht es über Flüsse und Kanäle zur Spree, zurück mit dem Bus. Und umgekehrt – in die Bundeshauptstadt auf der Straße, zurück mit dem Schiff ins Ruhrgebiet. Diese Touren, schmunzelt Franz-Josef Ewers, sind weit im Voraus ausgebucht. Ganze 57 Plätze hat jede Fahrt – eine Busladung eben. Aber auch Münster steuert die Weiße Flotte aus Essen an oder trägt Gläubige um den See bei der Fronleichnamsprozession.

Der Möglichkeiten gibt es viele, das macht der Flottenchef sich zur Aufgabe. So stehen die weißen Schiffe neben dem Linienverkehr auch für Charter-Touren zur Verfügung. Familienfeiern, von der Taufe über Geburtstage bis zur Hochzeit an Bord oder große Firmen-Events: Die Flotte schneidert mit Full-Service auf Maß, was die Kunden wünschen. Dafür wird ein Schiff auch komplett umgebaut, um die Gäste optimal zu bedienen. Und das auch zweimal an einem Tag, wenn die Nachfrage es erfordert. Und die ist an einzelnen Tagen fast höher, als die Flotte es hergibt. Dass es dennoch funktioniert, managt Franz-Josef Ewers dann eben auch mal in langen Spätschichten in seinem Büro. Kein Problem für ihn, denn der Flottenchef hat bei seiner Arbeit eines auf seiner Seite: „Es macht Riesenspaß“ beschreibt er seine Motivation. Die treibt ihn voran und lässt ihn immer neue Highlights für seine Flotte ersinnen. Drei neue Angebote pro Jahr neben der Regelschifffahrt hat er sich auf die Fahnen geschrieben. In diesem Jahr gehört das sonntägliche Kapitänsfrühstück auf der Ruhr dazu, „auf einer der schönsten Strecken bis nach Kettwig“, schwärmt der Macher selber. Oder mittwochs die Kaffeefahrt mit Schleusung, auch die führt nach Kettwig.

Neu ist in diesem Jahr die Isenberg zur Weißen Flotte gestoßen, die Sparkassen-Stiftung half, das Traditionsboot wieder flott zu machen. Damit sind nun zur „Grünen Hauptstadt“ auch besondere Touren möglich: Unter Kampmanns Brücke hindurch bis zur „Zornigen Ameise“. Die kleine Fähre aus dem Jahr 1955 ist ein Zeitzeuge vergangener Tage, war einst Teil des öffentlichen Nahverkehrs, brachte Menschen von Haus Scheppen hinüber zum Bus, weiß Franz-Josef Ewers um die Geschichte. Das hat die Isenberg ein wenig mit den Tauben gemeinsam – auch sie sind einfach ein ganz fester Bestandteil der Geschichte. Der Menschen im Ruhrgebiet und der des Flottenchefs Franz-Josef Ewers.

Artikel von www.top-magazin.de/ruhr