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Ben Van Cauwenbergh und sein Aalto Ballett

Ben Van Cauwenbergh ist der Intendant der Ballett-Compagnie am Aalto-Theater in Essen. Mit dem Belgier ist das internationale Ensemble extrem erfolgreich.


Aalto Ballett: Tanzen, das ist Leben!

Er ist der Vortänzer, will es auch buchstäblich sein. Denn nur eine positive Ausstrahlung da vorne, die reißt das ganze Ensemble mit. Das weiß Ben Van Cauwenbergh. Tänzer, einst in der Londoner Company mit dem legendären Nurejew. Heute Intendant des renommierten Balletts am Aalto-Theater in Essen. Und auch heute immer noch im tiefen Herzen mit Leib und Seele Tänzer. „Das bist Du, oder das bist Du nicht“, sagt der Belgier. Er ist es. Seine Ausstrahlung, seine pure Begeisterung für das Genre färbt offenbar ab. Das Aalto-Ensemble unter seiner Leitung ist nicht nur in der Region echter Publikumsmagnet, sondern genießt längst auch international einen ganz besonderen Ruf. Bester Beweis: Die Compagnie wird eingeladen, um zum Auftakt des Jahres 2016 ihre Kunst in Sevilla zu präsentieren. Im Teatro de la Maestranza zeigen die Essener Tänzerinnen und Tänzer viermal Van Cauwenberghs bejubelte Choreografie „Romeo und Julia“ gemeinsam mit dem Königlichen Sinfonieorchester von Sevilla. Es wird ein umjubelter Erfolg, viermal ist das Theater mit jeweils 1800 Menschen ausverkauft. Keine Selbstverständlichkeit, vorher kennt man auf der iberischen Halbinsel Essen und das Aalto Ballett nicht so wirklich. Aber dann, lächelt Ben Van Cauwenbergh, wendet sich das Blatt. Denn das spanische Fernsehen dreht einen Vorbericht mit Interview des Intendanten. Das muss wohl den Nerv der ballett-begeisterten Spanier genau getroffen haben. Wenige Stunden nach dem Beitrag sind alle Gastspiele ausverkauft. Romeo und Julia schaffen es auf die Titelseiten der Zeitungen. Die Truppe kehrt einmal mehr gefeiert und mit einem großen Erfolg im Gepäck an die Ruhr zurück.

Im Ballettsaal, dem grauen nur spiegelbewehrten Alltags-Herzstück in den Katakomben des Essener Theaterhauses, ist Aufwärmtraining für das Ensemble angesagt. Der Mann ganz vorne, vor der ersten Reihe, trägt einen schwarzen Trainingsanzug und dicke dunkle Sportschuhe. Die sind hier eigentlich ausdrücklich nicht erlaubt. Aber für Ben Van Cauwenbergh ist das mal anders. Auch damit kann der Chef vortanzen, was er von seiner Crew auf die Spitze gebracht, sehen will. Kurze Anweisungen gehören dazu, immer nur in englischer Sprache. Die ist hier das internationale Bindemittel, denn die bis zur letzten Faser durchtrainierten jungen Menschen auf dem Tanzboden stammen aus 16 Nationen. Aus Kuba oder Japan, Russland oder Kasachstan, Ägypten oder Brasilien. Die jüngste von ihnen kam einmal mit zarten 17 direkt aus China nach Essen. Eine, eine einzige Tänzerin, stammt aus Deutschland. Alle anderen überwinden meist tausende von Kilometern, um hier beim Intendanten Van Cauwenbergh am Aalto zu tanzen.

Das ist Leben, das ist Faszination und das ist vor allen Dingen harte Arbeit unter der anspruchsvollen Leitung des 58-Jährigen. Aufwärmtraining jeden Morgen anderthalb Stunden. Kurze Pause, dann wird bis 13 Uhr für das aktuelle Stück des Abends geprobt. Lunch. Wieder Probe. Aufführung. Da ist das Aalto automatisch Lebensmittelpunkt für die vielen Menschen aus anderen Ländern, fernen Kontinenten. Lebensmittelpunkt und ein Stück Heimat. Denn der Chef formt aus seiner Compagnie eine Familie. Und als guter Patriarch kennt er sie alle, 30 Tänzer, Frauen oder Männer. Er spürt sofort, wenn bei einem von ihnen etwas nicht stimmt. Egal ob es ganz einfach Liebeskummer ist, oder gar ein Trauerfall in der Verwandtschaft. Dann ist er da für alle, tröstet. Auch, indem er seine ganz feste, innerste eigene Überzeugung vermittelt:


„Wir sind da zum Tanzen auf der Bühne, wie ein Flugzeug zum Fliegen. Wir sind nicht da zum Stillstehen – die Zeit ist so kurz.“


Und so treibt er sie an, nicht herzlos, sondern mit seinem glühenden Herzen für das Metier, für den Tanz. „Tanzen, das ist Leben“, sagt Van Cauwenbergh. Und so ist aus seiner Sicht jeder Tag, an dem man nicht tanzt, ein Stück verschenktes Leben. Zu viele davon haben die biegsamen, beweglichen, athletischen Körper mit ihrer Anmut und Ausdruckskraft ja gar nicht. „Die Karriere als Tänzer ist kurz“, stellt der Intendant trocken fest. Seine eigene, die war absolut erfüllt – nicht zuletzt wegen der atemlosen Londoner Zeiten als in den 1980ern ein Stück wie „Der Nussknacker“ noch zweimal am Tag von den gleichen Akteuren auf die Bühnenbretter gezaubert wurde. Das, seufzt Ben Van Cauwenbergh mit leiser Wehmut, gibt es heute nicht mehr. Die Zeiten sind einfach anders, es gelten andere Regeln. Und doch sind ihm die in seiner Compagnie heute am nächsten, die genau so ticken, vibrieren, für den Tanz brennen, wie er selber seit jeher.


„Wenn eigentlich frei ist und einer kommt zu mir und sagt, bitte ich will trainieren, dann bin ich da. Das ist selbstverständlich. Dann tanzen wir“.


Schließlich zählt in dem Job jeder Tag, jedes Jahr, jedes Kilo. Mit 33 Jahren sind die Ballerinas oder Ballerinos in der Regel „on the top“. „Sie vereinen Erfahrung, schauspielerische Ausdruckskraft und ihre tänzerische Höchstleistung, während gleichzeitig unaufhaltsam der körperliche Abstieg beginnt“, skizziert Van Cauwenbergh für seine Aalto-Familie ebenso klar wie unsentimental. Jede Analyse mündet für ihn immer in einer Erkenntnis: „Die Zeit auf der Bühne ist kostbar!“

Er selber hat geschafft, was längst nicht allen gelingt: Den Sprung vom Tänzer zum Chef. Heute füllt Ben Van Cauwenbergh als Intendant die Theater. Heute hat er Gänsehaut, wenn das Publikum seine Inszenierungen im Aalto mit Standing Ovations feiert – nicht nur einmal zur Premiere, sondern den Erfolg der Arbeit durch durchweg beste Auslastung bestätigt. In Essen, da ist der Funke übergesprungen, da folgt ihm die Fangemeinde, auch wenn gerade in dieser Region die Dichte renommierter Compagnien von Hagen über Dortmund und Gelsenkirchen bis Düsseldorf einzigartig ist.

Das Publikum, das folgt dem Belgier, dem aus seiner eigenen Geschichte die klassische Ästhetik des Balletts am nächsten ist. „Ich habe mein Leben lang Klassik getanzt. Das prägt. Meine Arbeit ist klassisch, dabei wollen wir von den Klassikern ein wenig den Staub wegpusten“, beschreibt der 58-Jährige. Seine Identität darum ist für ihn ganz klar „La vie en rose“: „Das Stück hat so viele Facetten, Humor ebenso wie traurige Elemente. Es ist spartenübergreifend und unterhaltsam und dabei einfach 100 Prozent Ballett“. Doch er kann auch anders, ganz modern, echte Schlager auf die Bühne bringen. „Tanzhommage an Queen“ ist da sein Meisterstück, das mit der neuen Musik junge Menschen ins Aalto Ballett lockt. „Queen“, das ist der Hit auch beim Publikum. Das Stück ist immer noch, mittlerweile in seiner achten Spielzeit, Termin für Termin ausverkauft. 80-mal ging es alleine in Essen über die Bühne, nach Wien oder sogar nach Korea hat Ben Van Cauwenbergh die Königin gebracht.

Seine Arbeit findet Beachtung – beim Publikum, das dem Aalto eine beachtliche Auslastung beschert, und bei renommierten, wirklich berühmten Kollegen. Wie Jiří Kylián, Choreograph von Weltruf. Dass der Tscheche nun das Essener Haus mit einer eigenen Choreographie beehrt, das macht Ben Van Cauwenbergh und Marek Tuma, seinen Compagnie-Manager, langjährigen Weggefährten und Vertrauten, einfach nur stolz. „Kylián hat die Ballett-Welt durch seinen Stil nachhaltig revolutioniert“, weiß Van Cauwenbergh um die Bedeutung des großen Tschechen. Und so fühlt er sich ausdrücklich geehrt, dass dieser Kylián Essen als Platz ausgewählt hat, um hier mit der Compagnie ein vierteiliges Programm mit auf die Bühne zu bringen.

Entstanden ist „Archipel“, ein „Poetischer Tanzabend“, der am 23. April im Aalto Premiere feiert. Achtmal wird „Archipel“ bis zum 10. Juni getanzt – Van Cauwenberghs „Queen“ hat inzwischen die 80 hinter sich.

Jiří Kylián zum Balettabend „Archipel“

Für „Archipel“ in Essen hat Jiří Kylián die vier Stücke „Wings of wax“, „27’52“, „Petite mort“ und „Sechs Tänze“ ausgewählt. Das „Warum“ erklärte er Christian Schröder, Chefdramaturg für Musiktheater, Ballett und Essener Philharmoniker: Ich habe in meinem Leben bislang mehr als 100 Stücke kreiert. Und es war sicherlich nicht einfach, eine gezielte Auswahl für Essen zu treffen. Doch als ich hierher kam, um die Compagnie zu treffen, war das genau an dem Abend des furchtbaren Sturms am 9. Juni 2014. Am nächsten Morgen war ich total verblüfft, dass alle Tänzer gekommen waren, obwohl sie teilweise stundenlang zu Fuß zum Theater laufen mussten – sie wussten aber, dass ich da war. Nun hatte ich also die große Verantwortung, ein Repertoire auszuwählen, das ihrem großen Einsatz gerecht würde! Und so traf ich eine ziemlich herausfordernde Wahl, die mein Schaffen in seiner ganzen Vielschichtigkeit repräsentiert, die dem Interesse der Tänzer entspricht, und die schließlich den Essener Zuschauern einen Abend von substantieller Vielfalt verspricht.

Artikel von www.top-magazin.de/ruhr